
Detaillierte Bewertungen, schnellere Transaktionen, effizienterer Einsatz von Energie: Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, auch die Immobilienwirtschaft massiv zu verändern. Die Arbeitsplätze in der Branche werden davon nicht unberührt bleiben. Von Claus Hornung
Der Investor war zufrieden. Vier Broker hatten die Aufgabe erhalten, im amerikanischen Denver Immobilien zu finden, die seinen Vorstellungen entsprechen. Die Gebäude sollten Objekten ähneln, die der Kunde bereits zuvor gekauft hatte. Am Ende gab es einen klaren Sieger, bei dem Preis, Lage und Ausstattung genau passten. Unklar ist, ob die drei Makler, deren Vorschläge nicht genommen wurden, enttäuscht waren. Sicher ist, dass der Gewinner trotz seines Erfolgs keine menschliche Regung zeigte – denn er war kein Mensch. Den Siegervorschlag hatte eine künstliche Intelligenz ausgewählt.
Das Beispiel aus den USA zeigt: Künstliche Intelligenz, kurz: KI, hat das Potenzial, auch die Immobilienbranche nachhaltig zu verändern. „Die Technologie wird Einfluss auf alle Aktivitäten in der Immobilienbranche zeigen – und das in allen Phasen des Lebenszyklus von Gebäuden“, sagt Heiko Gsell, Professor für Wirtschaftsinformatik und Leiter des Studiengangs Digitalisierung und Immobilienmanagement an der Bochumer EBZ Business School.
KI macht Immobilienprozesse erheblich einfacher und effizienter
KI reduziert den Energieverbrauch, indem sie aus Verbrauchsdaten der Vergangenheit Prognosen für die Zukunft ermittelt. Sie verbessert die Sicherheit, weil sie schneller als das Security-Personal Geräusche und Bilder von Kameras wahrnimmt, analysiert – und bei Vorliegen einer Gefahr Polizei oder Feuerwehr alarmiert. Sie kann Muster beim Betrieb von Heizungen, Lüftungen und Klimaanlagen erkennen und so punktgenau Termine für Reparatur und Wartung prognostizieren. Und sie beschleunigt Transaktionen, indem sie Angebote bei vorherigen Käufen mit Exposés abgleicht und dann maßgeschneiderte Kaufangebote präsentiert – wie im Beispielfall von Denver. „Prozesse werden signifikant einfacher und effizienter“, sagt Carsten Kreutze, Geschäftsführer des Bonner Software-Unternehmens Recogizer, das mithilfe von KI Energieverbräuche in Immobilien reduziert: „Die Entwicklung wird dahin gehen, dass man zu jeder Immobilie auf Knopfdruck alle Daten zusammenführen kann, die für Transaktionen und Bewirtschaftung relevant sind.“ Wie ist der Zustand der Immobilie? Wann müssen die Heizkörper das nächste Mal ausgetauscht werden? Wie viele Mieter gibt es, und wie lange laufen deren Verträge noch? Kann ich Mieterhöhungen durchsetzen?
Immobilienbranche muss aufholen beim Digitalisieren ihrer Daten
Aber nichts davon wird funktionieren, wenn Datenqualität und Datenverfügbarkeit nicht ausreichen, sagt Patrick Penn, CEO von Docunite, Anbieter eines KI-basierten Dokumentenmanagementsystems: „Bei einem Verkauf etwa braucht man nicht nur Mietverträge und Grundbuchauszüge, sondern beispielsweise auch den Energieausweis oder exotische Unterlagen wie Auskünfte über die Belastung des Grundstücks durch Kampfmittel.“ In vielen Unternehmen aber seien Dokumente oft über verschiedenste Abteilungen verteilt. „Dann liegen die Mietverträge beim Property-Manager und die Anlagenpläne beim Asset Management“, sagt Penn. Manchmal existiere das gleiche Dokument auch mehrfach, in unterschiedlich alten Versionen: „Da kann es schon mal sechs Monate dauern, bis beim Käufer alles vorliegt.“
Noch ist die Immobilienbranche in weiten Teilen zu analog, sagt Penn. „In diesem Bereich müssen Unternehmen ihre Hausaufgaben machen.“ Und die lauten: Daten digitalisieren und Daten über Schnittstellen zusammenführen – öffentlich verfügbare wie interne. „Daraus ergeben sich Möglichkeiten, die zu einem enormen Wettbewerbsvorteil führen können“, sagt Penn. Spätestens seit generative KI wie Chat GPT existiert. „Jetzt können Sie mit Ihren Dokumenten chatten“, sagt Penn.
Der Anwender will nicht, dass ihm der Zugriff auf das Dokument erleichtert wird – er will die Information, die in dem Dokument enthalten ist.
Was das bedeutet, illustriert ein Test seiner Mitarbeiter: Sie fütterten Chat GPT mit einem Energieausweis und ließen dann eine Kollegin mit iranischen Wurzeln fragen, welche Fenstertypen in dem Haus verbaut sind – in der iranischen Landessprache Farsi. „Die Kollegin erhielt eine korrekte Antwort“, sagt Penn lächelnd, „auf Farsi.“ Für ihn ist dies geradezu die Definition von KI: „Der Anwender will ja nicht, dass ihm der Zugriff auf das Dokument erleichtert wird – er will die Information, die in dem Dokument enthalten ist.“
Im Bereich der Bewirtschaftung ist die notwendige Digitalisierung bereits weiter vorangeschritten, sagt Recogizer-Chef Kreutze. Der Grund dafür ist, dass sie ein Hebel für ein wichtiges Ziel vieler Immobilienfirmen ist: Energieverbräuche reduzieren. „Lange Zeit hat das Eigentümer und Mieter kaum interessiert“, sagt Kreutze, „aber in den vergangenen zwei, drei Jahren ist viel passiert. Denn es gibt auf der einen Seite den Druck von Nutzern mit dem Wunsch nach niedrigeren Nebenkosten und einer grüneren Immobilie sowie den von Eigentümern, die ihre Gebäude klimafreundlicher betreiben wollen, um Abwertungsrisiken zu reduzieren. Auf der anderen Seite gibt es regulatorischen Druck – wie die Vorgabe, dass der Gebäudebestand bis 2045 klimaneutral sein soll.“

KI in der Gebäudeverwaltung kann den Energieverbrauch reduzieren
Tatsächlich verfügten viele Unternehmen inzwischen über eine Art Leitwarte, über die Klimaanlage, Lüftung und Heizung vernetzt sind, sagt Kreutze: „Aber erst mit KI kann man an die großen Verbraucher heran.“ Denn sie kann sehr viele Faktoren berücksichtigen, die diese Werte beeinflussen können: Wie soll das Wetter in den nächsten Tagen werden? Ist die Fläche vermietet oder steht sie leer? Gibt es in einem Raum ungewöhnlich große Fenster? Wie wird das Gebäude genutzt – als Fitnessstudio, Büro oder Einzelhandelsfläche? Zu welcher Uhrzeit befinden sich dort gewöhnlich die meisten Menschen?
Aber KI erkennt nicht nur Zusammenhänge, sondern kann aus diesen auch Antworten auf komplexe Fragen ableiten, sagt Carsten Kreutze: „Solch eine Frage könnte etwa lauten: Warum ist der Energieverbrauch in unseren Top-fünfImmobilien höher als in den anderen?“ Hinzu kommt, dass die künstliche Intelligenz konkrete Vorschläge zur Verbesserung machen kann: ob Vorlauftemperaturen optimiert, Ventilatorendrehzahlen angepasst oder Schaltzeiten dynamisiert werden sollen. „Mit solchen Maßnahmen erreichen wir in Gewerbeimmobilien bereits heute im Schnitt 28 Prozent Einsparungen beim Energieverbrauch“, so Carsten Kreutze.
Erst mit KI kann man an die großen Energieverbraucher in Gebäuden heran.
Entlastung für Facility Manager, neue Jobs für Prompt Engineers
Eine wichtige Frage, die die Immobilienwirtschaft derzeit dabei beschäftigt: Werden durch den Einsatz von KI Arbeitsplätze wegfallen? „Im Facility Management gibt es die große Herausforderung, gut qualifizierte Mitarbeitende zu finden. Facility Manager müssen zudem aktuell sehr viele Aufgaben erledigen, die technisch oft sehr anspruchsvoll sind – und das oftmals gleichzeitig“, meint Kreutze.
KI sei daher eine Entlastung: „Sie hilft Facility Managern, sich auf wichtige Aufgaben zu konzentrieren, und unterstützt sie in Bereichen, bei denen teilweise tiefes technologisches Fachwissen benötigt wird, durch smarte Lösungen.“ Auch Docunite-Chef Penn differenziert. „Mitarbeiter, die sich nicht mit dem Thema KI auseinandersetzen, laufen Gefahr, ersetzbar zu werden.“ Gleichzeitig würden neue Berufsbilder entstehen. „Auch in der Immobilienbranche wird man Prompt Engineers brauchen“, sagt Penn, „also Menschen, die der KI hoch qualifizierte Fragen stellen, damit diese optimale Ergebnisse liefert. Das eröffnet eine Menge Chancen für Quereinsteiger.“
Für Wirtschaftsinformatiker Gsell gibt es noch andere Gründe, warum auch in Zukunft künstliche Intelligenz nicht vollkommen autark Gebäude bewirtschaften oder verkaufen sollte. „Auch wenn Systeme immer weiter lernen, wissen wir, dass die Ergebnisse oft nicht richtig sind. Finale Entscheidungen sollten darum immer von Menschen getroffen werden.“
Sicherheit sei dabei aber nicht der einzige Faktor, meint Gsell: „Ich glaube nicht, dass eine KI beispielsweise erkennen kann, welches Potenzial für eine andere Nutzung in einer Immobilie steckt. Ich denke darum, dass für die Bewertung menschliche Eindrücke immer eine Rolle spielen werden.“ Vielleicht war Denver nur eine Momentaufnahme.
Von Claus Hornung
IoT: Überwindung der Sprachbarriere
Noch herrscht babylonisches Sprachengewirr zwischen den IoT-Lösungen für Gebäude. Das Forschungsprojekt Drops will das ändern. Von Dagmar Hotze
Wegen ihrer informationstechnischen Komplexität gibt es bisher nur wenige Smart Buildings. Gleichzeitig gelten sie als wichtiger Baustein für zukunftsfähige Städte und Quartiere. Um die benötigten Datenstandards zu entwickeln, haben sich auf Initiative des digitalen Immobilienverwalters Reos das Beratungsunternehmen Drees & Sommer, der Baudienstleister Strabag und die Hafencity Universität im Rahmen eines Forschungsprojekts zusammengetan. Sein Titel lautet kurz Drops und bedeutet Datenstandards für Ressourcen-Optimierte Produktions- und Serviceprozesse in Gebäuden und Quartieren.

Neu entwickeltes Template soll Schnittstellenproblematik beenden
Die acht Arbeitspakete, die das bis Ende 2023 laufende Forschungsprojekt umfasst, sind zu fast drei Viertel erledigt. Zudem existiert bereits ein Template (eine Dokumentenvorlage) zur Ansprache von IoT-Gateways. Der Clou: Über dieses Template erkennen sich IoT-Lösungen anhand ihrer Funktionen und ordnen sich einander zu, unabhängig davon, welches Protokoll sie nutzen. Dadurch ist ein Datenaustausch zwischen Geräten möglich, ohne dass Schnittstellen offengelegt und neue programmiert werden müssen. „Wir wollen ja keinen eigenen Standard entwickeln, sondern die vorhandenen harmonisieren“, sagt Reos-Projektleiter Michael Leupold.
Nachdem auch die Cloud-Plattform, die als Daten-Drehscheibe fungiert, so gut wie finalisiert ist, laufen nun die Vorbereitungen für die Durchführung ausgewählter Use-Cases. Angedacht sind Tests mit vernetzten IoT-Lösungen für Energieeffizienz, Nutzerkomfort und Ressourcenschonung. Als Testobjekt wurde die im Bau befindliche rund 20.000 Quadratmeter große Büroimmobilie Borx ausgewählt. Sie soll im geplanten Mixed-Use-Gebäude Meltingport in der Hamburger Hafencity Ende 2025 fertiggestellt sein.
Dann wird sich zeigen, ob normenreife Datenstandards entstehen, die Eingang in die VDI-Richtlinienreihe 2552 „Building Information Modeling“ finden. Gelingt dies, wäre das ein Meilenstein für die Entwicklung nachhaltiger Immobilien – und der Drops inkompatibler IoT-Lösungen wäre „gelutscht“.
Von Dagmar Hotze