
Die Stadt baut auf Holz
Holz könnte helfen, Urbanisierung und Klimawandel unter einen Hut zu bringen. Immer mehr Architekten, Projektentwickler und Investoren entdecken das Baumaterial für die nachhaltige Immobilienwirtschaft. Sind Gebäude in Holzbauweise die Vorboten einer neuen Ära?
Holz ist viel mehr als nur ein Baumaterial. Das Naturprodukt aus dem Wald regt unsere Sinne an und erzeugt in Baukörpern ein einzigartiges Ambiente. Holz wird sogar eine stressmindernde und beruhigende Wirkung zugeschrieben. Da trifft es sich gut, dass der Holzbau für die ressourcen- und klimaschonende Entwicklung von Städten stärker in den Fokus rückt. Bis die Zeit jedoch reif wurde für die Renaissance des Holzbaues bedurfte es vieler Jahrzehnte. Noch Ende der 1980er-Jahre habe kein breites Interesse am Baustoff Holz bestanden berichtet Lignum, die Dachorganisation der Schweizer Wald- und Fortwirtschaft. Das ändert sich nun: Alex de Rijke, Direktor des Londoner Architekturbüros dRMM, ist gar überzeugt: „Holz ist der neue Beton“.
Beginnt nun das Holzzeitalter?
Nachwachsendes Holz ist in der Tat eine vielversprechende Alternative zu Stahl und Beton. Das seit rund 300 Jahren gelebte Prinzip der nachhaltigen Fortwirtschaft scheint sicherzustellen, dass immer genug Holz vorhanden ist. Architekt Michael Green erwähnt in einem Beispiel aus Nordamerika, dass in 13 Minuten genug Holz für ein 20-geschossiges Gebäude nachwächst. Allein in Österreichs Wäldern entsteht in jeder Sekunde ein neuer Kubikmeter Holz. In dem Blog holzistgenial.at heißt es daher für das waldreiche Land, dass bereits ein Drittel des jährlichen Holzzuwachses genügen würde, um das gesamte Hochbauvolumen eines Jahres daraus zu errichten.
Ökologisch, klimaschonend, technologisch überzeugend
Holz als Baumaterial scheint auch in anderen Ländern ausreichend vorhanden. Im urbanen Kontext verbaut schützt es obendrein das Klima, denn jeder Kubikmeter Holz bindet eine Tonne Kohlendioxid. Damit verlängern Holzhäuser den Kohlenstoffspeicher aus dem Wald und werden selbst ein Teil zur Lösung des weltweiten Klimaproblems. Auch beim Herstellungsprozess zeigt sich: Gegenüber Beton werden etwa 50 Prozent CO2-Emissionen eingespart, gegenüber Metall immerhin noch ein Drittel. Holz besitzt zudem eine gute Isolierfähigkeit, reguliert das Raumklima und die Luftfeuchtigkeit auf natürliche Weise.
Überzeugende Argumente liefert zudem die Holztechnologie, die in den letzten Jahren durch intensive Forschung und Entwicklung neue Holzwerkstoffe hervorgebracht hat. Innovationen wie Cross Laminated Timber (CLT), ein flächiges Holzprodukt aus verleimten Holzlagen, hat den Holzbau geradezu revolutioniert. So bieten große, industriell hergestellte Massivholzplatten die gleiche Druckfestigkeit wie Stahlbetonplatten. Computergesteuerte Berechnungs- und Fertigungsmethoden erlauben weit gespannte Tragwerke und große Bauhöhen. Kein Wunder, dass Star-Architekten wie Shigeru Ban das enorme Potential des Holzbaus schätzen. Der Japaner schuf 2013 in Zürich das siebengeschossige Holzgebäude der Mediengruppe Tamedia. Der Baukörper besteht aus 2.000 Kubikmeter Fichtenholz aus der Steiermark.
Holz-Hybrid-Bauten bietet völlig neue Möglichkeiten
Holzbauarchitekt Hermann Kaufmann, Pionier des modernen Holzbaus in Europa, sagte anlässlich einer Veranstaltung: „Der moderne Holz-Hybrid-Bau vereint die positiven Eigenschaften aus Beton-, Stahl- und Holzbau, wodurch völlig neue Möglichkeiten entstehen.“ Das bestätigt die 2017 vom Zukunftsinstitut Österreich veröffentlichte Studie „Die Zukunft des Holzbaus“: „Bei Mischkonstruktionen mit Stahlbeton werden häufig Erschließungskerne mit Treppen und Aufzügen in Stahlbeton ausgeführt. Holz-Beton-Verbunddecken ermöglichen im Bürobau größere Spannweiten und geringere Deckenstärken. Darüber hinaus haben sie gute schall- und brandschutztechnische Eigenschaften.“
Gegenüber klassischen Bauten findet das Bauen mit Holz allerdings weniger auf der Baustelle, als vielmehr in einer Produktionshalle statt. Die witterungsunabhängige Vorfertigung von Holzmodulen und seriellen Holzbauteilen überzeugt, weil beides die Bauzeit verkürzt und dadurch die Baukosten ein Stück weit senken kann. Für das 20.000 Quadratmeter große Bürogebäude „T3“ (Timber, Transit, Technology) in Minneapolis, USA, wird die Bauzeit der Holzstruktur mit weniger als zehn Wochen angegeben. Die Maßarbeit in der Halle liefert zudem eine hohe Präzision im späteren Gebäude. Das Studentenheim „Woodie“ in Hamburg gilt als gelungenes Beispiel für die Modulbauweise mit vorgefertigten Raumzellen. Nicht zuletzt schlägt die Wiederverwendbarkeit von Holz positiv zu Buche. Der Ratinger Projektentwickler Interboden plant in Düsseldorf gerade ein Holz-Hybrid-Bürogebäude und nennt es passenderweise „The Cradle“ in Anlehnung an die Wiederverwertung von Baumaterialien nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip.

Neue Bauordnungen sorgen für Rückenwind
Zahlreiche Institutionen und Initiativen beschäftigen sich mit der Förderung des Holzbaus und leisten Aufklärungsarbeit. Brandschutz ist eines von vielen Themen. Heute gilt als gesichert, dass ausreichend dimensionierte Holzstützen länger halten als hitzeempfindlicher Stahl. Unter der verkohlten Schicht bleibt Holz unbeschädigt, wodurch die Tragfähigkeit lange erhalten bleibt. Letztendlich müssen jedoch baurechtliche Hürden fallen, damit Gebäude aus Holz in den Städten Fuß fassen können.
Erst seit 2017 sind beispielsweise in Hamburg bis zu 22 Meter hohe Holzbauten erlaubt. Die Hansestadt änderte dafür ihre Bauordnung – als zweites Bundesland nach Baden-Württemberg. „Die deutschen Landesbauordnungen kippen zur Zeit“, bestätigt Arnim Seidel, Geschäftsführer im Berliner Informationsverein Holz e.V. In Hamburg können nun sechs bis sieben Stockwerke mit tragender Holzbauweise errichtet werden, zuvor waren maximal drei Geschosse erlaubt. Allerdings stellt in Hamburg auch die neue 22-Meter-Grenze für Holzgebäude keine unüberwindbare Hürde dar. So plant die Garbe Immobilien-Projekte GmbH in der Hafencity derzeit das höchste Holzhochhaus Deutschlands. 2021 soll die 18-geschossige „Wildspitze“ in der Hansestadt weithin sichtbar sein. Grabe-Geschäftsführer Fabian von Köppen erklärt: „Durch die Änderung der Hamburger Bauordnung wird eine Befreiung für die Realisierung eines 60 Meter Hochhauses wesentlich vereinfacht.“ Damit ist die „Wildspitze“ ein würdiger Kandidat für die Rallye der weltweit höchsten Holzhäuser.
Wo steht das höchste Holzhochhaus?
Als höchstes Holzhaus der Welt galt 2015 das 51 Meter hohe Wohngebäude „Treet“ (Baum) in Bergen, Norwegen. 2017 wurde es vom 53 Meter hohen „Brock Commons Tallwood House“ in Vancouver, Kanada, einem Wohnheim für 400 Studierende der University of British Columbia, überholt. In Österreich wird das „HoHo“ in der Wiener Seestadt Aspern dieses Jahr mit 84 Metern fertiggestellt und in Kürze die Rallye anführen.
Investoren schauen auf Baukosten und Image
Kosteneffiziente Lösungen sind gefragt, auch muss sich das Bauen mit Holz gegenüber dem Massiv- und Stahlbau beweisen. Hier hat ein Umdenken stattgefunden, bestätigt Armin Seidel. „Früher wurde Holzbau als Leichtbauweise bezeichnet mit Vorstellungen von billig und minderwertig. Heute würde keiner ernsthaft mehr behaupten, der Holzbau ist billiger als die Arbeit mit mineralischen Baustoffen.“ Die Baukosten sind daher ein zentrales Thema. Für die „Wildspitze“ zieht Fabian von Köppen einen Vergleich: „Noch ist der Holzbau 10 Prozent teurer als die konventionelle Bauweise. Die Aufführungspräzision durch die hohe Vorfertigung und die wesentlich kürzere Bauzeit kompensieren die Mehrkosten zum Teil.“
Interboden-Geschäftsführer Vanja Schneider betont für „The Cradle“ jedoch: „Die Frage nach den Mehrkosten ist für mich sekundär, da ich überzeugt davon bin, dass wir für dieses ökologisch nachhaltige Gebäude den richtigen Nutzer und Eigentümer finden, der das auch würdigt.“ Sein Unternehmen ist vom positiven Image-Effekt überzeugt und dürfte damit richtig liegen. Eine in diesem Jahr veröffentlichte Studie der Universität Linz bestätigt, dass Unternehmen mit Gebäuden in Holzbauweise deutlich positiver wahrgenommen werden. „Die Reputationswirkung ist in Summe um 12 Prozent höher als bei Firmengebäuden in mineralischer Bauweise“, zitiert holzistgenial.at den Corporate Architektur-Aspekt.
Potential des urbanen Holzbaus
Die größten Chancen für den Holzbau in Deutschland sieht Arnim Seidel im mehrgeschossigen Wohnungsbau. Für reine Büro- und Verwaltungsgebäude ist in Deutschland die Nachfrage noch relativ gering“, sagt Seidel. Bis Holzhäuser bei gewerblichen Investoren spürbar ankämen, würden noch Jahre ins Land gehen. Die Gründe sind vielfältig, wie die Universität Bochum 2017 zum Einfluss des Bauens mit Holz im Rahmen des Klimaschutzes untersucht hat. Für Deutschland werden allein 19 Hemmnisse identifiziert. Obwohl die Autoren eine massive Steigerung der Holzbauquote für notwendig halten, dürfte es daher zumindest in Deutschland noch dauern, bis Holzbauten zum neuen Ideal moderner Architektur und Baukunst avancieren.
Allerdings lässt sich nicht mehr übersehen, dass Holzgebäude in Städten an Bedeutung gewinnen, wie die wachsende Zahl internationaler Projekte zeigt. In Paris etwa soll auf einer Fläche von 125.000 Quadratmetern mit dem „Arboretum“ ein gigantischer Bürocampus in Massivholzbauweise errichtet werden. Kann also gut sein, dass Londons Holzhauspionier Andrew Waugh richtig liegt mit seiner Einschätzung: „Dies ist der Beginn des Holzzeitalters.“
Von Elke Hildebrandt
Holz als „Joker“ im Wohnungsbau
Holz bietet einen entscheidenden Vorteil, wenn es um die Nachverdichtung in Städten geht. Dank der hohen Tragfähigkeit bei geringerem Eigengewicht werden Dachaufstockungen durch Holzkonstruktionen buchstäblich erleichtert - angesichts knapper Flächen ein großes Plus für den urbanen Wohnungsbau.
Aber auch im städtischen Neubausektor punktet Holz. Der hohe Vorfertigungsgrad und die kurze Bauzeit von Holzbauten können bei lokaler Wohnungsnot zügig für Abhilfe sorgen. In Berlin-Adlerhof nutzt die Howoge diese Vorteile und baut gerade drei mehrgeschossige Typenhäuser. Mit dem Architekturbüro Kaden + Lager plant das kommunale Wohnungsunternehmen insgesamt rund 1.000 Wohnungen in Holzhybridbauweise, davon die Hälfte im sozialen Wohnungsbau – eine Seltenheit bislang. Der Grund für die niedrigen Einstiegsmieten ab 6,50 Euro pro Quadratmeter liege im Einsatz des Baustoffes Holz, der gemäß Architekt Markus Lager keine Mehrkosten zum konventionellen Bauen bedeutet und wegen der Holzrahmenbauweise gleichzeitig eine größere Bruttogeschossfläche ermöglicht.
Dass Wohngebäude aus Holz nicht teurer sein müssen bestätigt TRADA, die internationale Gesellschaft für Holzforschung und Entwicklung. Sie stellte kürzlich ein detailliertes Kostenmodel vor: Demnach sind im Wohnungsbau die Kosten von CLT (Cross Laminated Timber) gegenüber denen von Stahlbeton „vergleichbar“.