
Knappe Ressourcen, steigende Materialkosten, hohe Baupreise – für Immobilieninvestoren kann das Dilemma kaum größer sein. Aus der Misere könnte der Einsatz von recycelten Baumaterialien und gebrauchten Bauteilen führen, der zugleich die Dekarbonisierung der Branche vorantreibt. Von Dagmar Hotze
Die Situation ist paradox: Während die Preise für Baumaterialien steigen – seit Mai 2021 haben sich beispielsweise Baustahlmatten um über 80 Prozent und Bauholz um fast 35 Prozent verteuert – und Rohstoffe wie Sand und Kies infolge des weltweiten Baubooms zunehmend knapp werden, türmen sich die Berge von Bauabfällen immer höher auf. Mit rund 230 Millionen Tonnen pro Jahr ist der Bausektor der größte Müllverursacher in Deutschland. Obendrein verantwortet er 40 Prozent der hiesigen CO₂-Emissionen. Würde das Recyclingpotenzial von Bauschutt konsequent genutzt und würden Bauteile systematisch wiederverwendet, blieben wertvolle Ressourcen erhalten und es entstünden weniger Treibhausgase.
Baustoffe aus Abfall haben sich im Hochbau bisher nicht durchgesetzt
Beispiel Beton: Ein Pilotprojekt im Rahmen von Ausschreibungen der Berliner Senatsverwaltung für den Neubau eines Forschungsgebäudes der Humboldt-Universität ergab im Jahr 2013, dass durch den Einsatz von Recyclingbeton die CO₂-Emissionen um 7 Prozent reduziert werden können, verglichen mit herkömmlich produziertem Beton. Zudem ist der Energieaufwand für Herstellung und Transport um 66 Prozent geringer.
Trotzdem setzte sich Recyclingbeton im Hochbau nicht durch. Zwar wurden von den circa 74 Millionen Tonnen, die 2018 an mineralischen Abfällen aus Bauschutt und Straßenaufbruch anfielen, rund 60 Millionen Tonnen recycelt. Die aufbereiteten Baustoffe kamen jedoch vorwiegend im Straßen-, Erd- und Deponiebau zum Einsatz, wurden also qualitativ minderwertig recycelt. „Der Wertverlust lässt sich sogar monetär beziffern, bedenkt man, dass eine Tonne Beton bis zu 130 Euro kostet und für die Tonne eines recycelten Baustoffs nur 8 bis 10 Euro zu zahlen sind“, sagt die Architektin Anja Rosen, Honorarprofessorin für zirkuläres Bauen an der Bergischen Universität Wuppertal.
EU-Taxonomie verlangt hochwertige Aufbereitung und Wiederverwendung
Mit der EU-Taxonomie-Verordnung, die Nachhaltigkeitsanforderungen an wirtschaftliche Aktivitäten und Investments definiert, dürfte es mit dem Downcycling vorbei sein. Denn Artikel 13 sieht unter anderem die hochwertige Aufbereitung und Wiederverwendung von Materialien vor und verlangt die Verringerung und Vermeidung von Abfällen beim Bau und beim Abriss von Gebäuden.
Den Praxistest macht ab Herbst 2022 der börsennotierte Wohnentwickler Instone Real Estate in einem Teilabschnitt des im Bau befindlichen Berliner Quartiers Friedenauer Höhe, das im Joint Venture mit OFB Projektentwicklung realisiert wird. Unter Einhaltung einschlägiger Normen kommt erstmals Recyclingbeton für die Deckenkonstruktion zum Einsatz, der nach dem klimaverträglichen und ressourcenschonenden Core-Verfahren des Schweizer Start-ups Neustark produziert wird. Die neuartige Betonrezeptur reduziert den Zementanteil, wodurch die CO₂-Emissionen um 20 Prozent geringer sind gegenüber konventionellem Beton. „Nach Abschluss des Pilotprojekts werden wir uns weiter damit beschäftigen und prüfen, wo der künftige Einsatz sinnvoll ist und die technischen oder genehmigungsrechtlichen Voraussetzungen gegeben sind“, so eine Sprecherin von Instone Real Estate.
Bei der Entsorgung und Verwertung von Wärmedämmplatten stehen die Zeichen ebenfalls auf Grün. In den Niederlanden ging im Juni 2021 eine erste Demonstrationsanlage in Betrieb, die es erstmalig ermöglicht, das klima- und umweltschädliche Flammschutzmittel HBCD und andere Zusatzstoffe auszuschleusen und das Polystyrol sortenrein zurückzugewinnen. Bisher darf das Material nach der EU-Chemikalienverordnung REACH nur thermisch verwertet werden. Durch die Verbrennung werden nicht nur wertvolle Ressourcen zerstört, sondern auch große Mengen CO₂ freigesetzt. Zurzeit baut das Konsortium Polystyreneloop, dem der EPS-Erzeuger BASF und der Dämmsystemhersteller Rygol angehören, ein geschlossenes Kreislaufsystem für die Wiederverwendung von Polystyrol-Dämmstoffabfällen auf. Pro Jahr ist das Recycling von 3.000 Tonnen HBCD-haltigem Material geplant. Dem steht der jährliche Rückbau von 200.000 Tonnen in Europa gegenüber. Das Reservoir ist demnach beträchtlich.
Zumeist wird Neuland betreten und der Planungsaufwand ist höher
Dass der Einsatz gebrauchter Materialien architektonisch reizvoll ist, beweist das Einfamilienhaus von Gundlach Bau und Immobilien in Hannover, das nach Ideen des Architekturbüros Cityförster entstand. Über 50 Prozent der eingesetzten Bauteile in dem 150 Quadratmeter Wohnfläche großen Gebäude haben ein Vorleben: In der Holzfassade stecken ausrangierte Saunabänke, im Treppenhaus Eichenholzbalken aus Fachwerkhäusern. Der Messebau lieferte Einbaumöbel, aus der Gastronomie stammen die Kronkorken für die Wandmosaike im Bad. Neu ist die gesamte Haustechnik und was aufgrund von Baunormen neu sein musste. „Wir haben hier etwas ausprobiert“, so Prokurist Franz-Josef Gerbens.
Normalerweise werde erst geplant und dann das Material eingekauft. „Hier musste der Architekt das Haus beispielsweise um die Fenster herum planen, also wesentlich kreativer sein.“ Neuland beschritten die Partner bei der Frage, wer die Gewährleistung für die gebrauchten Produkte übernimmt, denn der Bau eines Recyclinghauses ist gesetzlich nicht geregelt. Deshalb musste bei den Handwerkern erst Vertrauen aufgebaut werden. „Erfreulicherweise spielten die Behörden mit, was nicht die Regel ist.“ Drei Jahre dauerte die Vorbereitung, 15 Monate der Bau zu Kosten von etwa 10 Prozent über „normal.
Das ökologische Potenzial von recycelten Materialien ist also vorhanden. Um damit ökonomisch sinnvoll bauen zu können, muss die Bau- und Immobilienwirtschaft ihre Prozesse – von der Planung über die Erstellung und den Betrieb bis zum Rückbau sowie eine umfassende lebenszyklusbegleitende Dokumentation – auf eine zirkuläre Wertschöpfung umstellen.
Außerdem müssen Materialbörsen etabliert werden, die Transparenz über Angebot und Nachfrage herstellen. Auch kommt es auf die Offenheit von Investoren, Projektentwicklern und Bestandshaltern an, entsprechende Produkte nachzufragen, damit Recycling im Bausektor Fahrt aufnimmt. Andernfalls sind Klimaschutz, Kostenverträglichkeit und Rohstoffproduktivität nicht miteinander zu vereinbaren.
Von Dagmar Hotze