Günstig und transparent

Über die Chancen der Blockchain-Technologie für die Immobilienwirtschaft wird seit Jahren diskutiert. Jetzt gibt es endlich erste konkrete Anwendungsfälle. Doch ausgeschöpft ist das Potenzial der Blockchain damit noch lange nicht.

Mangelndes Selbstvertrauen kann man Paul Hülsmann wahrlich nicht bescheinigen. „Die Blockchain-Technologie ist die Zukunft der Finanzindustrie“, sagt der CEO des erst 2018 gegründeten Hamburger Unternehmens Finexity. „Und sie wird langfristig extreme Veränderungen im Kapitalanlagebereich bewirken.“ Finexity hat 2019 ein digitales Wertpapier auf Basis der Blockchain auf den Markt gebracht. Über sogenannte Token können sich damit private und institutionelle Anleger an ausgewählten Immobilien beteiligen.


Finexity ist eines von zahlreichen erst vor Kurzem gegründeten Unternehmen, die für sich in Anspruch nehmen, die Welt der Immobilienanlagen und -transaktionen auf die Basis der Blockchain-Technologie zu stellen und damit grundlegend umzukrempeln. Allein im deutschsprachigen Raum ist die Anzahl dieser Start-ups kaum mehr zu überblicken. Brickmark und Crowdlitoken, Aargos und Klickown, RAAY Real Estate und iFunded, Black Manta und Fundament Securities: Sie alle und noch viele mehr setzen auf das Potenzial der Blockchain-Technologie.


„Turbo für die gesamte Immobilienwirtschaft“

„Die Blockchain ist im Grunde eine Art Datenbank, die den Vorteil hat, dass sie unveränderbar ist, keine Intermediäre braucht und durch ihre dezentral verteilte Speicherung eine hohe Sicherheit garantiert“, sagt Susanne Hügel, Head of Digital Innovation & Business Acceleration bei der international tätigen Immobilienberatungsgesellschaft CBRE. Dass diese Technologie ein großes Potenzial beinhaltet, gilt für die Experten schon lange als ausgemacht. Mittlerweile sind aus den theoretischen Erörterungen aber auch erste praktische Anwendungsfälle erwachsen. So hat die Bundesregierung 2019 eine Blockchain-Strategie verabschiedet, die das Potenzial der Technologie für unterschiedliche Branchen herausarbeitet.


Ein Schwerpunkt liegt dabei im Bereich der Transaktionen von und Beteiligungen an Immobilien. Besonders spektakulär ist ein Deal in der Schweiz: Das Unternehmen Brickmark hat in der Zürcher Bahnhofstrasse von der RFR Holding ein Büro- und Geschäftshaus gekauft, wobei es einen großen Teil des Kaufpreises in Form von Token bezahlt hat. Aufsehen erregte auch die Ankündigung des international tätigen Investmentmanagers Peakside, einen Immobilienfonds für institutionelle Investoren auf einer Blockchain-Plattform aufzulegen.


Brickmark AG (Simulation)

Wie intensiv sich etablierte Immobilienunternehmen mit dem Thema auseinandersetzen, zeigt das Beispiel von RAAY Real Estate. Dabei handelt es sich um ein Gemeinschaftsunternehmen des auf Wohnimmobilien spezialisierten Investmentmanagers Wertgrund Immobilien, des Projektentwicklers Hammer und des Technologie-Start-ups Datarella. Im März 2020 emittierte RAAY einen Security Token, mit dem sich Anleger Ansprüche an einem Gewerbeobjekt in München sichern können. Mit dem Begriff Security Token ist ein digitales Wertpapier gemeint, das reguliert und handelbar ist.


Die Vorteile bringt Datarella-CEO Michael Reuter so auf den Punkt: „Die Blockchain bietet die Möglichkeit, illiquide Assets liquide und weltweit handelbar zu machen, und dies zu sehr geringen Kosten sowie bei höchstmöglicher Transparenz. Damit ist die Blockchain-Technologie eine Art Turbo für die gesamte Immobilienwirtschaft.“


Wie die Fondsbranche profitieren kann

Warum aber engagiert sich eine etablierte Fondsgesellschaft wie Wertgrund für das Blockchain-Thema? „Wir müssen den Fonds neu denken“, antwortet Wertgrund-Vorstand Thomas Meyer. Dabei könne die Blockchain helfen: „Sie ermöglicht eine schnellere Handelbarkeit, spricht jüngere Zielgruppen an und ist sehr kosteneffizient, da sie zum Beispiel keine Verwahrstelle und keine Kapitalverwaltungsgesellschaft braucht.“


Hier wirkt sich das Prinzip der Blockchain aus: Weil alle Informationen unveränderlich und nicht manipulierbar in den Datenblöcken festgehalten sind, braucht es keine Vermittler (Intermediäre) – und damit im Prinzip auch keine Berater, die Privatanlegern Fondsanteile verkaufen. „Anleger“, verdeutlicht dies Finexity-CEO Paul Hülsmann, „werden sich ihr eigenes Portfolio zusammenstellen können, ohne an einen Fondsmanager oder eine Mindesthaltedauer gebunden zu sein.“ Hilfreich ist dabei, dass die Blockchain-Technologie sehr kostengünstig ist. Anleger können sich deshalb schon mit Kleinstbeträgen (bei RAAY ab 10 Euro, bei Finexity ab 500 Euro) an Immobilien beteiligen.


Nach Ansicht von Susanne Hügel von CBRE lohnt es sich auch für Anbieter von Offenen Immobilienfonds, diese „Asset Tokenisation“ im Auge zu behalten. Denn zum einen, so die Analyse Hügels, gebe es ein „Bedürfnis der Kunden, sich ohne Intermediäre an Sachwerten zu beteiligen“. Zum anderen profitiere die Fondsbranche von der Beschäftigung mit der Blockchain, „da die Effizienz der Transaktion steigt und die Kosten sinken“.


ddp images / imageBROKER / Stefan Kiefer

Große Hemmnisse

Allerdings stehen dem Durchbruch der Blockchain-Technologie im Kapitalanlagebereich noch zwei Hindernisse im Wege. Zum einen ist insbesondere in Deutschland die regulatorische Situation ausgesprochen unübersichtlich. „Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erlaubt bereits Token-basierte Schuldverschreibungen, obwohl die zivilrechtlichen Grundlagen noch fehlen“, sagt Martina Hertwig, Partnerin bei der internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Baker Tilly. Vielfältig sind auch die Anlagevehikel, die mit Erlaubnis der BaFin in Form von Token vertrieben werden: Anleihen finden sich ebenso wie Nachrangdarlehen und Genussrechte.


Dabei – und das ist der zweite Punkt – fehlt noch immer ein allgemein zugänglicher Handelsplatz für Security Token. Zwar hat 2019 die Börse Stuttgart die Gründung eines Handelsplatzes für digitale Vermögenswerte angekündigt; dieser ist aber bisher erst eingeschränkt zugänglich.


Die Blockchain bietet die Möglichkeit, bestehende Prozesse zu verschlanken
Jens Wilhelm, Vorstand der Union Asset Management Holding

Chancen für die Gebäudebewirtschaftung

Während die Blockchain-Start-ups im Bereich der Immobilienanlage kräftig die Werbetrommel rühren, droht ein anderes Anwendungsgebiet der innovativen Technologie aus dem Fokus zu geraten. Dabei liegt hier womöglich ein noch größeres Potenzial. „Auch in der Hausverwaltung kann die Blockchain-Technologie die Effizienz erhöhen, indem Mietzahlungen, Instandhaltungsprotokolle und zahlreiche andere Informationen auf der Blockchain – und damit nicht manipulierbar – dokumentiert werden“, sagt Thomas Meyer von Wertgrund Immobilien.


Einen möglichen Anwendungsfall hat Union Investment im vergangenen Jahr beim Emporio-Gebäude in Hamburg getestet. Ziel war es, die erforderliche Prüfung der über 6.000 Brandmelder auf einer Blockchain zu dokumentieren. Die Dienstleister vermerken die Funktionsfähigkeit des Brandmelders mittels eines an jedem Melder angebrachten QR-Codes in der Blockchain. Das hat den Vorteil, dass sich die ordnungsgemäße Wartung künftig gegenüber amtlichen Stellen oder Versicherungen zuverlässig aus der Blockchain nachweisen lässt.


Bei diesem Projekt muss es nicht bleiben. Weitergehende Möglichkeiten bieten sogenannte Smart Contracts, also elektronische Verträge, die automatisch bestimmte Vorgänge ausführen. „Die Blockchain bietet die Möglichkeit, bestehende Prozesse zu verschlanken“, betont deshalb Jens Wilhelm, Vorstand der Union Asset Management Holding. „Auch die mangelnde Manipulierbarkeit und die Reduzierung der Fehleranfälligkeit bei der Übertragung von Daten werden dazu beitragen, dass die Blockchain im Zuge der weiteren Digitalisierung der Immobilienwirtschaft eine wichtige Rolle spielen kann.“


Eine sehr komplexe Technologie

Bei alledem dürfte man aber nicht vergessen, dass es sich bei der Blockchain um eine sehr komplexe Technologie handle, gibt Wilhelm zu bedenken. Diese Technologie sei für die Immobilienbranche zwar extrem relevant, aber sie werde nicht alles auf den Kopf stellen, ist auch CBRE-Expertin Susanne Hügel überzeugt. „Denn bei Immobilien spielen auch qualitative Aspekte eine Rolle, die sich nur schwer, wenn überhaupt, in der Blockchain dokumentieren lassen.“


Selbst Alessandro Dell’Orto, Sekretär der Foundation for International Blockchain and Real Estate Expertise (Fibree), mahnt, nicht in Euphorie zu verfallen. „Die Anwendung der Blockchain in der Immobilienwirtschaft wird sicher großen Nutzen bringen“, hält er fest. „Auf der anderen Seite sind damit aber auch Herausforderungen verbunden, die eine neue Sachkenntnis verlangen, um diese Evolution und Revolution besser verstehen und steuern zu können.“


Von Christian Hunziker


Titelbild: Getty Images

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