
Je weniger Fluktuation, desto geringer die Ausfälle: Mikro-Apartment-Angebote mit längerfristigen Konzepten kommen besser durch die Krise. Der Nischenmarkt bleibt begehrt. Von Christine Mattauch
Eine Nachricht wie ein Mutmacher: Mitten im Corona-Lockdown verkündet Stayery den Abschluss eines Mietvertrags in Mönchengladbach. 53 Mikro-Apartments für Geschäftsreisende will die Kölner Firma dort künftig anbieten, mitten in der Stadt, am Kapuzinerplatz. „Gute Standorte fallen nicht vom Himmel“, sagt Stayery-Geschäftsführer Hannibal DuMont Schütte. Er sei „überzeugt, dass das Produkt auf mittlere Sicht wieder dem Bedarf entspricht“. Business as usual – mitten in der Krise?
Erste Bewährungsprobe lässt Betreiber und Investoren vorsichtiger werden
Micro-Living gilt als Antwort der Immobilienbranche auf eine immer flexiblere Arbeits- und Lebenswelt. Zunächst misstrauisch beäugt, entwickelte sich das Segment innerhalb weniger Jahre zum Investorenliebling. Jetzt, in der Corona-Krise, kommt die erste Bewährungsprobe. Dabei zeigt sich eine beachtliche Resilienz: Der Nachfrageeinbruch ist teilweise geringer als befürchtet, viele Betreiber halten an ihren Expansionsplänen fest, auch Interesse von Investoren ist nach wie vor vorhanden. Vereinzelt gibt es neue Konzepte. Klar ist aber auch: Betreiber und Investoren werden vorsichtiger. Die Pandemie hat gezeigt, wie verwundbar manche Angebote sind. Vom temporären Wohnen für Young Professionals über Studentenzimmer bis zu Serviced Apartments für Geschäftsreisende – das Segment ist vielfältig. Daher sind auch die Folgen von Covid-19 recht unterschiedlich: Je weniger Fluktuation, desto geringer die Ausfälle, so die Faustregel. Möblierte Kleinwohnungen für Pendler etwa, die als Nebenwohnsitz dienen, wurden selten gekündigt. „Wer längerfristige Konzepte anbietet, kommt besser durch die Krise“, bestätigt Andreas Polter, Head of Residential Advisory bei Cushman & Wakefield in Berlin. Hart traf der Lockdown besonders Angebote, die auch kürzere Aufenthalte zulassen. Im Berliner Pilotobjekt des 2016 gegründeten Unternehmens Stayery sank die Auslastung zunächst auf 50, dann auf unter 40 Prozent; am Anfang des Jahres eröffneten Standort in Bielefeld war zeitweise nicht einmal jedes vierte Bett belegt. „Immerhin sind wir besser durch die Krise gesegelt als die Hotellerie“, tröstet sich DuMont Schütte. Er versuchte gegenzusteuern: listete die Apartments bei Immoscout, bot sie als Homeoffice- Alternative an. Aber: „Es hat am Ende wenig gebracht.“ Besser klappte der Versuch, stärker das Longstay-Segment zu bedienen, mit einem Drei-Monats-Angebot zum Discountpreis von 1.000 Euro. Im Bemühen um Flexibilität schossen manche über das Ziel hinaus.
Henrik von Bothmer, Senior Investment Manager Micro-Living von Union Invest- ment, beobachtet, wie im Terrain des Nachbarn geräubert wird: „Hotels verkaufen ihre leeren Zimmer an Studenten und Serviced Apartments verkaufen ihre Zimmer kurzfristig an klassische Hotelgäste.“ So legte die Hotelkette 25hours ein Discount-Angebot für Studenten auf, ein „Zuhause auf Zeit“ für 999 Euro. Von Bothmer: „Diese Entwicklungen sind eher notgetrieben und hoffentlich nicht von nachhaltiger Dauer.“
Einbrüche gab es auch beim studentischen Wohnen – wenngleich teilweise weniger drastisch als befürchtet. „Die Mietverträge unserer Studenten liefen in der Regel weiter“, sagt Reiner Nittka, Vorstandssprecher der GBI Unternehmensgruppe, die mit der Marke Smartments im Mikrosegment antritt. Die Auslastung seiner „Smartments Student“ im Sommersemester beziffert Nittka auf 90 bis 95 Prozent. Auch Amos Engelhardt, geschäftsführender Gesellschafter der Aalener i Live Group, spricht von einer guten Auslastung. Zwar habe man weniger Buchungen von Studenten aus dem Ausland verzeichnet. „Dafür erhöhte sich die Nachfrage deutscher Studenten, die ihre Auslandssemester ebenfalls nicht antreten.“
Doch wie geht es weiter? „Es ist eine große Herausforderung für diese junge Industrie, sich mit der veränderten Nachfrage auseinanderzusetzen“, findet Berater Polter. In Deutschland ist der Vorlesungsbeginn auf November verschoben worden; ein Teil der Seminare wird online stattfinden. Werden Rezession und digitale Lehre dazu führen, dass Studenten länger bei den Eltern wohnen? Wie viele Auslandsstudenten werden noch kommen? Ihr Anteil an deutschen Hochschulen liegt bei 13 Prozent. Eine Normalisierung erwartet die Berliner Ratingagentur Scope erst zum Wintersemester 2021/22.
Nach Wirtschaftskrisen stieg bisher die Zahl der Studenten beträchtlich
Die längerfristige Perspektive allerdings beurteilt Scope positiv: „In der historischen Betrachtung stieg die Zahl der Studenten im Anschluss an Wirtschaftskrisen beträchtlich, wenn sich Arbeitnehmer fortbilden und Familien mehr in die Zukunft ihrer Kinder investieren.“ In einer vergleichsweise guten Position sieht sich die i Live Group, deren Häuser sowohl auf Studenten wie auch auf junge Berufstätige und Pendler ausgerichtet sind, mit Zimmertypen von Komfort bis Penthouse. Amos Engelhardt sagt: „Wenn weniger Studenten kommen, nehmen wir mehr Berufstätige rein.“ In einer Stadt wie Köln könne er „jedes Apartment dreimal vermieten“. Allerdings will i Live zu Beginn des Wintersemesters erstmals auf eine Mieterhöhung verzichten. Mit einem Transaktionsvolumen von rund 1 Milliarde Euro 2019 in Deutschland ist Micro-Living für Investoren zwar ein Nischenmarkt – jedoch ein sehr begehrter. Daran wird sich grundsätzlich so schnell nichts ändern. „Die Welt mag durch Corona eine andere geworden sein, der Mangel an Ein- und Zweizimmerwohnungen in Großstädten jedoch ist geblieben“, sagt von Bothmer.
Auch Ulrich Haeselbarth, Investment-Leiter von Hansemerkur Grundvermögen (HMG), ist sicher: „Bei der Wohnflächennachfrage wird Flexibilität ein Dauerbrenner sein.“ HMG, das für verschiedene von ihm gemanagte Immobilienspezialfonds rund 1.300 Micro-Living-Einheiten erworben hat, sieht den Sektor nach wie vor als zukunftsträchtig an, auch wenn Haeselbarth „eine gewisse Konsolidierung“ für wahrscheinlich hält. Union Investment hat sich zuletzt zwei Micro-Living-Objekte in Hamburg und Düsseldorf gesichert und ist laut von Bothmer weiterhin bereit, Chancen wahrzunehmen: „Wir sind jederzeit handlungsfähig für Ankäufe mit adäquatem Preisniveau.“
Ich bin überzeugt, dass das Produkt auf mittlere Sicht wieder dem Bedarf entspricht.
Das Investoreninteresse bleibt groß, einige setzen ihren Expansionskurs fort
In der Vergangenheit habe der Expansionswille allerdings dazu geführt, dass – vor allem im Serviced-Apartment-Segment – nicht jedes Investment und jeder Pachtvertrag ausreichend kostendeckend kalkuliert worden seien: „Das werden nicht alle Marken und Betreiber durchstehen.“ Wohl auch deshalb haben sich in den vergangenen Monaten viele Investoren aufs Abwarten verlegt. Felix Embacher, Bereichsleiter für Masterplanungen und Sonderwohnformen bei der Münchner Researchfirma Bulwiengesa, beobachtet, dass vergleichsweise wenig Deals stattgefunden haben. „Und die waren meist zu einer Zeit ausgehandelt, als die Welt noch eine normale war.“
Genauer hingucken – das wollen auch Betreiber wie Stayery. „Man wird sich künftig doppelt vergewissern, ob Lage und Nachfrage stimmen“, sagt DuMont Schütte. Insgesamt jedoch bleibt er zuversichtlich. Seit dem Ende des Lockdowns steigt die Auslastung wieder. 2021 sollen Häuser in Frankfurt am Main und Köln öffnen, im Jahr darauf weitere in Mönchengladbach und Dresden, 2023 dann die mit 153 Apartments bislang größte Anlage im Großraum Stuttgart. Bei ihm wie bei vielen anderen steht zudem das Thema Digitalisierung auf der Agenda – kontaktloses Ein- und Auschecken könnte zur Selbstverständlichkeit werden. „Wer auf Expansionskurs war, bleibt dabei“, weiß Experte Polter. Auch die i Live Group. Engelhardt will die Zahl der bislang rund 4.000 Mikrowohnungen verdoppeln und auch die mit über 1.100 Einheiten bislang größte Mikro-Wohnanlage Deutschlands in Frankfurt am Main wie geplant realisieren, zusammen mit Commerz Real.

Balance zwischen Gemeinschaftserlebnis und Pandemietauglichkeit
Nicht aufgegeben hat der Architekt zudem den Traum von einem Kosmos, in dem Wohn-, Arbeits- und Lebenswelten verschmelzen. „Der Wunsch nach Gemeinschaft ist durch Corona ja nicht geringer geworden“, glaubt er. Nur schwerer umzusetzen. Derzeit sind Community-Apps en vogue, um in Zeiten von Social Distancing zumindest virtuell ein Gemeinschaftserlebnis zu bieten. Eine ganz andere Richtung schlägt GBI ein: Der Projektentwickler launcht eine neue Longstay-Budget-Marke, flächenoptimiert, im Service voll digitalisiert und außerhalb der teuren Zentren gelegen, jedoch mit guter Anbindung an den Nahverkehr. Der Name: Smartments Eco. „An dem Konzept arbeiteten wir schon länger. Corona war der Pusher“, sagt Nittka. Keine Rezeption, kaum Gemeinschaftsflächen: Damit ist die Eco-Reihe nicht nur pandemietauglich, sondern liegt mit einer Monatsmiete von rund 650 Euro deutlich unterhalb der Marke „Smartments Business“. Die weitere Expansion in den Budget-Bereich ist ein geschickter Schachzug, denn das höherpreisige Segment gilt bereits als überbesetzt, und in einer Rezession streichen erfahrungsgemäß viele Unternehmen ihre Reisebudgets zusammen. Pilotprojekt wird ein Haus in Frankfurt am Main, Baubeginn noch dieses Jahr.
Das Kölner Unternehmen Pantera wiederum, in das kürzlich der französische Immobilienentwickler Nexity eingestiegen ist, legt ein Angebot für Senioren auf, die ihre Wohnung zu groß finden, aber noch keine Lust haben aufs Altersheim. Für sie entwickelt Pantera kleine, zentral gelegene Apartments, barrierefrei und mit zuschaltbaren Serviceleistungen wie Einkauf oder Reinigung. Die erste Anlage in Ratingen wird derzeit projektiert, mit 90 Wohnungen. „Beim neuen Angebot hilft uns die bautechnische Erfahrung mit solchen Mikro-Apartments“, sagt Pantera-Vorstand Michael Ries. Rund 2.500 Einheiten hat das Unternehmen in den vergangenen Jahren entwickelt, für Geschäftsreisende und Studenten. Freilich, auch Newcomer mit Me-too-Konzepten gibt es immer noch, wie aus Beraterkreisen zu hören ist, mit teils gewagten Kalkulationen – etwa viel zu hohen Mieten. „Wir sind da eher dämpfend unterwegs und suchen nach Alternativen“, sagt Bulwiengesa-Experte Felix Embacher. Der Markt bietet schließlich auch künftig Chancen – wenn man sie richtig nutzt.
Von Christine Mattauch