Neue EU-Richtlinie: Schreckgespenst oder Chance?

Die Europäische Union arbeitet zurzeit an der Neufassung der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden mit dem Ziel, bis 2050 einen klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen. Das hat enorme Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle von Immobilienentwicklern und Investoren. Von Paul Allen

Die aktuellen Vorschläge zur Überarbeitung der EU-Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden lassen in der Immobilienbranche Sorgen um einen möglichen Wertverlust des Immobilienbestands aufkommen.


„Gebäude, die die neuen Anforderungen erfüllen, gelten als zukunftssicher und lassen sich leichter vermieten oder verkaufen, möglicherweise sogar mit einem Aufschlag“, erklärt Jeff Rupp, Director of Public Affairs beim europäischen Interessenverband Inrev. Den übrigen Objekten droht der Wertverlust, weil sie keine Mieter oder Käufer mehr finden. Stichwort: Stranded Assets. Gleichzeitig erschweren steigende Zinsen und strengere Kondi­tionen die Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen.


Eine Harmonisierung ist dringend erforderlich, da die nationalen Bewertungssysteme im Hinblick auf die Buchstaben derzeit nicht vergleichbar sind.
Jan von Mallinckrodt Head of Sustainability, Union Investment

„Unter anderem ist geplant, dass ab 2028 alle Neubauten klimaneutral errichtet und mit Solaranlagen ausgestattet werden. Mit fossilen Brennstoffen betriebene Heizungsanlagen sollen auf nationaler Ebene verboten werden. Ferner sollen einheitliche Energieeffizienzklassen von A (null Emissionen) bis G (höchstens zulässige Emissionen) eingeführt werden“, sagt Jan von Mallinckrodt, Head of Sustainability der Union Investment Real Estate GmbH. „Eine Harmonisierung ist dringend erforderlich, da die nationalen Bewertungssysteme im Hinblick auf die Buch­staben derzeit nicht vergleichbar sind.“ 


Bis 2027 müssen Gebäude der Energie­effizienzklasse G auf den Mindeststandard F beziehungsweise bis 2030 auf den Mindeststandard E gebracht werden. Eigentümer von Wohngebäuden können sich drei Jahre länger Zeit lassen. Derzeit finden die sogenannten Trilog-Verhandlungen zwischen den beteiligten Organen EU-Parlament, Kommission und Ministerrat statt. „Vermutlich werden die von der Kommission ursprünglich vorgeschlagenen Fristen für das Inkrafttreten der neuen Standards vorgezogen“, meint Jeff Rupp.


Einheitliche Energieeffizienzklassen mit den Buchstaben A bis G

Angesichts der Tatsache, dass Gebäude annähernd 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verursachen, ist die Dekarbonisierung des Gebäudebestands bis 2050 eine ebenso dringende wie gigantische Aufgabe. Laut Berechnungen der Internationalen Energieagentur müssten ab 2030 alle Neubauten klimaneutral errichtet und 2,5 Prozent des Altbestands pro Jahr klimaneutral saniert werden. Die Neufassung der Richtlinie ist ein zentraler Bestandteil der Strategie, mit der die EU ihre Klimaziele erreichen will.


Unterschiedliche Umsetzung der EU-Richtlinie schafft neue Probleme

„Durch die Festlegung eines absoluten Grenzwerts für die Energieeffizienzklasse A (klimaneutrales Gebäude) trägt der Energieausweis der Ressourcenknappheit besser Rechnung“, meint Charles van Thiel, Director of Real Estate bei GRESB. „Nur so lassen sich echte Fortschritte erzielen.“ Auch für die niedrigeren Energieeffizienzklassen sollten seiner Meinung nach absolute Grenzwerte festgelegt werden. Die EU-weite Harmonisierung des gesamten Systems würde grenzüberschreitende Vergleiche und die europaweite Identifizierung von Immobilien ermöglichen, bei denen ein Stranding-Risiko besteht.


Die unterschiedliche Umsetzung der EU-Richtlinie in den einzelnen Mitgliedsstaaten führt allerdings unweigerlich zu weiteren Problemen, zum Beispiel wenn den Energieausweisen unterschiedliche Effizienzstandards zugrunde gelegt werden. 


Durch die Festlegung eines absoluten Grenzwerts für die Energieeffizienzklasse A (klimaneutrales Gebäude) trägt der Energieausweis der Ressourcenknappheit besser Rechnung.
Charles van Thiel Director of Real Estate, GRESB

Vor der Festlegung der höchsten und der niedrigsten Effizienzklasse müssen zunächst genaue Daten erhoben werden. „Und wenn in einzelnen Ländern die neuen Standards aus politischen Gründen erst später in Kraft treten, besteht die Gefahr, dass die Klimaziele nicht erreicht werden“, ergänzt Jan von Mallinckrodt. Klar ist, dass die Neufassung der EU-Richtlinie die Rahmenbedingungen für Immobilieninvestitionen verändert. „Weil Gebäude einen großen Anteil an den CO2-Emissionen von Unternehmen haben, wird die Nachfrage nach nachhaltigen Objekten kontinuierlich steigen. Das treibt auch die Mieten in die Höhe“, sagt Marcus Siggelow, Head of Asset Management bei Propreal Capital Partners in Genf. 


Auch institutionelle Anleger investieren zunehmend in nachhaltige Objekte und bestens bewertete Artikel-9-Fonds, was die Nachfrage nach umweltfreundlichen Gebäuden und damit auch das Preisniveau steigen lässt.


In der nachhaltigen Bestandsentwicklung liegen Chancen für Investoren

Da ein großer Teil des aktuellen Gebäudebestands die künftigen Standards nicht erfüllt, werden das Verhältnis von Angebot und Nachfrage sowie das Preisniveau im Laufe der Zeit immer mehr aus den Fugen geraten. „Besonders in den beengten Innenstadtlagen ist es schwierig, nachhaltige Neubauten zu realisieren, sodass sich die Angebotslücke kaum schließen lässt“, so Marcus Siggelow. Da in den bereits verarbeiteten ­Baustoffen CO2 gebunden ist, wird es vor allem darum gehen, die Energieeffizienz im Bestand zu verbessern. „Für Investoren liegen die Chancen daher heute darin, ineffiziente Gebäude zu kaufen und sie nachhaltig und klimaneutral zu sanieren. Das ist die wirtschaftlich sinnvollste Art, mit den neuen Vorschriften umzugehen“, so sein Fazit.


Von Paul Allen


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