Wenn sich Fremdkapital verteuert

Seit die Ära des billigen Geldes vorbei ist, müssen Investoren neu kalkulieren. Dabei ergeben sich jetzt für eigenkapitalstarke, langfristig orientierte Investoren neue Chancen. Von Christian Hunziker

Seit vielen Jahren ist Claus Thomas in der europäischen Immobilienbranche aktiv. Doch die Geschwindigkeit, in der sich in diesem Jahr die Zinsen erhöht haben, hat der Vorsitzende der Geschäftsführung von BNP Paribas REIM Deutschland nach eigenen Worten „noch nicht erlebt. Die Folge, so Thomas: Investoren machten sich jetzt Gedanken, wie Immobilien in diesem Zinsumfeld in die Gesamtallokation des Kapitals passten.


Tatsächlich endete in den ersten Monaten des Jahres 2022 die langjährige Ära der extrem niedrigen Zinsen abrupt. Im Frühjahr kündigte die US-Notenbank Fed eine ganze Serie von Zinserhöhungen an, und im Juli folgte – wenn auch deutlich zögerlicher – die Europäische Zentralbank, indem sie die Leitzinsen um 50 Basispunkte anhob. Bereits zuvor hatten sich die für die Immobilienbranche relevanten Zinsen stark erhöht. Der Fünf-Jahres-Swap kletterte von Mitte 2021 bis Mitte 2022 von minus 0,3 auf rund 2,3 Prozent – ein Anstieg um 260 Basispunkte, wie Helge Scheunemann, Head of Research bei JLL Germany, vorrechnet. Weil gleichzeitig auch noch die Margen der Banken angezogen hätten, ergebe sich in Summe ein Anstieg um 300 Basispunkte innerhalb von zwölf Monaten. „Dies alles“, konstatiert Scheunemann, „kann nicht folgenlos an den Investment- und Immobilienmärkten vorübergehen.“


Das Transaktionsvolumen sinkt, die Renditen sind noch weitgehend stabil

Klar ist: Wenn die Zinsen steigen, müssen Investoren, die Fremdkapital einsetzen, ihre Renditeberechnungen revidieren. Die Folgen sind eine spürbare Zurückhaltung der Investoren und ein deutlich gesunkenes Transaktionsvolumen. In Deutschland beispielsweise verringerte sich nach Angaben von Savills der Umsatz mit gewerblichen Immobilien im zweiten Quartal 2022 gegenüber dem ersten Quartal um 60 Prozent. Allerdings war der Einbruch nicht in allen europäischen Ländern so stark, wie Marcus Lemli, CEO Germany und Head of Investment Europe bei Savills, feststellt. So sei in den südeuropäischen Ländern bis Mitte 2022 kaum ein Rückgang des Transaktionsvolumens festzustellen gewesen. „Das hängt damit zusammen, dass diese Staaten nie so extrem günstige Finanzierungskonditionen hatten wie Deutschland“, erklärt Lemli. Unterschiede gibt es auch bei den Assetklassen. In Großbritannien beispielsweise stellt Savills eine deutliche Preiskorrektur bei Logistikimmobilien fest, während nach den Erfahrungen von Union Investment in Polen Logistikimmobilien deutlich gefragter sind als etwa Büroobjekte.


Projektentwickler spüren Turbulenzen: Der Nachschub stockt

Fraglich ist allerdings, ob in den nächsten Jahren so viele neue Projekte in den unterschiedlichen Assetklassen auf den Markt kommen werden wie noch vor Kurzem erwartet. Denn Projektentwickler stehen vor erheblichen Herausforderungen – nicht nur wegen der gestiegenen Zinsen, sondern auch wegen der massiven Baukostensteigerung, der Zurückhaltung der Banken und des Zögerns vieler Investoren. 


„Aktuell verhalten sich viele Marktteilnehmer abwartend, beobachten die Situation und verschieben Entscheidungen über Projekte“, beobachtet Manuel Köppel, CFO des Finanzierungsvermittlers BF direkt, mit Blick auf den deutschen Markt zur Jahresmitte 2022. Dennoch lassen sich auch in der jetzigen Marktphase unter bestimmten Voraussetzungen Forward Deals realisieren, wie Michael Bütter, Vorsitzender der Geschäftsführung der Union Investment Real Estate GmbH, erklärt (siehe Interview auf Seite 8). So sicherte sich Union Investment im Juni, also in einer von sehr hoher Unsicherheit geprägten Zeit, im Rahmen eines Forward Funding ein projektiertes Bürogebäude in Helsinki, das in Holzbauweise errichtet und voraussichtlich Mitte 2022 fertiggestellt sein wird.


Anpassungszeiten, wie wir sie derzeit erleben, bieten für eigenkapitalstarke, langfristig orientierte Investoren große Chancen.
Marcus Lemli CEO Germany und Head of Investment Europe, Savills

In der Gemengelage von steigenden Zinsen und rückläufiger Nachfrage müssten theoretisch die Preise von Immobilien deutlich nachgeben. Das aber war zumindest bis Mitte 2022 auf breiter Front nicht der Fall. „Trotz der gestiegenen Zinsen können wir in den wichtigen europäischen Ländern nicht generell von einem Preisrutsch sprechen“, sagt Hela Hinrichs, Senior Director EMEA Research and Strategy bei JLL. „Vor allem bei ESG-konformen Objekten an guten Standorten sind die Preise bisher stabil geblieben.“ Auch für die Zukunft erwartet Hinrichs bei Immobilien von guter Qualität keine deutlich fallenden Preise. Dafür nennt sie zwei Gründe: Zum einen hielten sich manche Verkäufer zurück, da sie gar nicht wüssten, wie sie den Verkaufserlös anlegen sollten. Zum andern sei nach wie vor viel Kapital vorhanden, das in Immobilien investiert werden solle. „Denn Immobilien sind Sachwerte, und oft sind die Mieten mittels indexierter Verträge an die Inflation gekoppelt“, begründet dies Hinrichs. Außerdem steigen auch unabhängig davon nach ihren Worten in vielen Märkten die Mieten für zentral gelegene, hochwertige Büroflächen weiter. In Bezug auf das Transaktionsvolumen erwartet die Researcherin im vierten Quartal 2022 eine Normalisierung. „Dann“, sagt sie, „wird die Zeit der großen Unsicherheit vorbei sein, und die Marktakteure dürften sich wieder gefunden haben.“


Union Investment hat im Rahmen eines Forward Funding ein projektiertes Bürogebäude in Holzbauweise vom renommierten finnischen Bauunternehmen SRV in Helsinki erworben. Es ist eines der ersten auf die EU-Taxonomie abgestimmten Projekte in Finnland.
SRV (simulation)
Vor allem bei ESG-konformen Objekten an guten Standorten sind die Preise bisher stabil geblieben.
Hela Hinrichs Senior Director EMEA Research and Strategy, JLL

Kurzfristig könne es allerdings durchaus sein, dass Kapital, das bisher in Immobilien investiert worden sei, jetzt erst einmal in andere Anlageklassen – beispielsweise in Staatsanleihen – fließe, gibt Matthias Pink, Head of Research Germany bei Savills, zu bedenken. Hintergrund sind die deutlich gestiegenen Renditen insbesondere für Staatsanleihen. So erreichte die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen im Juni 2022 immerhin 1,92 Prozent, womit sie nur noch etwa 0,8 Prozentpunkte unter der Rendite von Core-Büroimmobilien lag. Die Frage sei jedoch, in welchem Umfang Kapital aus dem Immobiliensegment abfließen werde, sagt Pink. Zu berücksichtigen sei dabei, dass vor dem Hintergrund der hohen Inflation Investoren bereit seien, bei Immobilien eine geringere Risikoprämie zu akzeptieren. 


Eigenkapitalstarke Investoren kommen jetzt verstärkt zum Zug

Auf jeden Fall aber dürften sich nach Ansicht der Marktbeobachter die Gewichte auf Investorenseite verschieben. „Fondsgesellschaften und andere eigenkapitalstarke Investoren haben jetzt eher die Chance, zum Zuge zu kommen, als früher, als Investoren mit mehr als 50 Prozent Leverage die klassischen institutionellen Investoren fast immer überboten haben“, sagt JLL-Researcherin Hela Hinrichs. Und auch Savills-CEO Marcus Lemli ist überzeugt: „Anpassungszeiten, wie wir sie derzeit erleben, bieten für eigenkapitalstarke, langfristig orientierte Investoren die große Chance, sich jetzt Immobilien von hoher Qualität zu sichern.“


Von Christian Hunziker


Titelbild: European Union 2017/ECB

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