Europas Miet-Wohn-Boom

Veränderte Lebensgewohnheiten und kaum bezahlbare Eigenheime treiben die Nachfrage auf den europäischen Build-to-Rent-Märkten in die Höhe. Trends und Aussichten auf den dynamischen Märkten Großbritanniens und Skandinaviens. Von Paul Allen

Der britische Build-to-Rent-Markt verzeichnete im ersten Halbjahr 2022 Rekordinvestitionen von 1,76 Milliarden Pfund (2,05 Milliarden Euro), was einem Anstieg von 11 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht, so die Immobilienberatung CBRE. Damit ist die Branche auf dem besten Wege, den bisherigen Höchststand von 4,4 Milliarden Pfund (5,1 Milliarden Euro) im Jahr 2021 zu erreichen oder gar zu übertreffen. Deutschland, wo private Mietwohnungsanbieter einen Anteil von fast 50 Prozent am gesamten Wohnungsmarkt haben, ist der bei Weitem größte Markt für Mietwohnungsimmobilien in Europa, so Stephen Screene, Head of EMEA Living, EMEA Capital Markets bei Cushman & Wakefield. Doch in anderen Ländern – auch am traditionell auf Eigennutzer ausgerichteten britischen Markt – geht die Entwicklung ebenfalls in diese Richtung.
„Da die Hauspreise in Großbritannien für große Teile der Bevölkerung unerschwinglich sind, ist die Mietwohnung die einzige Alternative“, so die Feststellung von Mark Clegg, Head of Residential Capital Markets UK bei Cushman & Wakefield.


Gerade in wirtschaftlich unsicheren Zeiten lassen sich mit Wohnimmobilien langfristig hohe und stabile Renditen erzielen. Entsprechend groß ist das Investoreninteresse. „Der Mangel an Mietwohnungen im Vereinigten Königreich, ein schrumpfender Wohninvestmentmarkt im Bestand, eine steigende Zahl der Haushalte und kaum erschwingliches Wohneigentum werden auf absehbare Zeit Investitionen am Build-to-Rent-Markt anziehen“, meint der Experte.


Der dänische Mietwohnungssektor ist seit 2016 ununterbrochen der aktivste Immobiliensektor des Landes. 2021 lag der Marktanteil bei 61 Prozent.
Catherine Bai Senior Analyst EMEA Capital Markets, Cushman & Wakefield

In Skandinavien stellt sich die Situation ähnlich dar. In Schweden, dem größten Mietwohnungsmarkt der Region, hat sich das Gesamtvolumen des privaten Mietwohnungssektors einschließlich Portfoliotransaktionen in den zehn Jahren bis 2021 auf 7,6 Milliarden Euro verdreifacht, wie Catherine Bai, Senior Analyst EMEA Capital Markets bei Cushman & Wakefield, feststellt. „Der dänische Mietwohnungssektor, der 2021 ein Volumen von insgesamt mehr als 7 Milliarden Euro aufwies, ist seit 2016 ununterbrochen der aktivste Immobiliensektor des Landes. 2021 lag der Marktanteil bei 61 Prozent“, so die Analystin.
 
„Aufgrund des Zustroms aus den ländlichen Regionen gab es in den letzten Jahren vor allem in den Hauptstädten Skandinaviens eine hohe Nachfrage nach Wohnraum“, erklärt Stephen Screene. Norwegen, Finnland, Schweden und Dänemark haben zudem europaweit den höchsten Anteil an Ein-Personen-Haushalten. Angesicht eines knappen Angebots an Bauland und einer geringen Bautätigkeit geraten Nachfrage und Angebot erst recht aus dem Gleichgewicht. Und weil die Immobilienpreise deutlich schneller als die Mieten steigen, können sich viele Interessenten kein Eigenheim mehr leisten – und werden in den Mietwohnungsmarkt abgedrängt.


„Stockholm ist nach wie vor der Wachstumstreiber der Region“, meint David Hutchings, Head of Investment Strategy EMEA Capital Markets bei Cushman & Wakefield. „Die Einwohnerzahl und die Arbeitsplätze werden bis 2032 voraussichtlich um mehr als 10 Prozent zunehmen und wesentliche Stützpfeiler des Mietwohnungsmarkts sein.“


Zur Miete wohnen wird zu einer Frage des geänderten Lebensstils

Im Vereinigten Königreich ist die steigende Nachfrage nach Mietwohnungen zwar im Wesentlichen den hohen Hürden beim Kauf geschuldet, aber es ist auch eine bewusste Änderung des Lebensstils zu beobachten. So das Fazit von George Dyer, Head of Divestment beim britischen Wohnimmobilienentwickler und -verwalter Watkin Jones: „Ein Hauskauf ist nicht jedermanns Sache. Wer flexibel bleiben möchte, sich keinen Stress mit der Instandhaltung machen will und auf guten Service Wert legt, für den bietet eine Mietwohnung viele Vorteile.“ 


Allmählich könnte sich auch die Erkenntnis durchsetzen, dass das Wohnen zur Miete die nachhaltigere Option darstellt. „Wir bauen Wohnungen, die den institutionellen Standards für Nachhaltigkeit entsprechen. Unsere Immobilienverwaltung Fresh verhilft Menschen aktiv zu einer nachhaltigeren Lebensweise“, kommentiert Dyer.


Diese soliden Marktgrundlagen schlugen sich in einem Branchenwachstum von 14 Prozent im Jahresvergleich nieder. Im ersten Quartal dieses Jahres befanden sich in Großbritannien insgesamt 225.352 Wohnungen in der Fertigstellung, im Bau oder in der Planung. Der Schwerpunkt des Wohnimmobilienmarkts ist seit jeher London, wo im ersten Quartal fast 43.000 Mietwohnungen geplant wurden. Doch auch in anderen Regionen des Landes ist mit mehr als 63.000 geplanten Mietwohnungen eine rege Bautätigkeit festzustellen.


Watkin Jones, Großbritanniens führender Bauträger und Verwalter von Mietwohnungen, errichtet im Zentrum von Birmingham das Makers‘ Yard, ein Build-to-Rent-Projekt. 551 Wohnungen sowie Gemeinschafts- und Gewerbeflächen gehören dazu.
Watkin Jones (simulation)

Dyer verweist auf die steigende Nachfrage in regionalen Ballungszentren wie unter anderem Birmingham, Manchester, Edinburgh und Glasgow, aber auch auf gute Chancen in anderen Städten. „Unsere Projektentwicklung in Bournemouth war eines der ersten, wenn nicht sogar das erste Mietwohnungsprojekt in einem kleineren regionalen Zentrum. In Exeter haben wir außerdem unser erstes Co­living-Projekt verwirklicht“, erklärt er. 


Auch in Skandinavien stehen vor allem die Hauptstädte und deren Einzugsgebiete im Fokus der Investoren. Aber die Corona-Pandemie hat dem Arbeiten im Homeoffice und dem Online-Einkaufen neue Impulse gegeben, während das Geschäftsleben in den Innenstädten vorübergehend stillstand oder sogar dauerhaft eingestellt wurde. „Die Pandemie hat dazu geführt, dass die Menschen aus den Innenstädten in die Vorstädte beziehungsweise von den Hauptstädten in die B-Städte zogen“, so David Hutchings. „So hatte in Dänemark die Hauptstadtregion früher einen Anteil von 70 bis 80 Prozent am gesamten Mietwohnungsmarkt. In den letzten Jahren ist dieser Wert auf rund 50 Prozent gesunken, da die Investoren sich regionalen Märkten wie Aarhus, Mitteljütland, Odense oder Süddänemark zuwandten.“


Mietwohnungsimmobilien in den ­Innenstädten stehen im Vordergrund

Auch der Mietermarkt entwickelt sich weiter. „Zielgruppe des Mietwohnungsmarkts war bislang die Altersgruppe der 25- bis 35-Jährigen, für die in den Stadtzentren Wohnkomplexe mit guter Verkehrsanbindung zum Arbeitsplatz entstanden“, so Mark Clegg. Inzwischen ist eine professionell verwaltete Wohnanlage mit vielfältigen Extras auch für ein breiteres Altersspektrum interessant. „Concierge-Service, Paketlagerung, Veranstaltungen, Dachgärten und Coworking-Flächen sind für junge und ältere Mieter gleichermaßen attraktiv“, meint er.


Im Vereinigten Königreich und in Skandinavien stehen Mietwohnungsimmobilien in den Innenstädten seit jeher im Vordergrund. Gleichzeitig ist dort ein starkes Wachstum der Vorstädte und eine Zunahme der Einfamilienhäuser im Mietsegment zu verzeichnen. Derzeit befinden sich 92 Prozent der Mietwohnungsimmobilien an städtischen Standorten.


Dazu Clegg: „Während ein Hauskauf für junge Interessenten schwierig ist, benötigen viele Mieter der mittleren Generation mehr Wohnraum mit Garten und einem guten Schulangebot in der Nähe. Für sie ist ein Einfamilienhaus interessant.“„Das könnte Investoren und Betreibern neue Perspektiven eröffnen“, erklärt wiederum Stephen Screene. „Einfamilienhäuser bedeuten eine geringere Mieterfluktuation und weniger Leerstand sowie geringere Betriebskosten. Die Bereitstellung und Wartung gemeinschaftlich genutzter Anlagen wie zum Beispiel Aufzügen entfällt.“


Bei Watkin Jones sieht man im Sektor Einfamilienhäuser auch die Chance, erschwinglichen Mietwohnraum zu schaffen, wie George Dyer ausführt: „Das ist für uns ein wichtiger Schwerpunkt. Im Nordwesten Englands und anderen Regionen, wo bezahlbarer Wohnraum dringend benötigt wird, besteht für Investoren die Chance auf eine langfristig sichere Rendite, die sehr stark auf die ökologischen und sozialen Kriterien des ESG-Ansatzes einzahlt.“


Solide Fundamentaldaten bieten ­Chancen für institutionelle Investoren

Institutionellen Anlegern bieten die soliden Fundamentaldaten der sich entwickelnden Märkte Skandinaviens und Großbritanniens die Möglichkeit, in Werte zu investieren, die nachhaltig wachsende Erträge liefern und dabei als Inflationsschutz dienen. „Der Mietwohnungsimmobilien-Sektor hat seine Widerstandsfähigkeit während der Corona-­Pandemie unter Beweis gestellt und dürfte auch in Zukunft andere Anlageklassen übertreffen“, erklärt Friedrich Georg Warmbold, Leiter Investment Management Residential bei Union ­Investment. „Mit dem Aufbau unseres ­europäischen Residential-Investment-Teams und einer Investitionsstrategie, die auf erschwing­lichen Wohnraum für mittlere und gehobene Einkommensschichten in dicht besiedelten Metropolregionen Europas abzielt, sind wir gut aufgestellt, um an diesem langfristigen Trend aktiv teilzuhaben.“ 


Aufgrund des geringen Angebots gehen Investoren verstärkt dazu über, Objekte im Projektstadium zu kaufen. Union Investment richtet den Fokus auf Einzelobjekte ab 50 Millionen Euro und größere Portfolios, wobei Forward-Funding- oder Forward-Purchasing-Transaktionen sowie Bestandsimmobilien jüngerer Baujahre von besonderem Interesse sind. „Investoren wollen in der Regel direkt in großem Stil in den Markt einsteigen. Dann sind Forward Funding und Forward Purchasing die einzig sinnvollen Optionen“, resümiert Mark Clegg. „Der Handel mit Renditeobjekten im Mietwohnungssektor wird anlaufen, ist aber bislang noch recht überschaubar.“


Von Paul Allen


Titelbild: Watkin Jones (simulation)

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