
Das fahrerlose Auto – Gamechanger für die Immobilienmärkte
Die Mobilität verändert sich grundlegend. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Immobilienbranche. Vor allem das fahrerlose Auto hat das Potenzial, die Qualität von Lagen zu verändern und Gebiete außerhalb der Großstädte wieder attraktiv zu machen.
Die Zukunft der Mobilität beginnt in Freyung. Dort, in einer ländlich geprägten Gegend in Niederbayern, hat Mitte September 2017 der „Freyung Shuttle“ seinen Betrieb auf. Das ist ein kleiner Shuttle-Bus, der keinen festen Fahrplan hat, sondern von den Passagieren per Smartphone-App bestellt werden kann. Ein Algorithmus berechnet dann, welche Route der Bus nimmt und wie viel die Fahrt kostet. Olaf Heinrich, der Bürgermeister der 7.300 Einwohner zählenden Kreisstadt Freyung, verspricht sich viel von dieser Mischung aus Taxi- und Busverkehr und sei zeigt sich überzeugt, „dass wir dadurch die Qualität der Mobilität enorm verbessern und gleichzeitig die Kosten für den öffentlichen Nahverkehr reduzieren können“.
Doch nicht nur für Freyung ist das Vorhaben, das vom Berliner Technologieunternehmen door2door umgesetzt wird, von großer Bedeutung. In zahlreichen Ländern führt die Digitalisierung dazu, dass sich die Mobilität grundlegend verändert. Dabei trauen es Experten vor allem einer Entwicklung zu, immobilienwirtschaftliche Gewissheiten in Frage zu stellen: dem selbstfahrenden Auto. „Autonome Fahrzeuge haben das Potenzial, unsere Gesellschaft zu verändern“, sagt Fredy Hasenmaile, Leiter Immobilienresearch bei Credit Suisse in Zürich. Und Jens Hansen, Zukunftsforscher aus Hannover, vertritt die These, dass das autonome Auto massive Auswirkungen auf die Qualität von Lagen haben wird.
Dezentrale Lagen werden attraktiv
„Das autonome Auto bringt Lagen in den Fokus, die vorher wegen schlechter Verkehrsanbindung als unattraktiv wahrgenommen wurden“, begründet Hansen seine These. Dabei geht er von einem Mobilitätskonzept aus, das ähnlich funktioniert wie der „Freyung Shuttle“, das aber durch autonome Fahrzeuge noch mehr Durchschlagskraft bekommt. Hansen stellt sich nämlich eine Flotte von fahrerlosen Autos vor, die, digital vernetzt, im Carsharing-Prinzip permanent unterwegs sind und so je nach Bedarf jedes beliebige Ziel ansteuern können.
Das hat für den Nutzer mehrere Vorteile. Zum einen kann er die Zeit während der Fahrt nutzen, um zu arbeiten, im Internet zu surfen oder auch träumerisch aus dem Fenster zu blicken. Zum andern hat er auch in kleineren Ortschaften problemlos Anschluss an S-Bahn-Station oder Fernbahnhof, von wo aus er schnell in die nächste Großstadt kommt. Und schließlich ist er nicht mehr auf den starren Fahrplan der öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen, die in ländlichen Gebieten meist nur einmal pro Stunde oder gar nur zwei- oder dreimal pro Tag fahren. Die Folge bringt Hansen so auf den Punkt: „Ruhe, grüne Flächen und günstige Wohnkosten werden auf einmal wichtiger, und der ländliche Raum wird wieder interessanter.“
Auch nach Ansicht der Unternehmensberatung McKinsey wird die Einführung von selbstfahrenden Fahrzeugen den Carsharing-Markt revolutionieren. „Robotaxis können neue Angebote auch in kleineren Städten wirtschaftlich machen“, sagt Kersten Heineke, Partner im Frankfurter Büro von McKinsey. Nach seiner Schätzung könnten in Jahr 2030 bis zu 16 Prozent aller verkauften Autos als fahrerlose Taxis – eben als Robotaxis – für neue Mobilitätsdienste eingesetzt werden.

Preisgefälle nimmt ab
Und das hat Folgen. „Die Nähe zu U-Bahnhöfen würde an Bedeutung für den Wert einer Wohnung abnehmen“, vermutet Harald Simons, Mitglied des Vorstands der Beratungsgesellschaft empirica. „Mit selbstfahrenden Autos geht der Vorteil eines überlegenen Infrastrukturangebots in den Städten teilweise verloren“, betont auch Fredy Hasenmaile von Credit Suisse. „Das gilt vor allem für den öffentlichen Verkehr. Denn mit autonomen Autos lassen sich die Mobilitätsbedürfnisse auf dem Land in Zukunft genauso gut abdecken wie in der Stadt.“ Dennoch rechnet der Immobilienexperte nicht damit, dass abgelegene Ortschaften plötzlich zu Hotspots werden. Profitieren von der Entwicklung werden seiner Ansicht nach vielmehr die Gemeinden im Umkreis der Großstädte.
Dramatische Preiseinbrüche in den Stadtzentren befürchtet der Researcher nicht. Dabei argumentiert er mit der anhaltenden Anziehungskraft der Kernstädte gerade auf Arbeitskräfte. „Trotz der Möglichkeiten der Digitalisierung und der neuen Kommunikationstechnologien, arbeiten wir nach wie vor in zentral gelegenen Büros zusammen, da der informelle Informationsaustausch entscheidend für die Produktivität ist“, sagt Hasenmaile. Deshalb lautet seine Prognose in Bezug auf die Immobilienpreise: „Das Preisgefälle zwischen Zentrum und Peripherie nimmt ab – nicht weil die Preise im Zentrum sinken, sondern weil das Umland eine Aufwertung erfährt.“
Ob es tatsächlich so kommt, lässt sich naturgemäß nicht beweisen – noch sind ja fahrerlose Autos nicht im Regelbetrieb unterwegs. Doch auch Eckard Minx, Vorstandsvorsitzender der Daimler und Benz Stiftung, hält die Auswirkungen autonomer Fahrzeuge auf die Immobilienwirtschaft für kaum absehbar. „Es wird mit Sicherheit Einflüsse auf die Stadtentwicklung geben“, sagte er auf einer Veranstaltung des Instituts der deutschen Immobilienwirtschaft (iddiw). „Wie weit das autonome Fahren das Leben der Menschen verändert, muss Gegenstand einer gesellschaftlichen Debatte sein.“ Um herauszufinden, wie sich fahrerlose Autos auf die Städte auswirken werden, hat die Daimler und Benz Stiftung im Juni 2017 das Forschungsvorhaben „AVENUE21 – Autonomer Verkehr: Entwicklungen des urbanen Europa“ in Auftrag gegeben.
Weniger Parkflächen benötigt
Einer der Forschungsgegenstände ist die Frage, welche Folgen das autonome Auto auf den Parkplatzbedarf haben wird. „Es wird davon gesprochen, dass in einigen Quartieren bis zu 40 Prozent der innerstädtischen Fläche zurückgewonnen werden können, wenn parkende Autos andernorts untergebracht werden oder wenn sie gar nicht erst ruhen“, sagt Mathias Mitteregger von der Fakultät für Architektur und Raumplanung der Technischen Universität Wien. Er ist wissenschaftlicher Leiter des Forschungsvorhabens AVENUE21.
„Autonome Autos müssen zwar auch irgendwo geparkt werden, aber nicht mehr zwingend im Stadtzentrum“, argumentiert auch Fredy Hasenmaile von Credit Suisse. „Parkplätze können deshalb künftig anderweitig genutzt werden und erhöhen dadurch das Flächenangebot in den Zentren.“ In den USA könnte nach Angaben der Beratungsgesellschaft McKinsey auf diese Weise rund ein Viertel des Parkraums für andere Nutzungen frei werden.
Entwicklung beschleunigt sich
Eine genaue Prognose, wann die geschilderten Entwicklungen eintreten werden, wagen die wenigsten Experten. Eine Rolle wird dabei nicht zuletzt spielen, wie die offenen Fragen rund um diese Form der Mobilität beantwortet werden: Werden die Menschen bereit sein, den Verlust an Selbstbestimmung zu akzeptieren und dem Computer das Lenkrad zu überlassen? Werden die Entwickler eine überzeugende Lösung für die Sicherheitsbedenken präsentieren, die durch einzelne Unfälle autonomer Autos vergrößert worden sind? Und ist der Schutz der persönlichen Daten, die bei der Nutzung eines selbstfahrenden Autos in großer Zahl anfallen, wirklich gewährleistet?
Deutlich ist auf jeden Fall, dass die Entwicklung hin zum fahrerlosen Auto schneller verläuft, als das noch vor wenigen Jahren vermutet wurde. Zukunftsforscher Jens Hansen hält es für vorstellbar, dass im Jahr 2030 viele der skizzierten Tendenzen Realität sein werden. „Deshalb“, betont er mit Blick auf den langfristigen Horizont der Immobilienbranche, „müssen diese Entwicklungen bei Immobilienprojekten schon jetzt antizipiert werden.“
Das unterstreicht auch der renommierte Immobilienexperte Tobias Just. „Es wäre vermessen zu glauben, wir könnten bereits heute alle Effekte haarklein deklinieren“, schreibt der wissenschaftliche Leiter der IREBS Immobilienakademie und Inhaber des Lehrstuhls für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg. „Dafür kennen wir den Fahrplan zum wirklich autonomen Fahren noch nicht. Aber wenn wir es jetzt nicht diskutieren, verbauen wir im wahrsten Sinne des Wortes die Zukunft unserer Städte.“
Das Auto als Logistikzentrum
Massiv auswirken wird sich das fahrerlose Auto auf Logistik- und Einzelhandelsimmobilien. „Im Logistikbereich löst das autonome Auto das Problem der letzten Meile“, sagt Fredy Hasenmaile, Leiter Immobilienresearch bei Credit Suisse. „Denn die bestellte Ware muss nicht mehr zum Kunden gebracht werden, sondern wird in einem innenstadtnah gelegenen Logistikzentrum vom autonomen Auto abgeholt.“ Sollte das tatsächlich so kommen, dürfte sich der Druck auf die Vermieter von Ladenflächen erhöhen. „Da der Online-Handel somit noch komfortabler wird, werden wir künftig deutlich weniger Fläche für den stationären Handel brauchen“, vermutet Hasenmaile.
Wie sich die letzte Meile – also die Lieferung der im Online-Handel gekauften Güter zum Verbraucher – bewältigen lässt, ist bereits heute ein unter Logistikdienstleistern intensiv diskutiertes Thema. Ziel ist es, einen von Lieferwagen verursachten Verkehrskollaps zu vermeiden. Schon jetzt spielen Fahrzeuge bei diesen Überlegungen eine wichtige Rolle. Der zum Daimler-Konzern gehörende Autohersteller Smart und der Zustelldienst DHL kooperieren beispielsweise beim Testprojekt „smart ready to drop“. Dabei wird das Auto zur Logistikdrehscheibe: Teilnehmende Autofahrer können ihren Wagen als Lieferadresse für Online-Bestellungen angeben; der Paketbote deponiert die bestellte Ware dann im Kofferraum, den er über eine App geöffnet hat.
Parkhäuser und Wohnungen: Nichts bleibt, wie es ist
Kein anderer Immobilientypus ist so unmittelbar vom autonomen Auto betroffen wie das Parkhaus. Fachleute halten es für denkbar, dass Parkimmobilien künftig anders konzipiert sein müssen als heute. Denn die Fahrgäste werden dann vor dem Parkhaus aussteigen, und das Auto wird sich selbständig seine Parklücke suchen. Weil dann niemand mehr im Gebäude aussteigen muss, können die Autos enger parken – entsprechend weniger Parkfläche wird benötigt.
Sofern es tatsächlich so kommt, dass künftig eine Flotte von autonomen, digital vernetzten Autos die Mobilität sicherstellt, wirkt sich das auch auf Wohnimmobilien aus. Die heute vielerorts geltende Stellplatzpflicht wäre überholt; erforderlich würden stattdessen Flächen in den Wohnanlagen, die – ähnlich wie ein Taxistand – ein bequemes Ein- und Aussteigen erlauben. Erste Ansätze in diese Richtung werden in der Autostadt Wolfsburg realisiert: Das von VW Immobilien entwickelte Neubauprojekt Steimker Gärten greift aktuelle Mobilitätskonzepte auf, indem es Platz für Carsharing-Modelle und eine öffentliche Ladeinfrastruktur für Elektroautos vorsieht.