Keine Integration ohne Jobs

Gut eine Million Menschen haben im vergangenen Jahr in Deutschland Zuflucht vor Krieg, Verfolgung und Armut gesucht. Flüchtlinge, die auf Dauer hier bleiben werden, müssen in den Arbeitsmarkt integriert werden. Die Frage, wie dies geschehen kann, beschäftigt auch Immobilienunternehmen.

Keine Integration von Flüchtlingen ohne Arbeit – diese Überzeugung eint Politiker, Vertreter gesellschaftlicher Gruppen und Wirtschaftsfachleute. „Nur durch eine arbeitsmarktliche Integration kann auch eine gesellschaftliche Integration von Dauer sein“, sagt beispielsweise Raimund Becker, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit. Und Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), ist überzeugt, „dass Ausbildung, Qualifizierung und anschließender Einstieg in den Beruf die besten Voraussetzungen für Integration sind“.


Dass die Flüchtlingszahlen in der ersten Hälfte dieses Jahres wegen der Schließung der Balkanroute deutlich hinter den Zahlen des Vorjahres zurückgeblieben sind, ändert nichts daran, dass die Zuwanderung Gesellschaft und Wirtschaft vor große Herausforderungen stellt.


Doch nicht nur aus gesellschaftlicher Verantwortung engagieren sich Unternehmen dafür, dass Asylsuchende möglichst schnell Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Vielmehr hoffen sie auch, durch die Zuwanderung den Fachkräftemangel lindern zu können. Der prägt längst nicht nur wirtschaftsstarke Regionen, sondern auch strukturschwache Gegenden. Im Arbeitsagenturbezirk Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) etwa können die Betriebe fast jeden vierten Ausbildungsplatz nicht besetzen, weil es an geeigneten Bewerbern fehlt. 


Eine Chance für die Unternehmen

„Wir sehen die Zuwanderung als Chance, neue, motivierte Mitarbeiter zu gewinnen“, sagt denn auch Heinz Scheve, Geschäftsführer der Deutschen TGS, die zu Deutschlands größtem Wohnungskonzern Vonovia gehört. Die Vonovia sucht derzeit bundesweit zahlreiche neue Mitarbeiter vor allem im handwerklichen Bereich – und einen Teil dieser Arbeitsplätze möchte der Konzern mit Flüchtlingen besetzen. Deshalb hat er eine Kooperation mit dem Jobcenter Gelsenkirchen geschlossen, in deren Rahmen bereits mehrere Flüchtlinge eine Stelle als Bauhelfer bei der Vonovia gefunden haben. Dieses Modell will der Konzern auf andere Städte übertragen. Dabei seien „vor allem regulatorische Vorgaben eine Herausforderung “, sagt eine Vonovia-Sprecherin – etwa der Status des Asylantrags und die gesetzlichen Wartefristen, aber auch das Fehlen von Sprachkenntnissen und Führerschein.


Qualifikation: Es fehlt an Daten

Zahlreiche Stellen bietet Vonovia auch auf der von Berliner Studierenden entwickelten Plattform workeer.de an, die Praktika und Jobs in unterschiedlichsten Branchen an Flüchtlingen vermittelt. Dass auf dieser Website hauptsächlich Mitarbeiter für gering qualifizierte Tätigkeiten gesucht werden, ist kein Zufall. Denn die gelegentlich geäußerte Hoffnung, dass zahlreiche hochqualifizierte Fachkräfte nach Deutschland strömen würden, hat sich nicht bewahrheitet – auch wenn unter den Flüchtlingen keineswegs nur Analphabeten sind.


Repräsentative Daten über die Qualifikationen von Flüchtlingen liegen bisher allerdings nicht vor. Anhaltspunkte zum wichtigsten Herkunftsland – Syrien – gibt eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln. Demnach wurden 2011, also zu Beginn des Bürgerkriegs, in Syrien 97 Prozent der Kinder eines Altersjahrgangs eingeschult. Im selben Jahr waren immerhin 15 bis 20 Prozent eines Altersjahrgangs an einer Hochschule eingeschrieben. „Viele syrische Flüchtlinge bringen bereits Berufsqualifikationen mit, an die in Deutschland angeknüpft werden kann“, heißt es in einer Studie des IW Köln.


Im März 2016 waren laut IW Köln 53.500 Personen aus den vier wichtigsten Herkunftsländern (Syrien, Eritrea, Irak und Afghanistan) sozialversicherungspflichtig beschäftigt, davon knapp die Hälfte auf dem Anforderungsniveau eines Helfers. Auf der anderen Seite waren im Mai dieses Jahres 123.500 Personen aus diesen vier Ländern arbeitslos gemeldet. Diese Entwicklung sei jedoch nicht so problematisch, wie es auf den ersten Blick scheine, halten die Experten des IW Köln fest. „So ist aus der Vergangenheit bekannt, dass die Arbeitsmarktintegration von als Flüchtlingen zugewanderten Personen deutlich langsamer verläuft als die Integration anderer Zuwanderungsgruppen.“ Dieser Rückstand lasse sich erfahrungsgemäß nach rund 15 Jahren Aufenthalt in Deutschland aufholen.


Frühere Zuwanderungsphasen lassen sich allerdings nur begrenzt mit der aktuellen Situation vergleichen. Die große Zuwanderungswelle der 1960er und frühen 1970er Jahre prägten Gastarbeiter aus südeuropäischen Ländern, die explizit zum Arbeiten in die alte Bundesrepublik kamen. Nach der Jahrtausendwende waren es dann vor allem Menschen aus den alten und neuen EU-Staaten, die den Weg nach Deutschland fanden. Nach Angaben des ZBW Leibniz-Informationszentrums Wirtschaft stieg dadurch das Bildungsniveau der Zuwanderer deutlich: Während in den frühen 1990er Jahren 13 Prozent der Zuwanderer einen Universitätsabschluss hatten, waren es zwischen 2005 und 2009 bereits 37 Prozent.


Herausforderung Sprachkenntnisse

Weil die Quote bei den heutigen Flüchtlingen deutlich niedriger sein dürfte, äußern sich Immobilienunternehmen zurückhaltend, was die Chancen der Beschäftigung in höher qualifizierten Jobs betrifft. „Innerhalb der Bilfinger Real Estate gibt es bisher noch keine gezielte Ansprache von Flüchtlingen als Arbeitskräfte“, sagt Anne Tischer, Pressesprecherin der Bilfinger Real Estate GmbH. Sie begründet dies damit, „dass für die von Bilfinger Real Estate erbrachten Beratungs- und Immobilienmanagementleistungen Spezialisten mit immobilienwirtschaftlichen Fachabschlüssen benötigt werden“. Die Tochtergesellschaft Bilfinger Scheven hingegen, die auf Rohrleitungsbau spezialisiert ist, hat im Rahmen des vom Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft e.V. getragenen Projekts „Perspektiven für Flüchtlinge“ zwei Praktikumsplätze an syrische Flüchtlinge vergeben. Weitere Praktika sollen folgen.


Ähnlich ist die Situation beim Immobiliendienstleister Strabag Property and Facility Services. „Bei unserem Industriedienstleister DIW beschäftigen wir schon heute Menschen aus 30 Nationen, so dass es durchaus wahrscheinlich ist, dass in Zukunft auch Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan zu unseren Mitarbeitern zählen werden“, sagt Unternehmenssprecher Oliver Stumm. Er weist allerdings auf ungelöste Probleme hin: Für eine dauerhafte Beschäftigung müsse der Aufenthaltsstatus geklärt sei; zudem gestalte sich die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse oft nicht einfach. „Wichtig“, ergänzt Bilfinger-Sprecherin Anne Tischer, „sind vor allem die Sprachkenntnisse. In der Sprachförderung sehen wir deshalb auch eine zentrale Aufgabe der Politik.“


Tatsächlich bemühen sich mittlerweile diverse Organisationen, die Jobchancen der nach Deutschland gekommenen Menschen zu verbessern. So stellte die Bundesagentur für Arbeit Mittel der Arbeitslosenversicherung für Sprachkurse zur Verfügung, an denen 222.000 Geflüchtete teilnahmen. Und der DIHK startete Anfang 2016 das Aktionsprogramm „Ankommen in Deutschland“, das anstrebt, die Kompetenzen von Flüchtlingen zu erfassen, sie beim Spracherwerb zu unterstützen und Betriebe bei der Qualifizierung von Flüchtlingen zu beraten. „Es ist klar, dass die Integration große Anstrengungen von allen Beteiligten fordert“, betont DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Trotzdem „müssen und wollen wir diejenigen, die jetzt hier sind und langfristig bleiben werden, bestmöglich integrieren und ihnen Perspektiven bieten“. Dazu beitragen soll auch das Netzwerk „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“, das der DIHK zusammen mit dem Bundeswirtschaftsministerium geknüpft hat und das Unternehmen Informationen zu Rechtsfragen sowie Praxistipps zur Integration gibt.


Unterstützung für Unternehmen

Ganz konkret an der Qualifikation von Flüchtlingen arbeitet die gemeinnützige Initiative „Joblinge – gemeinsam gegen Jugendarbeitslosigkeit“ (www.joblinge.de), die 2007 von der Unternehmensberatung The Boston Consulting Group und der Eberhard von Kuenheim Stiftung der BMW AG ins Leben gerufen wurde. „Arbeit wird zum Schlüsselfaktor für Integration – sie ist entscheidend für die eigene Würde und finanzielle Unabhängigkeit, für Akzeptanz und gesellschaftliche Teilhabe“, heißt es bei Joblinge. Die Initiative will deshalb Unternehmen bei der Aufnahme neuer Mitarbeiter mit Flüchtlingshintergrund bestmöglich unterstützen.


Im Frühjahr 2016 hat Joblinge in München und Hamburg ein Pilotprojekt namens „Joblinge Kompass“ gestartet. Es richtet sich an neu in Deutschland lebende junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren mit niedriger bis mittlerer Qualifikation mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit. Ihnen vermittelt das Programm berufsrelevante Sprachkenntnisse sowie Unterstützung bei Behördengängen und der Anerkennung von Qualifikationen. Ziel ist es, die jungen Menschen möglichst schnell in Arbeit oder Ausbildung zu bringen. In den nächsten Monaten will Joblinge das Projekt auf andere Städte übertragen. Weitere Unternehmen auch aus der Immobilienbranche sind eingeladen, sich zu beteiligen.


Tatsächlich scheint die Bereitschaft der Betriebe, sich einzubringen, groß zu sein. Laut einer im Frühjahr 2016 durchgeführten Umfrage des IW Köln unter 540 Personalverantwortlichen signalisieren die Unternehmen die grundsätzliche Bereitschaft, Flüchtlinge einzustellen. Allerdings beschäftigen nur acht Prozent der befragten Betriebe tatsächlich geflüchtete Menschen. Für die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt brauche es einen langen Atem, gibt denn auch Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, zu bedenken: „Es ist ein schwieriger und steiniger, aber auf jeden Fall lohnender Weg, auf den wir uns alle machen müssen. Und in 20 Jahren werden wir rückblickend sagen: Wir waren engagiert und realistisch und haben die Chancen bestmöglich ergriffen.“


Titelbild: ddp images

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