
Nach dem rasanten Zins- und Inflationsanstieg der vergangenen 18 Monate befinden sich Immobilieninvestoren aktuell in einer Preisfindungsphase. Während die Suche nach einem neuen Marktgleichgewicht andauert, steht jetzt schon fest, dass die Nachhaltigkeit künftig einer der bestimmenden Faktoren sein wird. Von Robin Pascoe
Steigende Zinssätze und wirtschaftliche Unsicherheiten haben Investoren vielfach dazu veranlasst, ihre Pläne auf Eis zu legen. So sanken in Europa die gewerblichen Immobilieninvestitionen im zweiten Quartal 2023 auf das niedrigste Niveau seit 2010, wie aus Zahlen von MSCI Real Assets hervorgeht. Das Volumen der verkauften Büroimmobilien – Europas größtes Immobiliensegment – ging um 84 Prozent auf 8,3 Milliarden Euro zurück, den niedrigsten Stand seit 2009. Die Zahl der verkauften Objekte sank dabei auf ein Allzeittief.
„Weltweit und über alle Segmente hinweg war im ersten Halbjahr ein dramatischer Rückgang des Investitionsvolumens zu verzeichnen. Die Vorstellungen von Käufern und Verkäufern passten oft nicht zusammen“, sagt Tom Leahy, Head of EMEA Real Assets Research bei MSCI. „Es ist nach wie vor ungewiss, auf welchem Niveau sich die Zinssätze mittel- bis langfristig einpendeln.“
Bislang gebe es am Markt jedoch nur sehr wenig Notverkäufe, so Leahy weiter. „Finanzielle Notlagen führen oft zu einer Neubewertung. Außerdem wird es zu Refinanzierungsproblemen kommen, die systemischen Risiken im internationalen Bankensektor sind allerdings nicht so groß wie im Jahr 2007. Es könnte Jahre dauern, bis Not leidende Immobilien endlich abgestoßen werden, wenn man sich die Entwicklung nach der weltweiten Finanzkrise anschaut“, meint MSCI-Experte Leahy.

Finanzielle Not lagen führen oft zu einer Neubewertung. Außerdem wird es zu Refinanzierungsproblemen kommen.
Erholung zunächst bei Industrieimmobilien erwartet
Marktbeobachter sind sich einig, dass das Segment der Industrie- und Logistikimmobilien die Erholung anführen wird, und zwar aufgrund der Erträge, nicht etwa durch eine Wertsteigerung. „Die Preise für Industrieimmobilien waren Ende 2021 beziehungsweise Anfang 2022 sehr teuer geworden, aber die steigenden Zinssätze haben für einen Dämpfer gesorgt“, so Tom Leahy von MSCI. „Die Immobilienbranche muss sich auf höhere Zinsen einstellen, die letztendlich zu höheren Renditen führen.“
Gedämpft werden die negativen Auswirkungen auf den Kapitalwert jedoch durch höhere Mieten, die im letzten Jahr um durchschnittlich 15 Prozent beziehungsweise in den Niederlanden, Deutschland, Osteuropa und vielen anderen Märkten noch stärker zulegten, wie Luke Dawson, Head of Global and EMEA Capital Markets bei Colliers, berichtet. „Mancherorts liegen die Mietsteigerungen künftig vielleicht nur bei 5 bis 10 Prozent, dennoch wird sich der Markt der Industrie- und Logistikimmobilien als Erstes bereinigt haben und in diesem Jahr das europaweit höchste Investitionsvolumen anlocken. Die Leerstandsquote in dieser Assetklasse liegt in Europa bei durchschnittlich 4 Prozent“, betont Dawson. „In Nordamerika beträgt sie ebenfalls 4 und in APAC 6 Prozent.“
Opportunistische Immobilieninvestoren wittern Chancen
In einem Umfeld, in dem Fremdkapital nicht mehr quasi zum Nulltarif erhältlich ist und der risikofreie Zinssatz auf 4 Prozent geschnellt ist, dürften sich die Newcomer im Bereich Immobilieninvestment zurückziehen. Von den neuen Rahmenbedingungen profitieren die etablierten Akteure, von denen einige bereits recht aktiv sind. In Europa führt der Private-Equity-Riese Blackstone aus den USA im ersten Halbjahr 2023 das Käufer-Ranking von MSCI an, nachdem sein jüngster weltweiter Immobilienfonds, Blackstone Real Estate Partners X, insgesamt 30,4 Milliarden US-Dollar eingeworben hat. Damit wird er zum größten Immobilien- oder Private-Equity-Drawdown-Fonds überhaupt.
„In den Hochkonjunkturjahren 2015 bis 2019 war es relativ einfach, Investitionsentscheidungen zu treffen“, so Damian Harrington, Head of Research Global & EMEA Capital Markets bei der Immobilienberatung Colliers. „Kapital und Chancen gab es weltweit. Jetzt hat sich das Blatt komplett gewendet. Die Marktentwicklung muss heute differenzierter gesehen werden, da die Makrofaktoren für Preisbildung und Zyklusentwicklung sich zum Teil deutlich unterscheiden.“
In Europa sowie auch weltweit wird das Kapital aber wohl nicht in erster Linie aus Nordamerika, sondern aus der Region Asien-Pazifik fließen.
Die Immobilienberatung Savills rechnet im Zuge einer allmählichen Konjunkturerholung im zweiten Halbjahr 2023 mit einem geringen Anstieg der Investitionstätigkeit, da sich Kreditgeber und Investoren wohl an das höhere Niveau der Zinssätze, Fremdkapitalkosten und Renditen anpassen werden. Savills prognostiziert für das kommende Jahr einen Anstieg der Investitionstätigkeit um 35 Prozent und ein europaweites Transaktionsvolumen von etwa 220 Milliarden Euro, sollte die europäische Wirtschaft wie von Volkswirten einhellig erwartet wieder in Schwung kommen. Kapital ist reichlich vorhanden: Rund 74 Prozent der circa 250 Milliarden Euro, die 2022 weltweit eingeworben wurden, sind nach Daten des europäischen Interessenverbands Inrev noch nicht investiert worden. „Opportunistische Marktteilnehmer wie Blackstone bringen sich bereits in Stellung“, erklärt Lonneke Löwik, CEO von Inrev. „In Europa sowie auch weltweit wird das Kapital aber wohl nicht in erster Linie aus Nordamerika, sondern aus der Region Asien-Pazifik fließen“, so Löwik weiter.
Büroimmobilienmarkt mit uneinheitlicher Entwicklung
Konjunktur und Strukturwandel machen derzeit insbesondere dem Segment Büroimmobilien zu schaffen. Vor allem in den USA rechnen Marktbeobachter mit einer stärkeren Zweiteilung des Markts, wobei die Leerstandsquote in Sekundär- und Tertiärlagen auf 50 Prozent ansteigen könnte. Viele Arbeitgeber wie etwa Banken, Anwaltskanzleien und Tech-Unternehmen tun sich nach der Pandemie schwer damit, ihre Mitarbeitenden wieder ins Büro zu bekommen. Das Ergebnis: ungenutzte, modernisierungsbedürftige Büroflächen.
Europa und Asien verzeichnen hingegen noch vergleichsweise stabile Vermietungsquoten, auch wenn die Entwicklung in den einzelnen Märkten und Teilmärkten recht unterschiedlich verläuft. Dies gilt besonders für die Bestlagen in Metropolen wie Mailand, wo Union Investment kürzlich ein nachhaltiges Sanierungsprojekt erworben hat. Martin Schellein, Leiter Investment Management Europa, bezeichnete es als „das ideale Erstinvestment für unseren antizyklischen Eintritt in den Mailänder Büromarkt“. Nach Abschluss der Sanierung im vierten Quartal 2023 wird das Gebäude für eine Laufzeit von zwölf Jahren an den neuen Mieter Bottega Veneta übergeben, der zum Luxusgüterkonzern Kering gehört. Das Objekt liegt direkt neben der Galleria Vittorio Emanuele II im historischen Geschäftszentrum von Mailand und in unmittelbarer Nähe des Doms und der Mailänder Scala. Union Investment erwarb das Projekt „off market“ von einem Immobilienfonds des italienischen Investors und Entwicklers Coima.
Einzelhandelsimmobilien wieder im Fokus der Investoren
Während Teile des Büroimmobilienmarkts einer ungewissen Zukunft entgegenblicken, scheint das Segment der Einzelhandelsimmobilien die Flaute überwunden zu haben. Teilbereiche wie Fachmarktzentren und lebensmittelgeankerte Objekte weisen nach wie vor eine gute Performance auf, was auch der MSCI-Experte bestätigt: „Wir beobachten in diesem Segment eine recht starke Investitionstätigkeit, vor allem in UK, wo die Renditekorrektur bereits erfolgt ist.“ „In allen Regionen weltweit tragen höhere Renditen im aktuellen Zinsumfeld dazu bei, dass stärker in Einzelhandelsimmobilien investiert wird“, stellt Damian Harrington von Colliers fest. „Das gilt vor allem für den noch nicht gesättigten asiatischen Markt, während es in Europa und Nordamerika weiterhin zu Korrekturen kommt. Bei den High-Street-Immobilien ist das Bild uneinheitlich, das Luxussegment entwickelt sich aber weiterhin überdurchschnittlich.“

Neugewichtung der Assetklassen
Büro- und Einzelhandelsimmobilien sind traditionell die Hauptstützen von Immobilienportfolios. Doch in den letzten zehn Jahren hat sich der Schwerpunkt stärker auf andere Assetklassen wie Industrie & Logistik und Wohnen verlagert. Die heutigen Portfolios sind somit ausgeglichener. Dazu Lydia Brissy, European Research Director bei Savills: „Diese Verlagerung spiegelt die tatsächlichen Bedürfnisse der Gesellschaft wider. In den einzelnen Assetklassen ist zudem die Liquidität gestiegen, die Diversifizierung mindert gleichzeitig die Risiken.“ Eigenkapitalstarke Investoren wie Union Investment sind nach Meinung von CIO Martin J. Brühl bestens aufgestellt, um von den Marktveränderungen zu profitieren: „Unser Immobiliengeschäft ist auch nach der Zinswende weiter gewachsen und wir haben gezielt in die systematische Diversifizierung und Widerstandsfähigkeit unseres Portfolios investiert, mit einem klaren Fokus auf die Qualität und nachhaltige Ertragskraft unserer Assets.“ Das Heben des enormen Potenzials im Bestand habe aber zunächst Priorität, erläutert er: „Wir wollen unser Pulver trocken halten, um unser Ankaufsvolumen zum richtigen Zeitpunkt gezielt zu erhöhen.“

Nachhaltige Investitionen in Bestände sind das neue Normal
Nach Auffassung von Tom Leahy wird es vereinzelt Gelegenheiten zur Umnutzung von ineffizienten und veralteten Büro- und Einzelhandelsimmobilien geben. Aber er weist zugleich auf die vielen planerischen und technischen Hürden sowie auf die hohen Kosten hin. Bisher seien nur sehr wenige Bürogebäude umgewandelt worden. Dieser Weg sei kein Allheilmittel. Gleiches gelte für Einzelhandelsobjekte. Zugleich wächst aber die Erkenntnis, dass die Weiterverwendung von Bestandsgebäuden die umweltfreundlichste Lösung darstellt. Fazit Leahy: „Der Trend geht zum Abriss und zur Wiederverwendung der Baustoffe, in denen bereits CO2 gebunden ist, um dann ein umweltfreundliches Gebäude zu errichten.“

Während sich die Investoren auf das gestiegene Zinsumfeld einstellen, sehen sich viele mit der neuen Notwendigkeit konfrontiert, die CO2-Bilanz ihres Gebäudebestands zu verbessern. ESG-Faktoren sind schon seit Einführung der EU-Taxonomie 2020 in ganz Europa ein wichtiges Thema. Mit der Verordnung hat die EU ein System zur Klassifizierung von nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten geschaffen. Dazu Inrev-CEO Lonneke Löwik: „Die festgelegten Kriterien und auch die EU-Offenlegungsverordnung bieten europäischen Managern Orientierung für ihre Investmententscheidungen. Europa ist nach wie vor führend, was den ökologischen Wandel im Immobilienbereich angeht. Aber die USA und Asien könnten schon bald mit durchgreifenden regulatorischen Maßnahmen nachziehen.“
Von Robin Pascoe