
Bei globalen Investoren gilt Deutschland trotz geänderter Rahmendaten nach wie vor als attraktiver Markt. Von Preiskorrekturen indes profitieren vor allem eigenkapitalstarke Inländer, die ihren Markt gut kennen. Von Christine Mattauch
Es sind Zeiten, in denen Prognosen über Nacht entwertet werden können. Gar nicht lange her, da bescheinigte der Immobiliendienstleister CBRE den deutschen Immobilienmärkten glanzvolle Aussichten, mit Konjunkturerholung, robusten Fundamentaldaten und einem Transaktionsvolumen von mindestens 85 Milliarden Euro. Und heute? „Die Rahmendaten sind gänzlich andere als zu Jahresanfang“, sagt Jan Linsin, Head of Research Germany bei CBRE. In seinem neuen Outlook heißt es vorsichtig: „Die deutsche Wirtschaft stemmt sich gegen die exogenen Risikofaktoren.“ Gegen die Folgen des Kriegs in der Ukraine also.
Die russische Invasion bedeutet eine Zeitenwende – auch für den Immobilienstandort Deutschland: das Wirtschaftswachstum deutlich schwächer, steigende Zinsen und Inflation, die Energieversorgung infrage gestellt. An die Stelle von Risikobereitschaft und Appetit auf Deals sind Zurückhaltung und Vorsicht getreten; viele Akteure richten sich darauf ein, dass sich die geopolitische und die wirtschaftliche Situation jederzeit schnell verändern können.
Weniger Transaktionen – doch die Ausländer bleiben im deutschen Markt
Der Attentismus hat noch einen anderen Grund: „Derzeit scheint die Stimmung vorzuherrschen, dass Immobilien auf den meisten Märkten mittelfristig günstiger zu haben sein werden“, sagt Timothy Horrocks, Head of Real Estate Continental Europe von Nuveen Real Estate, mit einem verwalteten Vermögen von 113 Milliarden Euro einer der größten Investmentmanager weltweit. Potenzielle Käufer erwarten sinkende Preise, während sich Verkäufer noch vielfach gegen den Trend stemmen: Der Markt muss sich neu sortieren. Das braucht seine Zeit.
Gilt der deutsche Immobilienmarkt auch unter schwierigeren Vorzeichen noch als „Safe Haven“? Das im Juli veröffentlichte „Trendbarometer Immobilienanlagen der Assekuranz 2022“ von EY Real Estate weist Deutschland weiterhin als beliebtesten Standort für Immobilieninvestments aus. Das Transaktionsvolumen im ersten Halbjahr 2022 lag um 5 Prozent höher als im Vorjahr, wozu ausländische Investoren maßgeblich beitrugen: Größter Deal war die Übernahme eines 91,6-prozentigen Anteils von Alstria durch den kanadischen Assetmanager Brookfield. In der Statistik habe dies „den Anteil ausländischer Investoren positiv beeinflusst und auf 42,3 Prozent anwachsen lassen“, sagt Matthias Barthauer, Lead Director Research bei JLL. „Aber selbst wenn es diese Übernahme nicht gegeben hätte, wäre der Anteil mit dann 39,8 Prozent immer noch hoch gewesen.“
Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden globale Investoren Deutschland nicht verlassen, sondern höchstens eine Zeit lang an der Seitenlinie sitzen.
Gegenüber dem ersten Quartal ging das Transaktionsvolumen im zweiten Quartal allerdings um fast die Hälfte zurück, auf 12,3 Milliarden Euro – Ausdruck der allgemeinen Verunsicherung. Weder die geografische Nähe zum Krieg noch die eingetrübten Konjunkturaussichten haben aber bislang dazu geführt, dass sich globale Investoren dezidiert vom deutschen Markt zurückziehen, anders als in den osteuropäischen Staaten, wo einige auf Neugeschäft bereits ganz verzichten. Auch im Vergleich zu anderen EU-Staaten konnte sich Deutschland bei Transaktionen behaupten.
„Als großer etablierter Immobilienmarkt in Europa, der über eine hohe Liquidität und eine solide Kapitalbasis verfügt, ist Deutschland als Immobilienstandort für globale Investoren sehr attraktiv“, sagt Nuveen-Manager Horrocks. Im Vergleich mit anderen großen Märkten wie dem Vereinigten Königreich sei der deutsche Markt zudem weniger volatil. „Dies trägt definitiv weiter zur Attraktivität des Standorts bei.“

Inflations- und Konjunkturrisiken gelten in Deutschland als beherrschbar
Angesichts der steigenden Kosten für Fremdfinanzierungen sieht Horrocks besonders eigenkapitalstarke inländische Investoren im Vorteil, die ihren Heimatmarkt gut kennen. Deshalb könnten „Marktkorrekturen erst mit Verzögerung sichtbar werden“, Ausländer würden sich dann wohl erst einmal zurückhalten. „Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden globale Investoren Deutschland aber nicht verlassen, sondern höchstens eine Zeit lang an der Seitenlinie sitzen.“
In der größten Volkswirtschaft Europas gelten Inflations- und Konjunkturrisiken als beherrschbar, auch wegen der im internationalen Vergleich niedrigen Verschuldung, die dem Staat in den Augen von Investoren Handlungsspielraum lässt. Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen ist deshalb nach wie vor niedrig. Der Immobilienmarkt ist zwar nicht so transparent wie in angelsächsischen Ländern, doch immerhin kommt Deutschland beim Global Real Estate Transparency Index von JLL regelmäßig unter die Top Ten und machte in diesem Jahr sogar einen Platz gut. Für langfristig orientierte Investoren zähle überdies die Verfügbarkeit von hochwertigen, nachhaltig gebauten Objekten, meint Analyst Linsin: „Leerstände steigen vor allem dort, wo die Immobilienqualität nicht stimmt.“
Indexierung von Gewerbemietverträgen als wichtiger Inflationsschutz
Moderne Flächen in guten Lagen hingegen sind bei Mietern weiterhin begehrt: Laut BNP Paribas Real Estate wurden im ersten Halbjahr in den acht deutschen Topstädten 1,82 Millionen Quadratmeter Büroflächen umgesetzt, ein Plus von 34 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Mindestens ebenso sehr wie die starke Nachfrage zählt für Investoren gerade jetzt die Indexierung der Gewerbemietverträge, die einen guten Inflationsschutz bietet – und etwa in Großbritannien weit weniger üblich ist. Dort werden gewerbliche Mieten im Rahmen sogenannter Rent Reviews neu justiert, typischerweise alle drei bis fünf Jahre.
Auch für Allianz Real Estate als großem globalen Immobilien-Investmentmanager bleibt Deutschland ein wichtiger Markt, sagt Nicole Pötsch, Head of Investment and Strategic Development für North & Central Europe. „Momentan sind wir, was neue Aktivitäten angeht, extrem selektiv, aber weiterhin offen für Opportunitäten, wenn sie attraktiv sind.“ Im März tat sich Allianz mit dem Developer Edge und der Bayerischen Versorgungskammer zusammen, um an vier deutschen Topstandorten nachhaltige Büroimmobilien zu entwickeln. Bereits im April folgte der erste Grundstückskauf, das sogenannte Wriezener Karree in Berlin. Und Ende Juni erwarb Allianz Real Estate eine Logistikimmobilie. Büro und Logistik, das sind Bereiche, in denen Pötsch auch künftig Nachfrage sieht – und Potenzial für Mietsteigerungen. „Bei Wohnen sind wir aktuell etwas vorsichtiger.“
Das hat seinen Grund. Steigende Bau, Material- und Finanzierungskosten belasten die Rentabilitätsrechnung in fast allen Immobilienbereichen, besonders jedoch im Segment Wohnen. Regulierung, oftmals fehlende Indexierung und sinkende Realeinkommen erschweren es dort, höhere Kosten zeitnah auf Mieten umzulegen; bei Neubauten steigt überdies das Leerstandsrisiko. Damit sich der Einstieg für Investoren lohnt, müssten sich die Rahmenbedingungen ändern, sagt Ulrich Schmidt, Finanzmarktexperte am Kieler Institut für Weltwirtschaft. „Ich rechne mit deutlichen Preiskorrekturen, wenn die Zinsen auf dem jetzigen Niveau verharren oder sinken.“
Schon jetzt würden Mehrfamilienhäuser zum 20- bis 25-Fachen der Jahresmiete gehandelt statt wie zuvor zum 30-Fachen.
Es kann sich also lohnen zu warten – oder in eine andere Richtung zu gehen. „Wir wollen künftig stärker im sozial geförderten Bereich investieren“, sagt Allianz-Managerin Pötsch. Die staatlich festgelegten Konditionen und die Belegungssicherheit lassen ein Engagement in Krisenzeiten besonders attraktiv erscheinen, „stabiler geht’s fast nicht“, so Pötsch.
Die neuen Marktbedingungen beleben auch andere Nischen. W. P. Carey zum Beispiel, ein New Yorker REIT, ist auf Sale-and-lease-back-Transaktionen spezialisiert. In Europa investiert er nach eigenen Angaben in diesem Jahr rund 800 Millionen US-Dollar. In der Vergangenheit lag nur ein geringer Teil der Transaktionen in Deutschland: „Wir mögen den deutschen Standort sehr, er war aber auch sehr teuer“, sagt Christopher Mertlitz, Head of European Investments. Das könnte sich nun ändern, und wegen steigender Kreditzinsen wird wohl auch das Interesse von Unternehmen an alternativen Finanzierungsquellen zunehmen.
Mertlitz jedenfalls sieht „gute Perspektiven, dass wir Objekte finden werden“. Nicht zuletzt profitieren nordamerikanische Investoren wie W. P. Carey von der Stärke des US-Dollar gegenüber dem Euro.
Bei alledem wird es darauf ankommen, wie sich Ukraine-Krieg, die Zinsstrategie der Europäischen Zentralbank und die Konjunktur entwickeln. „Eine schwere Rezession würde die Nutzermärkte in allen Bereichen beeinträchtigen“, warnt JLL-Researcher Barthauer. Bei einem „mittleren Szenario“ ohne größere Verwerfungen jedoch würde der Immobilienstandort Deutschland vom Wunsch nach Inflationsabsicherung und vom Anlagenotstand profitieren – schließlich nehme der Druck mit jedem Monat zu. „Wir rechnen mit einem starken Jahresausklang.“

„In allen Marktsituationen ergeben sich Chancen“
Alejandro Obermeyer, Leiter Investment Management DACH von Union Investment, über die Sicht des Unternehmens auf den Immobilienstandort Deutschland.
Welche Strategie verfolgen Sie derzeit auf dem deutschen Immobilienmarkt?
Salopp ausgedrückt: Fuß auf Gas und Bremse zugleich. Die Märkte werden schwieriger, aber in allen Marktsituationen ergeben sich Chancen. Die gilt es konsequent zu nutzen. Wir haben die besten Voraussetzungen dazu.
Wo sehen Sie Chancen?
Grundsätzlich spielt die Qualität der Lage eine bedeutende Rolle. Dazu kommen steigende Anforderungen an technische Standards der Gebäude sowie zeitgemäße und moderne Gebäudestrukturen. Das lässt sich sowohl bei Neubauprojekten als auch bei guten Bestandsgebäuden realisieren.
Kommen ausreichend attraktive Objekte auf dem Markt?
In der Tat sehen wir aktuell eine Neigung, Projekte erst mal auf Eis zu legen. Wenn es weniger neue Produkte gibt, stabilisiert das die Mietmärkte, nicht nur im Neubau, sondern auch im Bestand. Die Entwicklung bietet somit auch hervorragende Investitionsmöglichkeiten.
Haben ausländische Investoren einen Bietervorteil?
Ja, aber ausländische Investoren finanzieren ihre Investments in der Regel mit Fremdkapital, da kommt ihnen das deutlich gestiegene Zinsniveau nicht gerade entgegen. Daneben brauchen ausländische Investoren meist länger, sich an geänderte Marktverhältnisse anzupassen. Wir kennen den deutschen Markt und sind ein verlässlicher Partner, gerade in schwierigen Zeiten. Das wissen Verkäufer zu schätzen.
Von Christine Mattauch