Zwei Seiten einer Medaille

Der Corona-bedingte Boom im Onlinehandel treibt die Renditen von Logistikimmobilien in Europa erstmals unter das Niveau des schwächelnden Einzelhandels. Von Judi Seebus

Im Zeichen der Pandemie kaufen Millionen Haushalte europaweit verstärkt im Internet ein. Gleichzeitig nähern sich auf dem europäischen Festland die Renditen von Logistikimmobilien zum ersten Mal überhaupt dem Renditeniveau im Einzelhandel an. Die verschlossenen Ladenfronten in vielen europäischen Einkaufsstraßen und die zunehmende Umnutzung von Einzelhandelsimmobilien stehen einer stetig steigenden Nachfrage nach Logistikflächen gegenüber.


Einer Studie der internationalen Immobilienberatung Savills zufolge hat die durchschnittliche Spanne zwischen den Renditen für erstklassige Industrieimmobilien (vor allem Logistikimmobilien) und für erstklassige Einkaufszentren auf dem europäischen Kontinent im ersten Quartal 2020 den Rubikon überschritten: Die durchschnittlichen Renditen für erstklassige Logistikimmobilien sanken auf  4,95 Prozent, der entsprechende Wert für erstklassige Einkaufszentren lag bei 5,04 Prozent.


Die Krise schwächt den stationären Handel und stärkt das Onlinegeschäft

Einen so angespannten Logistikimmobilienmarkt wie in den ersten Monaten von 2020 habe er noch nie erlebt, meint Hamid Moghadam, President der weltweit führenden Logistikimmobiliengesellschaft Prologis. Die Covid-19-Krise habe die anhaltende Expansion des Onlinehandels auf Kosten des stationären Einzelhandels insbesondere in den Unter- und Mittelzentren nochmals beschleunigt. Amazon ist ein Musterbeispiel für diese Entwicklung: Ende Juli gab der Online-Riese für das zweite Quartal eine Umsatzsteigerung von 40 Prozent im Jahresvergleich bekannt. Der Online-Umsatz mit Lebensmitteln hat sich im selben Zeitraum sogar verdreifacht. Das Unternehmen teilte gleichzeitig mit, dass es seine Immobilieninvestitionen im zweiten Quartal verdoppelt und schon jetzt Kapazitäten in Anspruch genommen habe, deren Nutzung eigentlich erst 2021 vorgesehen war. Nachdem das Unternehmen seine Gesamtnutzfläche 2019 bereits um circa 15 Prozent erhöht hatte, rechnet Finanzvorstand Brian Olsavsky für das Jahr 2020 mit einer weiteren Steigerung von etwa 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr.


65%

der Teilnehmer an der jüngsten Investitionsklima- Studie von Union Investment erwarten, dass verstärkt Kapital in die Nutzungsart Logistik gelenkt wird.

Die Logistikbranche entpuppt sich als Krisenprofiteur

Die Stabilität des Logistikmarkts zieht in einer krisengeschüttelten Welt das Interesse der Anleger auf sich, wobei börsennotierte Unternehmen wie Prologis, Segro, Tritax Big Box, Tritax Eurobox und London Metric Properties dank der überwiegend regelmäßig fließenden Mieteinnahmen ihre Dividendenzahlungen haben aufrechterhalten können.


Die Performance der Logistikimmobiliengesellschaften steht im starken Gegensatz zur Misere der meisten Eigentümer von Einzelhandelsimmobilien, vor allem in Großbritannien. So stand der hoch verschuldete Londoner Shoppingcenter-Betreiber Intu schon vor der Pandemie kurz vor dem Kollaps. Durch Covid-19 spitzte sich die Lage endgültig zu. Der Handel mit Aktien des Unternehmens wurde Ende Juni ausgesetzt. Damals betrug der Börsenwert nur noch einen Bruchteil des Nettovermögenswerts. Der Analyst Michael Prew der Investmentbank Jefferies meinte dazu, dass die Bewertungen von Einkaufszentren anderer britischer Betreiber um bis zu 50 Prozent einbrechen könnten. Auch der britische Konkurrent Hammerson ist ins Straucheln geraten. Er veräußerte Anfang August seine 50-prozentige Beteiligung an Via Outlets an den niederländischen Pensionsfonds APG und kündigte eine Bezugsrechtsemission an, um seine angeschlagenen Finanzen zu sanieren.


40 %

Umsatzsteigerung meldete der Online-Riese Amazon für das zweite Quartal 2020.

Einige Einzelhändler bieten eine Kombination aus Einkaufen, Liefern und/oder Abholen an. Die letzte Meile entwickelt sich eindeutig weiter.
Nick Preston Fondsmanager bei Tritax Eurobox

Drastische Umsatzeinbrüche und Schließungen setzen dem Einzelhandel zu

Die europäischen Pendants leiden ebenfalls, stehen aber noch etwas besser da. So gab Ende Juli die größte europäische Einzelhandelsimmobiliengesellschaft Unibail-Rodamco-Westfield einen Ergebniseinbruch im ersten Halbjahr von 27 Prozent bekannt und nahm eine Abwertung des Portfolios um 5 Prozent vor. Anfang des Jahres kündigte der deutsche Warenhausriese Galeria Karstadt Kaufhof nach drastischen Umsatzeinbrüchen die Schließung von 62 seiner insgesamt 172 Warenhäuser an. Auch in den anderen europäischen Ländern kriseln die Warenhäuser und Modeketten im mittleren Marktsegment.


Nach dem Shutdown zeichnet sich jetzt ein Bild der neuen Normalität ab. So entfielen nach Angaben der Marktforschungsgesellschaft Forrester 33 Prozent des gesamten britischen Einzelhandelsumsatzes im ersten Halbjahr 2020 auf den Onlinehandel gegenüber lediglich 21 Prozent am Jahresanfang. Mit einer Fortsetzung dieses Wachstumstempos ist aber nicht unbedingt zu rechnen.


„Es stellt sich die Frage, wie lange sich das im Lockdown erreichte Rekordniveau halten kann. Nach unserer Ansicht ist der Wert in Großbritannien von 20 Prozent vor Corona eine gute Messlatte für das übrige Europa, das mit einer durchschnittlichen Marktdurchdringung von 11 Prozent deutlich hinterherhinkt. Im Norden Europas, wie etwa in Deutschland und in den Niederlanden, gibt es auch Ausnahmen, aber in den Ländern Süd- und Osteuropas liegt der Anteil des Onlinehandels immer noch bei weit unter 20 Prozent“, erklärt Eri Mitsostergiou, Commercial Research Director bei Savills.


„Die einzelnen Länder Europas bewegen sich unterschiedlich schnell auf das für 2025 prognostizierte Niveau von 18 bis 20 Prozent zu. Dabei könnte der Anteil sogar etwas höher ausfallen, wenn die Pandemie noch mal an Fahrt aufnimmt, aber 50 Prozent erreicht er definitiv nicht“, so die Marktforscherin. 


Die einzelnen Länder Europas bewegen sich unterschiedlich schnell auf die für 2025 prognostizierte Marktdurchdringung des Onlinehandels von 18 bis 20 Prozent zu.
Eri Mitsostergiou Commercial Research Director bei Savills

Steigender Onlinehandel liefert den Rückenwind für die Logistikbranche

Logistikunternehmen profitieren von dieser Entwicklung, da der Onlinehandel auf sie angewiesen ist. Dazu Dirk Sosef, Vice President Research & Strategy bei Prologis Europe: „Onlinehändler nutzen eine dreimal größere Fläche als ein klassischer Einzelhändler. Unseren Berechnungen zufolge entsprechen beim Wachstum des Onlinehandels in Europa 100 Basispunkte einem Bedarf an zwei Millionen Quadratmetern Logistikfläche.“ Die guten Langfristaussichten der Logistikbranche werden in Europa und den USA dadurch untermauert, dass internationale Lieferketten im Zuge des „Nearshoring“-Trends neu aufgestellt und höhere Lagerbestände vorgehalten werden. Die Disruption von Lieferketten durch die Pandemie dürfte diese Trends verstärken. Investoren müssen umdenken und Impulse des Marktes neu bewerten.


Investoren müssen umdenken und Impulse des Marktes neu bewerten

Im Gegensatz dazu gerät das Investment in Einzelhandelsimmobilien angesichts überholter Standardmietverträge, sinkender Mieten und Immobilienpreise sowie steigender Mieterinsolvenzen zusehends unter Druck. Es kommt schon vereinzelt zur Umnutzung nicht mehr benötigter Einzelhandelsflächen. Dieser Prozess könnte weitere Impulse bekommen, wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass E-Commerce-Mieter für umgenutzte Flächen höhere Mieten zahlen. In Großbritannien etwa ist davon auszugehen, dass ein Online-Lebensmittelhändler für eine ehemalige Einzelhandelsfläche im Süd-Londoner Stadtteil Merton mehr zahlt als die Baumarktfiliale, die das Objekt zuvor genutzt hat.


Die positive Mietpreisentwicklung bei der Umnutzung in Lagerflächen wird voraussichtlich die Entstehung von Logistikzentren der „letzten Meile“ in Großstadtrandlagen fördern. Dazu Nick Preston, Fondsmanager bei Tritax Eurobox: „Amazon hat kürzlich einen ehemaligen Toys-R-Us-Markt im Londoner Stadtteil Croydon angemietet. Wir beobachten auch weitere Beispiele für die Umnutzung von Einzelhandelsimmobilien in Tertiärlagen. Einige Einzelhändler bieten eine Kombination aus Einkaufen, Liefern und/oder Abholen an. Die letzte Meile entwickelt sich eindeutig weiter."


Andrew Vaughan, CEO von Redevco.
Jon Paul Ladd / Savills, Redevco

„Covid-19 als echter Stresstest“


Der Shutdown in der Covid-19-Krise hatte drastische Folgen für den Einzelhandel. Im Lebensmitteleinzelhandel stiegen die Umsätze, bei Modeeinzelhändlern und Warenhäusern hingegen kam es vielfach zu Insolvenzen. Wie wird der Markt nach der Krise aussehen?
Covid-19 ist für unser Geschäft ein echter Stresstest. Durch die Krise gewinnen bereits erkennbare Makrotrends weiter an Dynamik. Die Verschiebung vom stationären zum Online- beziehungsweise Omnichannel-Handel wird deutlich schneller voranschreiten. Viele Unternehmen, darunter auch Redevco, hatten bereits den Schwerpunkt von der Einzelhandelsspezialisierung hin zu städtischen Immobilienprojekten mit hohem Einzelhandelsanteil verlagert. Covid-19 hat diesen Prozess beschleunigt.


Wie wirkt sich der Boom im Onlinehandel auf die Einzelhandelsbranche und speziell auf die europäischen Einkaufsstraßen aus?
Ich bin noch nicht davon überzeugt, dass diese ganzen Entwicklungen von Dauer sein werden. Klar, für viele Menschen gehört das Onlineshopping inzwischen zur Normalität. Der Lebensmitteleinkauf bleibt aber beliebt. In der ersten Shutdown-Phase haben 40 bis 60 Prozent der Verbraucher weiterhin Lebensmittel im örtlichen Einzelhandel gekauft. Gefragt sind dabei vor allem regionale und handwerklich hergestellte Produkte. Von der Verschiebung zum Onlinehandel ist der Lebensmitteleinzelhandel weniger stark betroffen als zum Beispiel der Elektronikhandel oder der Sportartikelhandel. Unternehmen, die kapitalarm sind, sowie unbekanntere oder schwächere Marken werden zu den möglichen Verlierern zählen. Besonders gut läuft es bei Einzelhändlern wie etwa Patagonia, die sich hohen ethischen Grundsätzen verschrieben haben, aber auch bei unabhängigen Händlern und starken lokalen Marken.


Die Marktbereinigung könnte den Weg ebnen für neue oder bestehende Anbieter, die bereit sind, die frei werdenden Flächen zu kaufen, wiederzubeleben oder auf andere Weise zu nutzen, meint das „Urban Land Institute in einer im Juni veröffentlichen Studie. Wird ein Rückgang der Bewertungen dazu beitragen, dass die Branche zu einer „neuen Normalität“ übergeht?
Bislang hat es nur wenige Transaktionen bei Einzelhandelsimmobilien gegeben. Daher lässt sich schlecht vorhersagen, auf welchem Niveau sich die Werte einpendeln werden. Mit einer Steigerung rechnet aber niemand. Wir sehen dadurch Chancen und setzen auf die Umnutzung sowie die weitere Diversifizierung unseres Portfolios.


Wo erkennen Sie konkret Chancen?
Angesichts der starken Marktdynamik in vielen europäischen Großstädten, in denen bezahlbarer Wohnraum extrem knapp ist, bietet sich eine Umnutzung von Einzelhandelsimmobilien in Wohnraum an. Auch eine Büronutzung wäre denkbar. Doch hier sind die Marktaussichten noch unklar. Die Logistik befindet sich dank des boomenden Onlinehandels im Aufwind, und wir richten jetzt den Fokus auf städtische Logistikprojekte sowie auf Möglichkeiten zur Umnutzung leer stehender Einzelhandelsimmobilien. Investitionen in diese vielversprechenden Bereiche sind für uns finanziell sinnvoll.


Von Judi Seebus


Titelbild: intertopics, Tritax

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