
„App“ ins Quartier
Mit digitalen Angeboten für die Vernetzung von Nachbarschaften kommt neues Leben in Quartiere. Wie Immobilienunternehmen und Nutzer gleichermaßen vom Mehrwert einer App profitieren.
Bereits seit einigen Jahren touren Startup-Unternehmen durch die Immobilienwirtschaft, um Investoren, Eigentümer und Vermieter für ihre digitalen Ideen zu gewinnen. Im Marktsegment der Mieter- und Quartiers-Apps fällt die Überzeugungsarbeit zunehmend auf fruchtbaren Boden. Doch die Geschäftsmodelle variieren.
Ein Blick in den Alltag der Paketzustellung zeigt, welche Vorteile eine Quartiers-App bietet: Täglich mühen sich unzählige Boten ab, um abertausende Päckchen und Pakete an die Empfänger auszuliefern. 3,2 Milliarden Sendungen waren es 2016 allein in Deutschland. 2020 könnten es bereits 5 Milliarden sein. Aber wer ist schon zuhause, wenn der Paketbote an der Tür klingelt? Am Ende der letzten Meile wird der Adressat oft nicht erreicht und das nervt alle Beteiligten. Für die Bewohner im Düsseldorfer Wohnquartier LeFlair hat sich dieses leidige Problem dank einer Quartiers-App erledigt. Eigentümer Interboden sorgt mit einem digitalen Mieterportal dafür, dass neben anderen Annehmlichkeiten auch der Paketempfang reibungslos klappt. Wird einer der rund 1.400 Bewohner vom Paketboten zuhause nicht angetroffen, wird die Sendung zentral im Service-Point des Wohnquartiers angenommen und der Empfänger über das digitale Bewohnerportal informiert. Das spart Zeit für die Paketdienstleister und schont die Nerven der Bewohner.
Digitaler Knotenpunkt
Entwickelt und realisiert wurde die LeFlair-App von Animus, einem 2015 gegründeten Startup-Unternehmen in Ratingen. „Strategische Partnerschaften wie die für Paketannahmen, Wäschereinigung, Lebensmittellieferungen oder die Vermittlung von Reinigungskräften sind elementare Bestandteile unseres digitalen Systems“, sagt Animus-Gründer und Geschäftsführer Chris Richter. Als White-Label-Lösung bietet die Animus-Software weitere Funktionen sowohl für die Immobilienverwaltung als auch für die Vernetzung in der Nachbarschaft und neuerdings auch für Smart Home. Die App mit den vier Modulen soll damit ein universeller Knotenpunkt sein zwischen allen Akteuren und für alle Nutzungen rund um eine Immobilie.
„Wir möchten das Leben und Arbeiten in Gebäuden komfortabler machen“, sagt Richter. Mit der App als digitaler Seele eines Quartiers wendet sich Animus (das lateinische animus bedeutet u.a. Seele) einerseits an die Bewohner und Nutzer von Wohn- und Gewerbegebäuden und andererseits an Projektentwickler, Bauherren, Eigentümer und Verwalter, die er als Kunden gewinnen möchte. Ihnen biete er mit seiner App nicht nur Mehrwerte durch eine höhere Kundenzufriedenheit, sondern vor allem durch die Kostenersparnis und die Optimierung interner Prozesse, ist Richter überzeugt. Spürbare Skaleneffekte in der Immobilienverwaltung machten sich laut Animus ab einer Größenordnung von etwa 50 Einheiten bemerkbar.

Effizienzpotentiale für die Immobilienbranche
Was der digitale Austausch von Mietverträgen, Dokumenten, Kostenabrechnungen und Schadensmeldungen via App tatsächlich an Zeitersparnissen bringt, hat das Beratungsunternehmen Deloitte 2017 für die Wohnungswirtschaft untersucht. Unterstützt wurde Deloitte vom Schweizer Startup Allthings, das 2013 als Spin-Off der ETH Zürich von Stefan Zanetti in Basel gegründet wurde. Allthings wurde als digitaler Vorreiter bekannt und betreut heute Immobilienkunden wie die Credit Suisse Asset Management AG oder die Losinger Marazzi AG. Das Unternehmen hat eine modular aufgebaute Mieter-App entwickelt, die es ermöglicht, durch Einbindung von Micro-Apps vielfältige Funktionen und Anwendungen zum Beispiel von Drittanbietern zu integrieren.
Genauer untersucht wurden die in der Mieter-App Funktion „Service-Center“ kommunizierten Themen aus einer Auswertung von Allthings, vor allem die Schadensmeldungen. Deloitte macht folgende Rechnung auf: Die Bearbeitung eines Schadensfalles dauere ohne eine so genannte Handwerkerkupplung ca. 150 Minuten. Mit Handwerkerkupplung seien es etwa 90 Minuten. Meldet der Mieter einen Schaden via App anhand eines strukturierten Menüs, werden weiterhin Fotos per App übermittelt und schließt sich intern ein automatisierter Prozess zur Schadenseinstufung, Reparatur mit Handwerkerkopplung, Terminabstimmung und Reparaturabnahme an, verkürze sich dieser Prozess auf durchschnittlich ca. 30 Minuten. Das dürfte Hausverwalter und Bestandshalter aufhorchen lassen, vor allem wenn es darum geht, Massenprozesse mit einem erhöhten Anteil an einfachen und repetitiven Aufgaben zu optimieren.
Die soziale Komponente beachten
Je entwurzelter Menschen lebten, je weniger Familie beispielsweise in der Nähe sei, desto wichtiger würden die Nachbarn, stellt Barbara Nothegger in ihrem Buch „Sieben Stock Dorf“ fest und zitiert die Städteforscherin Ruth Rohr-Zänker: „Eine gute Nachbarschaft gibt emotionalen Halt und Sicherheit. Das geschieht oft schon durch kleine Hilfen im Alltag.“ So verwundert es nicht, dass soziale Plattformen wie die 2015 unter dem Namen nebenan.de gegründete immer beliebter werden. Die Förderung nachbarschaftlicher Beziehungen greift Trends auf wie demographischer Wandel, Anonymisierung, Individualisierung und nachhaltiger Umgang mit Ressourcen. Das Prinzip von nebenan.de erscheint denkbar einfach: „Kennenlernen, teilen, helfen, schenken, informieren, zusammenkommen“.
Nicht nur casavi hat Portale wie nebenan.de, WirNachbarn, FragNebenan.com, Nachbarschaft.net oder Nextdoor aus den USA intensiv beobachtet. „Der Kontext ist ähnlich, die Herangehensweise aber eine andere“, stellt Oliver Stamm fest. Während Unternehmen wie Allthings, Animus und casavi ihre Apps von einem Auftraggeber, einem Gebäude oder einer Projektentwicklung her ableiten, wenden sich digitale Nachbarschaftsnetzwerke an eine offene Gruppe von Menschen.
Das PropTech-Unternehmen cunio hat sich bei seiner App-Entwicklung vor allem am Netzwerkeffekt der offenen Portale orientiert: „Ohne die Initiative eines Eigentümers bilden sich in einem Objekt cunio-Hausgemeinschaften“, sagt cunio-Partner und CEO Erik Boska. Gleichzeitig können Vermieter eine eigens für sie entwickelte Web-Anwendung für die Wohnungsverwaltung nutzen oder sie können ihre vorhandenen Systeme an die App der Hausgemeinschaft anbinden.
Wie Bewohner sogar zum Treiber der Digitalisierung in der Wohnungswirtschaft werden können zeigt seit 2017 HomeBeat.Live. Mit seiner frei zugänglichen Plattform will der Berliner Anbieter die Bewohner in der Lage versetzen, die Verwaltung ihres Hauses selbst digital zu steuern. Entsprechend selbstbewusst verkündet das Startup: „Gemeinsam demokratisieren wir die Digitalisierung von Wohnhäusern.“
Architekten, Stadt- und Verkehrsplaner und Stadtsoziologen werden ebenfalls aktiv und initiieren gemeinsam mit Softwareentwicklern neue Applikationen. Jüngstes Beispiel ist das 2017 gegründete Unternehmen Quartiersapp. Andreas Richter, Geschäftsführer und Mitgründer, erklärt die Geschäftsidee: „Die webbasierte Quartiersapp dient als Social Area Network. Die Basisinhalte sind in der Regel Socializing, E-Mobilität (reservieren, buchen und bezahlen von Carpooling-Fahrzeugen), neue Energien und neue Ökonomie.“ Zusätzlich ließe sich die App für Dritte öffnen. Dass Unternehmen entwickelt derzeit eine Quartiersapp für die ca. 145 Hektar große Konversionsfläche Franklin in Mannheim, wo später einmal 9.000 Menschen leben werden. Bewohner erhalten darüber Zugang zum Buchungssystem des Carpoolings und der E-Bikes. Zusätzlich wird die App zur Darstellung der quartiersbezogenen, energetischen Verbräuche eingesetzt.
Genau hinschauen, was der Nutzer möchte
Andere wichtige Ergebnisse der Deloitte-Untersuchung: Je mehr Mieter sich registrierten und vor allem je häufiger sie ihre Mieter-App nutzten, desto leichter könnten angestrebte Effizienzgewinne realisiert werden. Kommunikative Funktionen wie eine digitale Pinnwand hätten zunächst keinen direkten Effekt auf die Prozesseffizienz des Vermieters, seien aber von besonderer Bedeutung für die Akzeptanz und Nutzung einer Mieter-App. Die erhoffte Performanceverbesserung hänge daher auch von den Wünschen der Nutzer ab.
In einer weiteren Studie wurden Mieter und Eigentümer zu ihrer App-Nutzung befragt. Für den International Resident Survey arbeitete Aareon, ein führendes Beratung- und Systemhaus in der europäischen Immobilienbranche mit Sitz in Mainz, mit den Marktforschern von m-result zusammen. Matthias Reus, Abteilungsleiter Marktforschung bei m-result, stellt fest: „Generell ist es auffällig, dass schon heute eine so breite Basis den Wunsch nach App-basierten Angeboten und Dienstleistungen verspürt.“ Nicht zuletzt stünden Informationen rund um eine kostenlose Nachbarschaftshilfe hoch im Kurs, ebenso wie Informationen zum Empfang von Lieferungen und zu kostenpflichtigen Services.
„Je besser die Immobilienwirtschaft über die lokalen Wünsche und Bedürfnisse ihrer Mieter und Eigentümer Bescheid weiß, desto passgenauer kann sie neue Services entwickeln und im Markt platzieren“, sagt Arash Houshmand, Programm-Manager Plattform Wohnen bei Aareon. Die von seinem Unternehmen kreierte App der LEG Immobilien AG, die seit Anfang Februar 2018 rund 130.000 Mietern zur Verfügung steht, soll in einem Folgeprojekt um weitere Dienste und die Mieter-Kommunikation ausgebaut werden.
Geschäftsmodelle variieren
Mittlerweile gibt es eine größere Auswahl an App-Lösungen und Anbietern. Promos beispielsweise, ein Spezialist für Softwarelösungen in der Immobilienwirtschaft, bietet die Service-App Easysquare, die von Vonovia als Eigentümer-App eingesetzt wird. Und bei der DIT Deutsche Immobilien IT & Marketing gab die BUWOG ihre Mieter-App in Auftrag. Doch App ist nicht gleich App, denn die Geschäftsmodelle zeigen Unterschiede und längst ist nicht klar, welches Konzept sich am Markt behaupten wird. Nicht zuletzt muss die Schnittstelle zur bestehenden Firmen-IT einwandfrei funktionieren, um durch automatisierte Prozesse die Vorteile einer App-Lösung ausschöpfen zu können. Die Wahl des Partnerunternehmens dürfte daher entscheidend sein. Doch die Auswahl fällt nicht leicht.
Mit casavi etablierte sich 2015 beispielsweise ein Startup-Unternehmen, das ähnlich wie Animus den Mehrwert vieler Beteiligten im Blick hat. Das Casavi-Geschäftsmodell richtet sich auf die Entwicklung von Kommunikations- und Produktivitäts-Plattformen für die digitale Immobilienverwaltung. Würden die Bedürfnisse der Mieter in den Vordergrund gestellt, profitiere auch das Wohnungsunternehmen, beschreibt Peter Schindlmeier, Mitgründer und Geschäftsführer von casavi, die Grundidee. Gründungskollege und Geschäftsführer Oliver Stamm verweist zugleich auf die Skalierbarkeit: „Die Effizienzsteigerung durch die digitale Immobilienverwaltung ist der entscheidende Aspekt.“
Ein casavi-Beispiel ist die Schwabinger-Tor-App mit den Funktionen Verwaltung, Social, Sharing und lokale Angebote. Im Vordergrund des neuen Stadtquartiers in München-Schwabing steht die Idee des Sharings. „Über die Schwabinger-Tor-App des Bauträgers und Eigentümers Jost Hurler können sich die Bewohner unter anderem aus einem Car-Pool bedienen“, sagt Stamm. Eine Mieterumfrage habe ergeben, dass rund 90 Prozent die App als „essentiell“ ansehen. Das zeige sich auch in der bunten Mischung, mit der die Socialising-Funktion von der Gemeinschaft genutzt wird. Aber warum ist ausgerechnet die Kommunikation der Nachbarn untereinander so wichtig?

Digitaler Anstrich fördert das Image
„Ich bin fest davon überzeugt“, sagt Chris Richter, „dass sich der Trend zu immer mehr Komfortfunktionen im Immobiliensektor nicht mehr aufhalten lässt. Damit ist ganz klar auch eine Wertsteigerung der Assets verbunden.“ Und für Oliver Stamm ist „eine Quartiers-App durchaus ein Mietanreiz für künftige Mieter und ein sehr gutes Mittel, um einfach eine schnelle Nutzerzufriedenheit zu erreichen“. Auch gewerbliche Standorte experimentieren mit digitalen Lösungen und wollen das Leben und Arbeiten in Gebäuden mit Hilfe von Apps attraktiver, vernetzter und urbaner gestalten. Eine Immobilie aus dem Spezialfonds Urban Campus Nr. 1 wird etwa mit einer Service-App von Allthings ausgestattet. Kurz vor der Einführung steht auch die Service-App von Animus für das EMPORIO-Quartier in der Hamburger Innenstadt. Die über 1.500 Büroangestellten im Gebäude erhalten zunächst für eine Testphase über die App Zugang zu exklusiven Partnerangeboten aus der Umgebung, einem digitalisierten Concierge-Service und einem Online-Marktplatz. Die Eigentümerin Union Investment wird darüber hinaus mit dem Anbieter ParkU ein ParkSharing-Konzept erproben. Stellplatzmieter können hier ihren Stellplatz kurzfristig an Mitarbeiter aus dem Gebäude, aber auch an externe Besucher vermieten. Und das Businesszentrum Seestern, ein Refurbishment in Düsseldorf, erhofft sich mit der im April gestarteten Seestern-App von Animus eine Imageförderung des modernisierten Gebäudeensembles von 1961, das mit der eigenen App nun auch einen zeitgemäßen digitalen Anstrich erhielt.
Von Elke Hildebrandt