Wenn der Chef zum Vermieter wird

Angesichts von Fachkräftemangel und Wohnungsnot in Ballungsräumen erleben Werkswohnungen wieder einen Aufschwung. Unternehmen wollen damit bei ihren Mitarbeitern punkten. Arbeitgeber und Beschäftigte müssen aber ein paar juristische Feinheiten beachten.

Ein traditionelles Familienunternehmen in dritter Generation: Die Bäckerei Häussler ist in Memmingen eine Institution. 16 Filialen gehören zu dem mittelständischen Betrieb, das Geschäft mit Brot und Brötchen läuft. Und dennoch fällt es dem Unternehmen aus dem Allgäu immer schwerer, Arbeitskräfte für seine verschiedenen Standorte zu finden. Geschäftsführer Hermann Markus Häußler hat sich deshalb etwas einfallen lassen: Er will Wohnraum für seine Beschäftigten anbieten. „Die Mietpreise in Memmingen sind in den letzten Jahren enorm gestiegen, Memmingen gehört mittlerweile fast schon zum Speckgürtel Münchens. Für unsere Angestellten ist das kaum noch erschwinglich“, so der Bäckermeister. Sein Plan: Auf einem Grundstück in Unternehmensbesitz sollen neben Büros und Verkaufsräumen auch Wohnungen für die Mitarbeiter entstehen.


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Die passende Wohnung zum Job

Damit folgt Häußler einem bundesweiten Trend: Immer häufiger bieten Unternehmen zum Job auch gleich eine Wohnung, zeigt die Wohnungsmarktstudie „Wirtschaft macht Wohnen“ des Berliner Wohnungsmarkt-Forschungsinstituts Regiokontext. Damit erlebt das Konzept der Werkswohnung, das eigentlich aus dem ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert stammt, eine kleine Renaissance. Damals waren es vor allem die großen Industriekonzerne, die ganze Siedlungen für die dringend benötigten Arbeitskräfte schufen. Auch die damaligen Staatsunternehmen Post und Bahn stampften deutschlandweit Mitarbeitersiedlungen aus dem Boden.


Noch in den 70er-Jahren gab es laut Angaben des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) etwa 450.000 Werkswohnungen hierzulande. Nach und nach wurden solche Wohnungen jedoch verkauft, um die Bilanzen um Immobilien zu entlasten und das Geld zu investieren. Nun wird die Rolle rückwärts vollzogen. Zuletzt sind die Zahlen laut GdW wieder leicht gestiegen: Auf rund 100.000 Werkswohnungen schätzt der Verband den derzeitigen Bestand.


Mit Nachverdichtung können wir noch zulegen.
Meno Requardt Geschäftsführer von Volkswagen Immobilien

Volkswagen vermietet 9.300 Wohnungen am Stammsitz

Die Trendwende zeigt sich deutlich etwa am Beispiel von Volkswagen Immobilien, der Immobilientochter des weltweit größten Autobauers, die am Stammsitz in Wolfsburg 9.300 Wohnungen vermietet. Standen in den 1990er-Jahren manche VW-Wohnungen leer, gibt es heute laut Unternehmensangaben eine Warteliste mit derzeit rund 2.000 registrierten Interessenten. Auf die gestiegene Nachfrage reagiert das Immobilienunternehmen, das zu den beiden größten Vermietern in der Autostadt ist, mit Neubauten: „Im vergangenen Jahr wurden 145 Wohnungen im Stadtquartier Steimker Gärten, im Wellekamp und in möblierten Business-Apartments fertig“, sagte Meno Requardt, Geschäftsführer von Volkswagen Immobilien. In diesem Jahr sollen weitere 112 Wohnungen in den Steimker Gärten und etwa 50 Mietwohnungen im Stadtteil Fallersleben errichtet werden – alle auf VW-eigenen Flächen. „Mit Nachverdichtung können wir noch zulegen“, so Requardt. All das lässt sich VW etwas kosten. „Jährlich haben wir ein Budget von 15 bis 20 Millionen Euro für den Neubau sowie in vergleichbarer Höhe für unsere Bestandswohnungen.“


Dienstwohnungen als Wettbewerbsvorteil

Auch die Deutsche Bahn setzt neuerdings wieder auf Werkswohnungen, nachdem die alten Eisenbahnerwohnungen im Zuge der Bahnreform Mitte der 1990er-Jahre dem Bundeseisenbahnvermögen zugeschlagen und nach und nach verkauft worden waren. Doch die Zeiten waren damals andere: Wurde seinerzeit im Zuge der Zusammenlegung von Bundesbahn und DDR-Reichsbahn Personal abgebaut, befindet sich die Bahn nun im Wettbewerb um die besten Köpfe. „In Regionen mit knappem Wohnraum ist es ein Vorteil im Wettbewerb um Fachkräfte, wenn das Unternehmen den Mitarbeitern eine Wohnung anbieten kann“, sagt Susanne Kittner, Leiterin Sozialleistungen bei der Deutschen Bahn. Denn Dienstwohnungen bieten bezahlbaren Wohnraum in Arbeitsplatznähe – und ersparen neuen Arbeitnehmern zugleich die oftmals lästige Wohnungssuche.


Ein Modellprojekt in München markiert den Neuanfang in Sachen Werkswohnungen bei der Bahn: „Wir haben in einem Wohnungsprojekt der Stadt München Belegungsrechte an 74 Wohnungen erworben“, erläutert Kittner. Dabei ist der Investor Vertragspartner des Mieters und Ansprechpartner in allen Fragen, die das Mietverhältnis betreffen. Die Höhe der Miete gibt die Stadt München vor – sie entspricht dem örtlichen Mietspiegel.


Formierung einer neuen Assetklasse?

Die Bahn wiederum entscheidet nach mit dem Betriebsrat abgestimmten Kriterien darüber, wer in die Wohnungen einziehen darf. Der Mietvertrag wird arbeitgeberveranlasst abgeschlossen. „Daher gibt es ein Sonderkündigungsrecht, wenn ein Mitarbeiter den Konzern verlässt und ein anderer Mitarbeiter die Wohnung benötigt, vergleichbar mit einer Eigenbedarfskündigung.“ Wenn solche Investorenmodelle Schule machen, könnten Werkswohnungen künftig auch zu einer interessanten Assetklasse avancieren. Die Bahn jedenfalls will demnächst in Hamburg ein ähnliches Projekt ins Leben rufen.


BASF verwaltet rund 6.000 Wohnungen

Zu den Pionieren in Sachen Werkswohnungen zählt hierzulande der Chemiekonzern BASF in Ludwigshafen: 1872 begann das Unternehmen mit dem Bau der Hemshof-Kolonie, einer Siedlung mit mehr als 400 Wohnungen, um Arbeitern vom Land Unterkünfte in der Industriestadt zu bieten. Heute besitzt das Unternehmen über die Konzerntochter BASF Wohnen + Bauen rund 6.000 Wohnungen in Ludwigshafen und Umgebung, die größtenteils an Angestellte vermietet sind – „vom Azubi bis zur Führungsspitze“, wie man bei dem Unternehmen betont. Die Miete beträgt 6,50 Euro pro Quadratmeter, was der örtlichen Durchschnittsmiete entspricht. Sie kann auf Wunsch auch direkt vom Gehalt abgezogen werden.


„Wir nehmen mit unserem Angebot einen Teil der sozialen Verantwortung für Mitarbeiter und die Region wahr“, sagt Elisabeth Tielkes, Leiterin Vermietung bei BASF Wohnen + Bauen. Wichtig sei es dem Unternehmen auch, dass für jeden etwas dabei ist – von der Azubi-WG über das Einfamilienhaus für die Familie bis zum seniorengerechten Wohnen. „Auch für möbliertes Wohnen auf Zeit haben wir Angebote“, betont Tielkes. „Wenn jemand neu in Ludwigshafen ist und erst einmal im neuen Job ankommen möchte, kann er die voll ausgestatteten Wohnungen beziehen, um sich dann vor Ort um eine feste Wohnung zu bemühen.“


Politik setzt auf Werkswohnungen

Die Politik ermutigt die Unternehmen dazu, mehr Mitarbeiterwohnungen zu bauen. Der Mitarbeiterwohnungsbau sei ein Zukunftsthema, heißt es dazu beim Bundesbauministerium. In Kooperation mit Wohnungsunternehmen und Wohnungsgenossenschaften könne mit dem Bau von Mitarbeiterwohnungen ein wertvoller Beitrag zur Schaffung von mehr Wohnraum geleistet werden. Mithilfe einer Gesetzesänderung will die Bundesregierung zudem für die steuerliche Entlastung von Arbeitnehmern sorgen, die Werkswohnungen nutzen. Unter der Voraussetzung, dass die vom Arbeitnehmer gezahlte Miete mindestens zwei Drittel des ortsüblichen Mietwerts und dieser nicht mehr als 20 Euro pro Quadratmeter ohne Nebenkosten beträgt, soll eine vergünstigte Werkswohnung nicht mehr als Sachbezug lohnsteuerpflichtig sein.

Auch für möbliertes Wohnen auf Zeit haben wir Angebote.
Elisabeth Tielkes Leiterin Vermietung bei BASF Wohnen + Bauen

Mietvertrag nicht zwingend an Arbeitsvertrag gekoppelt

Wie bei der Bahn wird auch bei BASF die Miete der Wohnung in einem separaten Mietvertrag geregelt. Dieser ist nicht an den Arbeitsvertrag gekoppelt und auch nicht zwingend an ein Arbeitsverhältnis mit BASF gebunden. „Der Mieter kann in seiner Wohnung bleiben, auch wenn er in den Ruhestand geht oder die BASF verlässt“, so Tielkes. Bei der Vergabe der Wohnungen werden BASF-Mitarbeiter aber natürlich bevorzugt.
Volkswagen sieht in seinem Wohnungsangebot nicht nur eine Steigerung der Arbeitgeberattraktivität – sondern will damit auch der gestiegenen Nachfrage nach temporären Wohnformen Rechnung tragen: „Mancher Software-Entwickler ist global flexibel und zieht daher eine möblierte Wohnung vor“, so VW-Immobilien-Geschäftsführer Requardt.


Für die Unternehmen bedeutet die Bereitstellung von Dienstwohnungen natürlich immer auch einen zusätzlichen administrativen und finanziellen Aufwand. Umgekehrt bietet es auch aus Sicht der Mieter nicht nur Vorteile, wenn der Chef gleichzeitig der Vermieter ist. So sollten Mitarbeiter, die mit einer Werkswohnung liebäugeln, vor der Vertragsunterzeichnung genau prüfen, inwieweit der Mietvertrag an das Arbeitsverhältnis gekoppelt ist, rät Günter Vornholz, Professor für Immobilienökonomie an der EBZ Business School in Bochum. „Ansonsten laufen sie Gefahr, bei Kündigung oder Entlassung auch die Wohnung zu verlieren.“


Steuerliche Aspekte berücksichtigen

Auch die steuerliche Seite müssen Arbeitnehmer beachten, wenn sie eine Werkswohnung nutzen. „Vorteile, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in Form einer Dienstwohnung gewährt, stellen einen steuerpflichtigen Sachbezug dar“, betont Elin Reiter, Rechtsanwältin in der Wirtschaftskanzlei CMS in Berlin. Und wenn der Arbeitgeber dafür nicht aufkommt, etwa in Form einer Gutschrift, haben Beschäftigte unterm Strich nicht viel gewonnen.


Letztlich seien Mitarbeiterwohnungen vor allem „ein Marketinginstrument in Ballungsräumen“, sagt Immobilienexperte Vornholz. Dass Mitarbeiter wieder flächendeckend in von ihren Arbeitgebern bereitgestellte Werkswohnungen einziehen, wie es zur Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert der Fall war, sei nicht zu erwarten, denn gerade auf dem Land würden genügend Wohnungen leer stehen. Die Argumente der Firmen, die auf Werkswohnungen setzen, sind aber die gleichen wie früher, so Vornholz: „Sie können mit vergünstigten Wohnungen als attraktiver Arbeitgeber bei Fachkräften punkten.“


Titelbild: Volkswagen Immobilien GmbH

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