Gemischt genutzte Hochhäuser: Ein Trend erreicht Deutschland

In vielen Ländern kennt man sie schon lange: Wolkenkratzer, die unterschiedliche Nutzungen – Büros, Hotel, Wohnungen – in einem Gebäude vereinen. Jetzt nehmen solche Hochhäuser auch in Deutschland Gestalt an. Damit sie erfolgreich sind, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein.

Es ist einer der letzten Hochhausstandorte im Frankfurter Bankenviertel: das ehemalige Metzler-Areal in der Großen Gallusstraße. Dort wird Anfang 2019 der 183 Meter hohe Omniturm fertig gestellt. Der von Tishman Speyer entwickelte und vom Architekturbüro Bjarke Ingels Group entworfene Wolkenkratzer ist nicht nur architektonisch bemerkenswert, sondern auch wegen der vorgesehenen Nutzungsmischung: Er wird kein reiner Büroturm, sondern vereinigt in sich gleich drei unterschiedliche Nutzungen: Neben rund 44.000 Quadratmeter Bürofläche gibt es gut 8.000 Quadratmeter Wohnfläche sowie einen öffentlich zugänglichen Bereich mit Läden und Restaurants.


Dass der Trend hin zu gemischt genutzten Hochhäusern jetzt auch Deutschland erfasst, zeigen neben dem Omniturm noch andere Projekte. In Berlin etwa wurde 2017 das Upper West, ein 118 Meter hoher Büro- und Hotelturm in der City-West, fertig gestellt. In Hamburg wird voraussichtlich 2020 der Bau des 200 Meter hohen Elbtowers in der Hafencity beginnen, der Büros, ein Hotel, Ausstellungs- und Veranstaltungsflächen und möglicherweise auch Wohnungen umfassen wird. Sogar in kleineren Städten ist die Entwicklung angekommen – im 116.000 Einwohner zählenden Reutlingen etwa  wächst ein Büro- und Wohnhochhaus namens Stuttgarter Tor in die Höhe. „Projektentwickler haben keine Scheu mehr vor gemischt genutzten Hochhäusern“, stellt Magnus Kaminiarz fest. „Die Bewegung geht momentan deutlich in diese Richtung“, sagt der Frankfurter Architekt, der zu den führenden deutschen Hochhausplanern gehört. 


172 Meter hoch ist Deutschlands höchstes Wohnhochhaus: der Grand Tower in Frankfurt am Main.
Willi Brandt/Agentur Markenguthaben/dpa/ Susann Prautsch/dpa

Investoren denken um

Damit holt Deutschland eine Entwicklung nach, die international gang und gäbe ist. „In den USA und Asien“, sagt Matthias Leube, CEO der Immobilienberatungsgesellschaft Colliers International Deutschland, „gibt es gemischt genutzte Hochhäuser bereits seit vielen Jahren.“ In Deutschland hingegen war die Diskussion um Hochhäuser lange von Single-Use-Projekten dominiert. Frankfurts Skyline-prägende Wolkenkratzer beispielsweise beinhalten – abgesehen von einzelnen Restaurants und Geschäften im Erdgeschoss – fast ausschließlich Büroflächen. In letzter Zeit wird die öffentliche Debatte hingegen von Wohnhochhäusern beherrscht - schon aufgrund der zunehmenden Flächenknappheit und dem Trend zur baulichen Verdichtung der Städte. Prominente Beispiele für solche Projekte mit ihren meist sehr teuren Wohnungen sind der Grand Tower in Frankfurt und das (noch nicht realisierte) Hines-Hochhaus am Berliner Alexanderplatz.


Eine solche monofunktionale Nutzungsstruktur entspricht traditionell durchaus den Wünschen der Immobilieninvestoren. „Anleger wollen in der Regel in die eine oder andere Assetklasse investieren“, erläutert Matthias Leube von Colliers International. „Mittlerweile sehen wir aber sukzessive, dass auch eine Mischnutzung als Investmentprodukt akzeptiert wird.“ Das bestätigt Sven Carstensen, Leiter der Niederlassung Frankfurt der Beratungsgesellschaft bulwiengesa: Vor dem Hintergrund der starken Nachfrage nach Immobilien seien Investoren heute „weit weniger wählerisch als früher“ und eher bereit, in gemischt genutzte Objekte zu investieren. Dafür gebe es gute Gründe, heißt es bei der auf Hochhäuser spezialisierten Frankfurter Projektentwicklungsgesellschaft Groß & Partner: „Investoren erkennen, dass die gemischte Nutzung zwar eine komplexere Verwaltung und Betreuung mit sich bringt, aber langfristig mehr Ertragssicherheit und Wertsteigerung verspricht", sagt Sprecher Philipp Cronemeyer


Dass sich Investoren sehr wohl für hybride Hochhäuser begeistern können, beweist das Upper West in Berlin. Dieser Turm umfasst ein Hotel der Marke Motel One, Büro- und Einzelhandelsflächen sowie eine Skybar in der obersten Etage. Obwohl das Upper West erst vor kurzem fertig gestellt wurde, hat es bereits zweimal den Eigentümer gewechselt: Strabag Real Estate als Projektentwickler veräußerte das Vorhaben an die RFR Holding, die das Upper West dann Ende 2017 im Paket mit weiteren prestigeträchtigen Immobilien in deutschen Großstädten an die österreichische Signa-Gruppe weiterreichte.


Hochhaus schon ab 22 Metern. Wer an Hochhäuser denkt, sieht vor seinem geistigen Auge Wolkenkratzer. Doch um bautypologisch als Hochhaus zu gelten, muss ein Gebäude keineswegs 100 oder gar 150 Meter hoch sein. Die Definition liefern die Experten von bulwiengesa: „Als Hochhaus gilt ein Gebäude in Deutschland gemäß den Landesbauordnungen, wenn sich die Oberkante des Fertigfußbodens des letzten bewohnten Geschosses bzw. Aufenthaltsraumes in einer Höhe von mehr als 22 Metern über der für das Aufstellen von Feuerwehrfahrzeugen notwendigen Geländeoberfläche befindet.“

Weniger Risiko dank Nutzungsmischung

Ebenfalls überzeugt vom Potenzial gemischt genutzter Hochhäuser ist die Fondsgesellschaft Commerz Real. Sie entwickelt gemeinsam mit Groß & Partner das One Forty West, einen 140 Meter hohen Turm in Frankfurt am Main, der in den unteren Stockwerken ein Vier-Sterne-Hotel und ab der 24. Etage Miet- und Eigentumswohnungen umfasst. Andreas Muschter, der Vorstandsvorsitzende von Commerz Real, hält diese Kombination nicht zuletzt deshalb für vorteilhaft, weil „die Bewohner die Dienstleistungen des Hotels mitnutzen und ihre Gäste im Hotel unterbringen können“. Das ist in seinen Augen jedoch nicht der einzige Vorteil. „Reine Wohnhochhäuser sind ein wenig langweilig“, meint er. „Und man hat immer das Problem, dass die unteren Etagen zum Wohnen nicht so attraktiv sind wie die oberen.“


Hinzu kommt als weiterer Vorteil die Risikodiversifikation, wie Matthias Leube von Colliers International ausführt. Da in den unteren Etagen eines Hochhauses weniger hohe Büromieten als in den oberen zu erzielen seien, habe ein Hotel im unteren Bereich durchaus seinen Charme. Und Architekt Magnus Kaminiarz macht darauf aufmerksam, „dass gerade bei sehr hohen Türmen die Vermarktung einer großen Zahl an Wohnungen unter Umständen problematisch sein kann“. Welche Rendite mit gemischt genutzten Hochhäusern verbunden ist, lässt sich wegen der geringen Zahl der Transaktionen in diesem Segment nicht genau beziffern. Auf Schnäppchen dürfen Investoren jedoch nicht hoffen, wie eine Transaktion in Berlin beweist: Dort ist nach Angaben der Beratungsgesellschaft JLL vor kurzem das Kudamm-Eck, ein kleineres Hochhaus mit Hotel und Einzelhandel, verkauft worden – für das 33fache der Jahresmiete.


Erschließung und Sicherheit als Herausforderungen

Unproblematisch ist die Realisierung von Mischnutzungskonzepten allerdings nicht. So gilt es zum Beispiel dafür zu sorgen, dass Bürobeschäftigte, Hotelgäste und Wohnungsmieter sich nicht in die Quere kommen. Das sei aber durchaus machbar, sagt Architekt Magnus Kaminiarz. „So besteht zum Beispiel die Möglichkeit, das Entrée auf zwei Ebenen zu legen, so dass der Büro- und der Hotel- oder Wohnteil eine getrennte Lobby erhalten.“ Auch Philipp Cronemeyer vom Projektentwickler Groß & Partner sieht in diesem Punkt kein Konfliktpotenzial. „Zugänge und Erschließung werden separiert“, erläutert er. „Für unsere international erfahrenen Architekten sind diese Konzepte quasi Alltagsgeschäft, da gemischt genutzte Hochhäuser weltweit Standard sind.“ Ähnliches gilt auch für den Umstand, dass Büros ein anderes Stützenraster brauchen als ein Hotel oder Wohnungen: Auch das sei kein unüberwindbares Hindernis, sagt Architekt Kaminiarz.


Offen bleibt dann aber immer noch die Frage, wie die Nutzer ihren jeweiligen Bereich des Hochhauses erreichen – schließlich möchte keine Rechtsanwaltskanzlei, dass plötzlich Hotelgäste hereinplatzen, die sich in der Etage vertan haben. Hier hilft die technologische Entwicklung. „Die Industrie hat die Steuerung der Aufzugsanlagen verbessert“, erklärt Kaminiarz. „Und die Zugangssteuerung der Aufzüge sorgt dafür, dass Unbefugte keinen Zutritt zu den Büroetagen erhalten.“ „In einem gemischt genutzten Hochhaus wie dem Omniturm spielt innovative Technik eine immer bedeutendere Rolle“, sagt auch Florian Reiff, Senior Managing Director von Tishman Speyer. Im Omniturm werde deshalb das vom Schweizer Aufzugbauer Schindler entwickelte System Port eingesetzt. Dieses stellt sicher, dass jedem Nutzer über eine Smartphone-App oder ein Chipkarten-Lesegerät ein Aufzug zugewiesen wird, der ihn dann an sein Ziel führt. Das Prinzip funktioniert auch bei den 147 Wohnungen im Omniturm: Die Bewohner kommunizieren über die App mit ihren Besuchern und öffnen diesen mit einem Klick auf die Einladungstaste die Tür. Gleichzeitig stellen sie damit den Aufzug bereit, der die Gäste in ihre Etage bringt. Demselben Prinzip folgt die Besucherverwaltung der Büromieter.


Gut für die Stadt

Bei alledem liegen Mischnutzungskonzepte nach Ansicht ihrer Befürworter auch, wie eingangs erwähnt, im Interesse der Stadtentwicklung insgesamt- und dies längst nicht nur wegen der Möglichkeit, beim Bau von Wohnungen platzsparender mit dem in Städten besonders kostbaren Gut Grund und Boden umzugehen. „Nutzungsmischung ist das A und O für eine lebendige Stadt“, betont der Berliner Architekt Christoph Langhof, der für den Entwurf des Upper West verantwortlich war. Langhof spricht sich deshalb vehement für eine Mischnutzung aus und gegen Hochhäuser, die ausschließlich zum Wohnen oder Arbeiten genutzt werden. „Bei einem reinen Wohnhochhaus droht die Gefahr, dass eine Schlafstadt entsteht“, argumentiert er. „Und das ist ebenso falsch wie eine reine Bürostadt.“ Um seinen Ideen Nachdruck zu verleihen, hat Langhof ein idealtypisches Hochhaus namens Epsilon entworfen, das bisher allerdings noch nirgends realisiert worden ist. Das Epsilon hat eine Pyramidenform und ist mit einer Höhe von gut 60 Metern ein eher niedriges Hochhaus – nicht ohne Grund: Hochhäuser bis zu dieser Höhe sind nach Angaben Langhofs im Bau nicht wesentlich teurer als niedrigere Gebäude. Erst oberhalb der 60 Meter gelten nämlich verschärfte Brandschutzanforderungen, welche die Kosten weiter in die Höhe treiben.


„Eine Mischnutzung tut der Stadt definitiv gut“, sagt auch Sven Carstensen von bulwiengesa. Trotzdem hält sich seine Euphorie über gemischt genutzte Hochhäuser in Grenzen. Er verweist darauf, dass viele kleinere Wohnungen in Hochhäusern von Pendlern genutzt würden und am Wochenende leer stünden. Unterschiedliche Nutzungen, so der Experte, müssten nicht unbedingt in einem Haus konzentriert werden, sondern könnten auch über ein Quartier verteilt werden. Genau diesen Ansatz verfolgt in manchen Fällen auch der Projektentwickler Groß & Partner. „Wenn die Möglichkeit besteht, gemischt genutzte Quartiersentwicklungen zu betreiben, dann ist nicht zwingend die Mischung der Nutzung innerhalb eines Gebäudes erforderlich“, sagt Sprecher Philipp Cronemeyer. „Aus dem Nebeneinander eines Hotels und eines Wohn- oder Bürogebäudes lassen sich die gleichen Synergien ziehen.“ Konkret beschreitet Groß & Partner diesen Weg beim Hochhausprojekt Four in Frankfurt: Auch dort gibt es mehrere Nutzungen – aber nicht innerhalb eines Turms, sondern verteilt auf vier Hochhäuser. 


Titelbild: Zabel Property

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