Turbo in der Krise

Die Covid-19-Pandemie hat der Digitalisierung der Prozesse in der Immobilienwirtschaft einen kräftigen Schub verliehen. Immer mehr etablierte Unternehmen der Branche erkennen,ad dass Daten das neue Gold sind, und suchen sich Partner unter den PropTechs. Wer den Anschluss nicht verlieren will, muss tradierte Gewohnheiten und Denkweisen hinterfragen. Von Judi Seebus

In der Finanzbranche haben aufstrebende innovative Tech-Start-ups für die Anleger schon immense Werte geschaffen. Sie haben etablierte Akteure herausgefordert und bestehende Finanzmarktmodelle revolutioniert. Die eher behäbige Immobilienbranche ist dagegen spät dran und braucht dringend die kreativen Impulse der PropTechs, wenn sie zum Beispiel im Hinblick auf die Zukunft von Büro- und Einzelhandelsimmobilien oder auf den Klimawandel die bevorstehenden existenziellen Herausforderungen meistern will. „Wir müssen unsere Immobilien zukunftssicher machen. Die Pandemie hat eine bestehende Entwicklung beschleunigt, die sich nicht mehr aufhalten lässt. Entlang der gesamten immobilienwirtschaftlichen Wertschöpfungskette lassen sich mithilfe von PropTechs die Prozesse beschleunigen und auch neue Geschäftsmodelle etablieren“, so Jens Wilhelm, Vorstand der Union Asset Management Holding AG, in einer virtuellen Ansprache anlässlich der Verleihung des PropTech Innovation Award, die von Union ­Investment und GERMANTECH in diesem Jahr als ganztägiger Summit gestaltet wurde. „Wenn Unternehmen wie Union ­Investment sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wollen, müssen sie enger mit der Start-up-Szene zusammenarbeiten“, betont er. Wilhelm weiter: „Wer hätte vor 15 Monaten gedacht, dass wir für einen Besuch im Restaurant oder Einkaufszentrum eine App benötigen? Daran zeigt sich, wie sehr die Digitalisierung im Rahmen der Pandemie unumkehrbar an Fahrt gewonnen hat. Die Digitalisierung wird entscheidend zur Zukunftssicherheit unserer Immobilien beitragen.“ Digitale Lösungen gibt es reichlich. Es stelle sich nur die Frage, welche jeweils die richtige ist, meint Andrew Phipps, Head of Business Development EMEA bei der Unternehmensberatung Cushman & Wakefield. 


Digitales Ökosystem von Wishibam gewinnt den ersten Preis

„Welches Problem kann ein PropTech lösen, und ist die Lösung auch wirtschaftlich sinnvoll? Erfolg haben werden diejenigen, die Antworten auf die zentralen Herausforderungen finden. Inzwischen wissen die Immobilienunternehmen, wo genau Bedarf besteht, und die enge Zusammenarbeit mit PropTechs bietet ihnen insbesondere in Fragen der Nachhaltigkeit klare Vorteile. Das wird sie voranbringen“, sagt Phipps. Bei der fünften Auflage des PropTech Innovation Award wurden die besten digitalen Lösungen und Geschäftsmodelle ausgezeichnet, die die drängendsten Probleme der Immobilienbranche in der Zeit nach der Pandemie adressieren. Der erste Preis ging in der diesjährigen Finalrunde an das französische Unternehmen Wishibam, das den stationären Einzelhandel mit dem Aufbau eines digitalen Marktplatzes im Kampf gegen den Onlinehandel unterstützt.


Wenn Straßen und Läden leer sind, ist das eine der größten Bedrohungen für die Immobilienmärkte und die Städte überhaupt. Die überzeugende Lösung von Wishibam soll das verhindern.
Christoph Holzmann, Geschäftsführer, Union Investment

Nach Meinung von Christoph Holzmann, Mitglied der siebenköpfigen Expertenjury und Geschäftsführer der Union ­Investment­ Real Estate GmbH, braucht der Einzelhandel Digitalpioniere wie Wishibam: „Wenn Straßen und Läden leer sind, der Kundenverkehr ausbleibt und das gesellschaftliche Leben brachliegt, ist das eine der größten Bedrohungen für die Immobilienmärkte und die Städte überhaupt. Die überzeugende Lösung von Wishibam soll das verhindern.“


Mit der Verleihung des Innovationspreises hat Union Investment einen deutlichen Vorsprung, wenn es darum geht, die Start-up-Szene zu sondieren, entwickelt aber auch eigene Lösungen und Anwendungen für den Immobilienbestand durch die neue Ausgründung Union Investment Real Estate Digital. So ging schon im Juni 2021 die App „Run this place“ an den Start. Damit beginnt die Entwicklung eines digitalen Ökosystems für Eigentümer, Betreiber und Mieter von Gewerbeimmobilien. Die App bildet einen elementaren Baustein mit zahlreichen Schnittstellen für digitale Zwillinge der Gebäude, die im Verlauf mit entsprechenden Daten angereichert werden.


Digitale Applikationen wie Run this place sollen Synergien freisetzen

Run this place und die Preisträger des PropTech Innovation Award 2021 veranschaulichen den Entwicklungssprung der letzten fünf Jahre: Aus Einzeltools sind Lösungen für den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie geworden, die Synergien freisetzen und die Kommunikation und Interaktion zwischen Mietern, Nutzern und dem Umfeld eines Gebäudes unterstützen. Integrierte Systeme sind zwar von entscheidender Bedeutung, aber Kirsten Falke, Gruppenleiterin Digitalisierung, Busi­ness Development & Prozesse bei Union­ Investment Real Estate, sieht Hindernisse bei der Umsetzung. Zu den größten gehören fragmentierte, veraltete oder unvollständige Daten.


Neue Systeme müssen so ausgerichtet sein, dass ihre Nutzer den größtmöglichen Vorteil davon haben.
Kirsten Falke, Gruppenleiterin Digitalisierung, Business Development & Prozesse, Union Investment

Bei Bestandsgebäuden mangelt es ­oftmals an den erforderlichen Daten

Außerdem stehen bei älteren Objekten zum Beispiel kaum Informationen über verwendete Baustoffe und ESG-Kriterien zur Verfügung. Bei Neubauprojekten mag sich der Technologieeinsatz zwar rasant entwickeln, aber sie machen nur einen kleinen Anteil am Gesamtbestand aus, wie Kirsten Falke betont.


Sie fordert einen ganzheitlichen Ansatz: „Wir dürfen keine Silos schaffen. Neue Systeme müssen so ausgerichtet sein, dass ihre Nutzer den größtmöglichen Vorteil davon haben. Dabei sind die Hindernisse nicht nur technologischer Art. Es geht auch darum, dass wir unsere Denkweisen ändern und die Scheu vor neuen Technologien überwinden. Nehmen wir uns ein Beispiel an den jüngeren Generationen, die neuen Technologien weniger befangen gegenüberstehen. Dabei sollten wir den Blick auf die gesamte Wertschöpfungskette richten“, so Kirsten Falke abschließend.


Von Judi Seebus


Mehr zu diesen Themen: