Baustellen richtig durch die Krise managen

Lieferverzögerungen, Quarantäne-Anordnungen, Insolvenzen: Die Corona-Pandemie hat auch die Bauwirtschaft getroffen und gefährdet die Fertigstellung von Projekten. Wie Bauherren, Projektgesellschaften und beteiligte Firmen aufkommende Herausforderungen bewältigen können – und was die aktuelle Situation für die Zukunft lehrt.

Die Y-Towers in Amsterdam-Noord sind eines der größten Bauvorhaben Hollands. Hier entsteht das mit 33 Geschossen höchste Hotel der niederländischen Metropole, in dem der Betreiber Maritim 579 Zimmer anbieten wird. Im benachbarten Wohnturm des Ensembles sind 174 Wohnungen geplant, darunter auf zehn Geschossen Serviced Apartments. Hinzu kommt eine Tiefgarage mit 605 Pkw-Stellplätzen. Entsprechend groß ist auch das Investitionsvolumen des Projekts: Rund 460 Millionen Euro sind hier seitens des Investors Union Investment eingeplant. Der ambitionierte Plan: Bis zum Ende des Jahres 2022 soll alles fertiggestellt sein.


Und dabei soll es bleiben – trotz der Corona-Pandemie, die anderenorts die Zeitpläne gehörig durcheinandergewirbelt hat. Denn obwohl der norditalienische Generalunternehmer in seinen Abläufen früh von der Pandemie betroffen war und später die Schließung der innereuropäischen Grenzen die Einreise ausländischer Arbeiter in die Niederlande behindert und Materiallieferungen verzögert hat, liegen die Arbeiten nur leicht hinter Plan. Aufgefangen wurde die Situation, die ohne Beispiel ist, durch gutes Baustellenmanagement. „Die Bauabläufe mussten angepasst werden“, sagt Bent Mühlena, Leiter Immobilienprojektmanagement bei Union Investment. „Das ist nicht einfach, weil die Gewerke genau aufeinander abgestimmt sind – wie ein Getriebe, wo ein Rädchen in das andere greift.“ Doch durch das geschickte Vorziehen, Verlagern und Neujustieren von Arbeiten ist dies geglückt. „Wir waren die einzige Baustelle in der Nachbarschaft, bei der sich die Kräne unvermindert gedreht haben“, betont Mühlena. Die Situation sei „absolutes Neuland“ gewesen. Doch durch eine enge Zusammenarbeit mit allen Beteiligten sei es gelungen, die Herausforderung zu bewältigen.


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Die Corona-Krise habe gezeigt, „dass unvermittelt ein Ereignis eintreten kann, auf das keiner vorbereitet ist und dessen Auswirkungen alle gleichermaßen treffen“, erklärt Stefanie Lütteke, Senior Projektteamleiterin beim Planungs- und Beratungsunternehmen Drees & Sommer. Nachdem dies bei allen Projektbeteiligten anfangs zu großer Unsicherheit geführt habe, würden die meisten Unternehmen zwischenzeitlich über ein gut funktionierendes Krisenmanagement verfügen. „Insbesondere das interne Controlling und Risikomanagement wurde ausgeweitet“, so Lütteke. „Projektentwickler und Investoren prüfen anstehende Projekte jetzt hinsichtlich ihrer Fähigkeit, auf die Corona-bedingten Veränderungen der Arbeitswelt und der Wirtschaft reagieren zu können. Flexibilität und Digitalisierung sind noch mehr im Fokus.“


Wenn Materiallieferungen ausbleiben oder Arbeiter am Corona-Virus erkranken, könne dies „im Einzelfall natürlich zum Stillstand der Baustelle führen“, so Lütteke. „Im Vorfeld definierte Risikoszenarien inklusive entsprechender Handlungsanweisungen geben dann allen Beteiligten Sicherheit im Umgang mit einem eingetretenen Risiko und dessen Bewältigung.“ Eine gute Planung hilft dabei, die Folgen solcher unvorhersehbaren Ereignisse möglichst gering zu halten. „Die vertraglich vereinbarten Termine müssen über alle Leistungen durchgängig und koordiniert sein“, erklärt Lütteke. „Im Terminplan sollten Zeitpuffer berücksichtigt werden, um nicht sofort aus den Vertragsterminen zu fallen.“ Das gilt beim privaten Hausbau genauso wie bei großen Immobilienprojekten wie den Y-Towers in Amsterdam. Denn wenn die am Bau beteiligten Firmen erst mal aus den Vertragsterminen raus ist, wird es schwierig, neue verbindliche Termine zu vereinbaren.


Es wäre erfreulich, wenn die Behörden Corona zum Anlass nähmen, ihr digitales Angebot weiter auszubauen
Stefanie Lütteke, Senior Projektteamleiterin beim Planungs- und Beratungsunternehmen Drees & Sommer

Grundsätzlich liegt das Risiko beim Bauunternehmen. Es hat dafür Sorge zu tragen, die vertraglich vereinbarten Verpflichtungen zu erfüllen, erklärt Union Investment-Experte Mühlena. „Im Fall der Fälle ist es wichtig, offen zu kommunizieren, um gemeinsam mit allen Beteiligten Lösungen finden zu können.“ In außergewöhnlichen Situationen sei ein partnerschaftlicher Umgang mit Nachsicht und Verständnis auf allen Seiten sinnvoll.


Je nach Bauvertrag kann es grundsätzlich auch sein, dass sich Ausführungsfristen automatisch verlängern, wenn höhere Gewalt wie eine Pandemie im Spiel ist. „Ob aber die Verzögerung des Baus wirklich durch das Corona-Virus verursacht wurde, muss im Einzelfall geprüft werden“, sagt Christoph von Klitzing, Rechtsexperte bei der Bausparkasse Schwäbisch Hall. Denn das Bauunternehmen sei grundsätzlich auch in der Pflicht, eine Personalreserve gegen mögliche Ausfälle vorzuhalten. Schadensersatzansprüche gegen die Baufirmen entstehen allerdings nur dann, wenn das Unternehmen die Verzögerung verschuldet. „Dies ist bei einer durch Covid-19 bedingten Verzögerung in der Regel nicht der Fall“, sagt Rechtsexperte von Klitzing. Das bedeutet: „In den meisten Fällen werden Bauherren Mehrkosten selbst tragen müssen.“


Schwierig wird es im Fall der Insolvenz einer am Bau beteiligten Firma. „Hier sollte man präventiv tätig werden und beim Vertragsabschluss beispielsweise Bürgschaften einfordern und Einbehaltsregelungen treffen“, erklärt Mühlena. „Zukünftig wird es keinen Bauvertrag mehr ohne Corona-Klausel geben.“ Um im Fall einer Insolvenz des GUs die Arbeiten fortsetzen zu können, sei auch der Einstieg in die Subunternehmerverträge eine wichtige Option. Grundsätzlich gilt: „Jede Baustelle ist ein Unikat, da muss man individuelle Lösungen finden“, so Mühlena. „Ganz wichtig sind umfassende Bonitätsprüfungen der am Bau beteiligten Firmen im Vorfeld, um gar nicht erst in Situationen zu geraten, die den Baufortschritt gefährden.“


Zukünftig wird es keinen Bauvertrag mehr ohne Corona-Klausel geben. Ganz wichtig sind umfassende Bonitätsprüfungen der am Bau beteiligten Firmen im Vorfeld, um gar nicht erst in Situationen zu geraten, die den Baufortschritt gefährden.
Bent Mühlena, Leiter Immobilienprojektmanagement bei Union Investment

Scheidet trotz aller vorbeugenden Maßnahmen ein Unternehmen insolvenzbedingt aus, ist schnelles Handeln gefordert. Damit die Übergabe möglichst reibungsarm an ein Nachfolgeunternehmen vonstattengehen kann, ist eine gute Dokumentation im Vorfeld unabdingbar: Baustellentagebücher, Teilabnahmen und Prüfprotokolle kommt dann eine besondere Bedeutung zu – und die sollte man ohnehin für Streitfälle zwischen Bauunternehmen und Auftraggeber anfertigen, so der Projektmanagement-Experte. „Dokumentationen können nicht detailliert genug sein.“


Manche Verzögerungen können Baufirmen und Projektgesellschaften aber auch mit einer noch so guten Vorbereitung nicht auffangen: jene, die von Behörden verursacht werden. „Während der Pandemie waren manche Behörden über Monate geschlossen. Mitunter wurden auch keine Bauanträge bearbeitet“, berichtet Union Investment-Projektmanager Mühlena. Erforderliche Abstimmungen mit den beteiligten Ämtern seien unmöglich gewesen, bestätigt Drees & Sommer-Expertin Lütteke. „Persönliche Termine waren nicht möglich und die technischen Voraussetzungen für Videokonferenzen nicht gegeben.“ Insgesamt hätten sich die Genehmigungsprozesse dadurch verlängert. „Es wäre erfreulich, wenn die Behörden Corona zum Anlass nähmen, ihr digitales Angebot weiter auszubauen“, so Lütteke.


In einigen Fällen haben Bauunternehmen und Investoren aber auch von Corona profitieren können: Bei einem Hotel-Refurbishment in Hamburg sei man während des Lockdowns schneller vorangekommen, sagt Mühlena. „Es gab keine Gäste, auf die man während des Umbaus tagsüber Rücksicht hätte nehmen müssen.“ Gleiches galt für den Austausch des Fußbodens in einem Shoppingcenter: „Wir konnten die Arbeiten schneller durchführen, weil das Shoppingcenter geschlossen war und nicht nur nachts gearbeitet werden konnte.“ So kann es eben auch gehen in diesen so ungewöhnlichen Zeiten.


Von Harald Czycholl


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