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Das Interesse an alternativen Energien ist groß. Aber funktioniert die Umstellung auf die Erneuerbaren auch bei Büroimmobilien? Über den aktuellen Stand und die Fallstricke der Energiewende. Von Isobell Lee
Als das Beratungs-, Planungs- und Projektmanagement-Unternehmen Drees & Sommer seine neue Unternehmenszentrale in Stuttgart plante, war klar, dass es kein x-beliebiges Gebäude werden sollte. „Es ist schwieriger, für sich selbst zu bauen als für jemand anderen“, meint Steffen Szeidl, CEO von Drees & Sommer. „Wir haben hier rund viertausend Kolleginnen und Kollegen, die alle tolle Ideen und Verbesserungsvorschläge einbringen könnten.“ Nur eines war klar: Die Nachhaltigkeit sollte im Vordergrund stehen. Deshalb wurden eine eigene Energieversorgung und ein CO2-neutraler Betrieb angestrebt. Die Planer erstellten mittels Bauwerksdaten-Modellierung einen digitalen Zwilling, um die Möglichkeiten auszutesten, und entschieden sich dann für eine umfangreiche Vorfertigung.
Prototypen machen die Herausforderungen im Bürosektor sichtbar
Das so entstandene Gebäude OWP12 am Standort Obere Waldplätze wird mit geothermischer und Solarenergie versorgt. Fotovoltaikmodule sind nicht nur auf dem Dach installiert, sondern wurden auch in die Glasfassade integriert. Das Dach sorgt für 67 Prozent der gesamten Energieerzeugung, die süd- und westwärts gerichteten Fassaden tragen zu 24 Prozent bei. Die Fotovoltaikanlage mit einer Leistung von 243 Kilowatt-Peak wird sich voraussichtlich in zehn Jahren amortisiert haben. Das Gebäude wird CO2-neutral betrieben. Dabei ist die Planung nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip erfolgt, das Objekt kann also nach der Nutzung wieder in seine Bestandteile zerlegt und dem Recycling zugeführt werden.
Die neue Zentrale ist für Drees & Sommer als Beratungsgesellschaft auch eine Visitenkarte. Das Interesse der Kunden an den umgesetzten Innovationen sei groß, heißt es seitens des Unternehmens. Daraus hätten sich schon rund 60 Folgeprojekte ergeben. Dank des flexiblen Designs lassen sich zukünftig weitere Technologien problemlos integrieren.
Obwohl die Immobilienbranche immer stärker unter Druck steht, die Energiebilanz von Gebäuden zu verbessern, haben weitreichende Projekte wie das OWP12 noch Seltenheitswert. Das Thema ist während der Pandemie eher noch stärker in den Fokus gerückt und wurde bei der UN-Klimakonferenz Ende 2021 nochmals auf höchster Ebene diskutiert. Durch den Krieg in der Ukraine erhalten Fragen der Energiewende und der Energieversorgung eine neue Brisanz.
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Dabei ist die Nutzung alternativer Energien bei Büroobjekten mit am schwierigsten umzusetzen, wie Peter Epping, Global Head of ESG bei Hines, anmerkt: „Wir erzeugen schon an vielen Standorten Strom aus erneuerbaren Energiequellen vor Ort, vor allem bei Logistikimmobilien“, meint er. „Bei Bürogebäuden hingegen ist das wegen der Platzverhältnisse schwieriger. Hier sind Politik und Energieunternehmen gefordert, damit grüner Strom bezogen werden kann. Zurzeit kaufen wir Ökostrom am Großhandelsmarkt und setzen nach Möglichkeit auf die Off-Site-Versorgung mit erneuerbaren Energien, die in Zukunft weiter ausgebaut werden soll.“
Das größte Problem, mit dem Bürovermieter hierbei zu kämpfen haben, ist die fehlende flächendeckende Verfügbarkeit. Elena Winter aus dem Nachhaltigkeitsteam von Union Investment bestätigt das: „Es ist keine große Herausforderung, eine Immobilie auf Ökostrom umzustellen. Die Schwierigkeit besteht eher darin, dass die Energiewirtschaft Strom aus erneuerbaren Energien in der richtigen Menge und bedarfsgerecht zur Verfügung stellen muss. Die Stromerzeugung aus Solar- und Windenergie lässt sich im Vergleich zum Kohlekraftwerk schlechter vorausplanen. Der Energiespeicherung kommt daher eine zentrale Bedeutung zu.“
Europäische Ziele und Maßnahmen reichen nicht aus
Nach einem aktuellen Bericht des Informationsdienstes Bloomberg NEF (BNEF) könnte die europaweite Umstellung auf umweltfreundliche Energien bis 2050 rund 5,3 Billionen US-Dollar kosten. Der „European Energy Transition Outlook 2022“ von BNEF zeichnet zwei umweltfreundliche Wege aus der gegenwärtigen Energiekrise Europas auf: Nach dem ersten Modell ließe sich der Verbrauch von fossilen Brennstoffen durch eine drastische Reduzierung der Kohlenutzung und die groß angelegte Umstellung auf Elektrofahrzeuge bis 2050 um fast ein Drittel reduzieren.
Das zweite Modell beschreibt einen aggressiveren Ausstieg aus fossilen Brennstoffen bis 2050 durch Elektrifizierung sowie durch die Umstellung auf grünen Wasserstoff, wobei Wind und Sonne als Hauptenergiequellen genutzt werden. Der im Mai vorgestellte REPowerEU-Plan der Europäischen Kommission beinhaltet zwar eine Reihe von Anreizen für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, strebt aber keine Unabhängigkeit vom Import fossiler Brennstoffe aus Drittländern an.
Das aktuelle Ziel der EU sieht vor, den Anteil der erneuerbaren Energien bis 2030 auf mindestens 32 Prozent zu erhöhen. Dabei lässt sie sich die Möglichkeit offen, dieses Ziel bis 2023 nach oben zu korrigieren. Diese Maßnahmen reichen nicht aus, um die Immobilienbranche bei der Umstellung wirksam zu unterstützen. Derweil streitet die EU bei der Festlegung der Taxonomieregeln immer noch darüber, wie nachhaltige Energien zu definieren sind.
Die Energiewirtschaft muss den Strom aus erneuerbaren Energien in der richtigen Menge und bedarfsgerecht zur Verfügung stellen.
Die Immobilienwirtschaft arbeitet allerdings bereits in Eigeninitiative daran, den Stromverbrauch von Gebäuden zu reduzieren und somit die Gesamtenergiebilanz zu verbessern. Dazu Elena Winter: „Es ist unbedingt erforderlich, den Strombedarf zu reduzieren, da der gesamte Energiebedarf nicht durch elektrischen Strom gedeckt werden kann.
Dazu kommt, dass die Nachfrage durch Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen, Digitalisierung und so weiter ohnehin steigt. In vielen Ländern gibt es diesbezüglich auch gesetzliche Vorgaben. Beim Heizen ist es deutlich schwieriger, auch wenn sich die Wärmepumpentechnik inzwischen erheblich weiterentwickelt hat, sodass sie jetzt auch bei großen oder nicht optimal gedämmten Bestandsgebäuden wirtschaftlich interessant ist. Auch Fernwärme ist eine mögliche Lösung für die Zukunft.“
Die private Investment-Holdinggesellschaft Middlecap sucht nach innovativen Lösungen, mit denen sich der Energieverbrauch der Büroimmobilien in ihrem Portfolio reduzieren lässt. Tomáš Jurdák, Partner und Head of Real Estate, erklärt: „Wenn wir Gebäude dekarbonisieren und ihre Energieeffizienz und Nachhaltigkeit optimal steigern wollen, müssen wir alle Energiequellen in Betracht ziehen. Aber es gibt auch Möglichkeiten, die CO2-Bilanz durch innovative Technologien und eine entsprechende Fassadengestaltung zu verbessern.“
„Die Fassade soll das Gebäude gegen übermäßige Erwärmung schützen, sie kann außerdem zur Gewinnung von Solarstrom genutzt werden. Weitere Einsparungen lassen sich dadurch erzielen, dass Warmwasser mittels Solar- oder Geothermie vorgeheizt wird, was auch zur Temperierung des Gebäudes beiträgt. Eine natürliche, rein mechanische Belüftung der Innenräume, die nur dann läuft, wenn sie benötigt wird, spart ebenfalls Energiekosten“, so Jurdák weiter.
Energieeffizienz anhand von Echtzeitdaten optimieren
Dank seiner innovativen Technologien erhielt das im Juni 2021 fertiggestellte Bürogebäude Southworks aus dem Portfolio von Middlecap die Bewertung BREEAM Outstanding und gehört damit laut BREEAM zu den besten 1 Prozent der nachhaltigen Bürogebäude Europas.
Die Energieeffizienz von Southworks wird auf der Grundlage von Echtzeitdaten optimiert, sodass die durch den Gebäudebetrieb verursachten CO2-Emissionen drastisch gesenkt werden. Tomáš Jurdák kommentiert: „Baustoffe wurden recycelt und wiederverwendet. Das Hauptdach ist als begrüntes Solardach gestaltet, das zum ökologischen Nutzen des Gebäudes beiträgt.“
Es gibt Möglichkeiten, die CO2-Bilanz durch innovative Technologien zu verbessern.
Steigende Nutzernachfrage beflügelt grüne Mietverträge
Ein weiterer treibender Faktor im Rennen um die erneuerbaren Energien ist die steigende Nachfrage der Nutzer nach umweltfreundlicheren Bürogebäuden. Dieser Trend findet heute in dem Abschluss grüner Mietverträge seinen formellen Niederschlag. So können Vermieter und Mieter beispielsweise vereinbaren, dass ausschließlich Energie aus erneuerbaren Quellen bezogen wird und dass CO2-Emissionen des Gebäudebetriebs sowie das Müllaufkommen und der Wasserverbrauch gesenkt werden.
Weltweit haben etwa 34 Prozent der Nutzer bereits einen grünen Mietvertrag abgeschlossen, während weitere 40 Prozent dies bis 2025 planen. Das ergibt sich aus dem Bericht „Decarbonizing the Built Environment“ von JLL. Auch die Investoren werden aktiv: 42 Prozent von ihnen haben grüne Mietverträge vereinbart, weitere 37 Prozent wollen solche Regelungen bis 2025 umsetzen. Kritiker halten sogenannte Green Leases allerdings für ein stumpfes Schwert, solange es dafür am Markt keinen einheitlichen Standard gibt.
Abschließend lässt sich feststellen, dass es eine Vielzahl guter Lösungen gibt, mit denen sich der Gebäudebestand nachhaltiger betreiben ließe. Dabei dürfen die in der Bauphase entstehenden Emissionen jedoch nicht übersehen werden, da sie nicht im Rahmen der Nutzung durch operative Maßnahmen neutralisiert werden können.
Das nachhaltigste Gebäude ist immer noch eines, das kein Neubau ist und im Betrieb eine hohe Energieeffizienz aufweist.
Von Isobell Lee