
Die weltweite Corona-Pandemie birgt auch Chancen. Dazu gehört die Beschleunigung von Megatrends. Die Digitalisierung der Immobilienbranche profitiert von der Schubkraft durch die Krise. Von Isobel Lee
Die Covid-19-Pandemie hat Wirtschaft und Gesellschaft ins Wanken gebracht, Regierungen weltweit stehen unter Druck. Auch der Immobiliensektor ist betroffen. Die klügsten Köpfe der Branche suchen jedoch schon nach positiven Aspekten der Krise.
Es gilt, die Auswirkung auf die branchenrelevanten Megatrends zu verstehen: Werden diese verstärkt oder eher ins Gegenteil verkehrt? Gleichzeitig wittern innovative PropTech-Unternehmen ihre Chance. „Aufgrund der Pandemie ist das Thema Gesundheitsschutz bei Gewerbe- und Wohnimmobilien zur höchsten Priorität geworden. Bei der Anpassung an die neue Wirklichkeit wird Technologie einen entscheidenden Beitrag zum Aufbau der entsprechenden Infrastruktur leisten“, erklärt Kitty Sullivan, Director of Investment bei der Venture-Capital-Gesellschaft JLL Spark, die sich auf PropTech-Investitionen spezialisiert hat. Vor Ausbruch der Pandemie war die Entwicklung der Immobilienbranche durch mehrere Megatrends geprägt. So waren unter anderem durch die Urbanisierung Assets wie flexible Büroflächen, Logistikobjekte der letzten Meile, Wohnimmobilien und Studentenwohnheime in den Fokus der Anleger gerückt. Gleichzeitig hatten der Erlebnisimperativ und der technologische Wandel zu einem veränderten Einkaufs- und Freizeitverhalten geführt. Im Shutdown mussten die Menschen zu Hause bleiben, ihre Bewegungsmöglichkeiten waren stark eingeschränkt. Dadurch wurden langfristige Trends teils verstärkt, teils aufgehoben. Experten stellen nun die Frage, ob etwa der Urbanisierungstrend dadurch gebremst oder gar gestoppt wird.
Studien von JLL kommen allerdings zu dem Ergebnis, dass die Krise wahrscheinlich eher die Stadtplaner zu einem Umdenken bewegen und die Entwicklung skalierbarer Smart-City-Lösungen vorantreiben wird. Die Quarantänemaßnahmen haben gezeigt, wie unverzichtbar Wohn- und Logistikimmobilien sind. Gleichzeitig haben sich die Einstellungen zum Arbeitsplatz geändert und die Aussichten des stationären Einzelhandels dramatisch verschlechtert. Auch wenn es im Handel durchaus Gewinner gibt, wie etwa Lebensmittel- beziehungsweise Grundbedarfsanbieter, ist das Gesamtbild ziemlich düster.
Die unterschiedlichen Auswirkungen auf die Assetklassen analysieren
Der Einzelhandel wollte im Kampf gegen den Onlinehandel mit sozialer Interaktion und persönlichen Erlebnissen wie zum Beispiel mehr Gastronomie- und Freizeitangeboten punkten. Dieser Ansatz wird jetzt durch die Abstands- und Hygieneregeln untergraben. Dabei sind die Aussichten am Gewerbeimmobilien- markt nicht grundsätzlich schlecht. „Behauptungen, dass Covid-19 der Anfang vom Ende des klassischen Büros sein wird, sind weit überzogen“, meint Zachary Gauge, European Real Estate Analyst bei UBS Asset Management. „Wir rechnen damit, dass Mieter zunehmend bereit sein werden, einen Aufschlag für flexible, hochwertige Büroflächen und zentrale Toplagen zu zahlen. Aufgrund der höheren Anpassungsfähigkeit und Drittverwendungsmöglichkeiten dürfte der Büroimmobilienmarkt im Rahmen des Strukturwandels weniger unter einer negativen Wertentwicklung leiden als Einzelhandelsimmobilien.“
Gleichzeitig spricht der menschliche Wunsch nach sozialen Kontakten und Erlebnissen für eine Wiederbelebung des Einzelhandels. So ist das Marktforschungsunternehmen Kantar in einer Verbraucherstudie in China während des Shutdowns unter anderem der Frage nachgegangen, worauf sich die Menschen nach Aufhebung der Einschränkungen am meisten freuten. Die populärste Antwort, mit 65 Prozent der Befragten, lautete „Restaurantbesuche“. Auch „Shopping“ (58 Prozent) und „Unterhaltung“ (55 Prozent) standen weit oben auf der Wunschliste. Nach Ansicht von Jonathan Doughty, Leiter des Foodservice-Bereichs bei ECE, wird der Erlebnisfaktor für den Einzelhandel erfolgskritisch bleiben. „Wir mussten alle auf die Gesellschaft unserer Freunde und Angehörigen verzichten. Die Gastronomie ist nun mal der Ort, an dem man sich trifft“, meint er. „Die regionale und gesunde Küche, klassische Restaurants, Casual Dining und Unterhaltungskonzepte werden voraussichtlich weiter an Bedeutung gewinnen.“
Eigentümer von Einkaufszentren, die ihre Mieter bei der Digitalisierung unterstützt haben, leisten einen Beitrag dazu, dass die Branche die Krise übersteht. So hat die Immobiliengesellschaft Sonae Sierra in Portugal Onlineshops für ihre Mieter eingerichtet. Auf der positiven Seite haben zudem Fonds, die seit einiger Zeit verstärkt auf Wohn- und Industrieobjekte setzen, im aktuellen Umfeld überwiegend davon profitiert. Nach den europäischen Transaktionsdaten von CBRE haben Logistik- und Mehrfamilienimmobilien im ersten Halbjahr 2020 überdurchschnittlich abgeschnitten, wobei Letztere sich den Büroimmobilien annähern konnten, die traditionell die größte Assetklasse darstellen.
So wurden im ersten Halbjahr 33 Milliarden Euro in Mehrfamilienimmobilien investiert, 37 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Zum Vergleich: Das Transaktionsvolumen bei Büroimmobilien lag im ersten Halbjahr bei 41 Milliarden Euro. Die Investitionen in Logistikimmobilien beliefen sich auf 15 Milliarden Euro und lagen somit um 5 Prozent über dem Vorjahreswert. Nach den positiven Erfahrungen mit dem Technologieeinsatz im Shutdown-Alltag gibt es jetzt eine einmalige Chance für den Durchbruch in der Immobilienwelt.
Die neue Herausforderung besteht darin, die Informationen und Daten einer von Disruption geprägten und verteilten Immobilienbranche zusammenzuführen.
PropTech-Unternehmen bieten sich jetzt vielfältige Möglichkeiten
„Vor der Pandemie gab es viel Hype um PropTech“, so Chakra Banerjee, Mitgründer der Datenplattform Tower360. „Digitale Lösungen galten dabei oft als Nice-to-have, nicht als Must-have. Inzwischen dürfte gezielt nach Lösungen gesucht werden, die Kostensenkungen oder höhere Mieteinnahmen ermöglichen. So haben wir bereits Lösungen für Mietstundungsanfragen oder das Management von Mietverhältnissen entwickelt, da gerade in einem stagnierenden Markt die durch Mieterverlust und längere Leerstandszeiten verursachten Kosten sehr hoch sind.“
„Corona wird sich nachhaltig auf die Bereiche Wohnen, Arbeiten und Freizeit auswirken“, erklärt Erik Guertler, Gründer und CEO des auf künstliche Intelligenz spezialisierten Unternehmens Edge AI. „Aus Investmentmanager-Sicht bietet sich der Einsatz von KI-Technologie dazu an, die Rückkehr zur Normalität zu erleichtern und Marktentwicklungen frühzeitig zu erkennen.“ Dazu Kitty Sullivan: „Digitale Lösungen, die in Gewerbeimmobilien die Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln gewährleisten, werden für die wirtschaftliche Erholung mitentscheidend sein. Digitale Technologien ermöglichen datengestützte Entscheidungen, vereinfachen die Zusammenarbeit, unterstützen die Automatisierung und schaffen nahtlose Nutzererlebnisse.“
„Die Welt hat sich in den letzten sechs Monaten stark verändert“, so Sullivan weiter. „Dabei hat sich aber auch gezeigt, dass das Betätigungsfeld der PropTech-Anbieter weit über Büros und Gebäude hinausreichen kann. Die neue Herausforderung besteht darin, die Informationen und Daten einer von Disruption geprägten und verteilten Immobilienbranche zusammenzuführen."

Großer Sprung nach vorn
Pi Labs ist eine 2014 gegründete internationale Venture-Capital-Gesellschaft, die in die Zukunft der Immobilienwelt investiert. CEO Faisal Butt sprach mit raum und mehr über seine Mission, einen globalen PropTech-Giganten „made in Europe“ aufzubauen, und erklärt, wie sich die Technologiebranche den Herausforderungen der Immobilienwirtschaft stellt und Lösungen zur Bewältigung der Krise entwickelt.
Durch die Pandemie müssen Immobiliengesellschaften ihr Verhältnis zur Technologie überdenken. Gewinnt die Digitalisierung der Branche an Dynamik?
Schon vor der Pandemie haben sich die Unternehmen verstärkt mit neuen Technologien auseinandergesetzt. Selbst traditionelle Anbieter haben Digitalisierungsteams gebildet, die sich um das Thema kümmern sollen. Corona hat dieser Entwicklung wohl neuen Schub gegeben. Wir waren bislang davon ausgegangen, dass sich in den kommenden zehn Jahren ein grundlegender Wandel vollziehen würde. Inzwischen gehen wir von drei bis fünf Jahren aus. Unser neuer Fund 3 will in den kommenden fünf Jahren in 50 PropTech-Unternehmen investieren, wodurch sich das Portfolio von Pi Labs auf 100 Start-ups verdoppeln wird.
Wir sondieren jedes Jahr Tausende Unternehmen und möchten weiter in die vielversprechendsten Akteure der Branche investieren sowie unsere bestehenden Portfolio-Unternehmen ausbauen. Ich fände es extrem reizvoll, einen europäischen Champion zu schaffen.
Ist das Immobiliengeschäft nicht zu sehr ortsgebunden, als dass im PropTech-Sektor internationale Marktführer entstehen können?
Das war früher durchaus der Fall, aber durch die Entstehung weltweiter Champions wie etwa Blackstone gilt diese Einschränkung nicht mehr. PropTech-Anbieter, die für diese Giganten tätig sind, profitieren von deren globaler Präsenz. Mit dem Wachstum der internationalen PropTech-Branche ist auch mit zunehmenden M&A-Aktivitäten zu rechnen, wie bereits im FinTech-Bereich geschehen.
Welche Art von PropTech-Unternehmen arbeitet heute an Lösungen zur Bewältigung der Pandemiefolgen?
Unser Portfolio-Unternehmen Built ID hat eine Plattform entwickelt, die die Bürgerbeteiligung bei Projektentwicklungen unterstützt. Sie ersetzt Präsenzveranstaltungen und fördert gerade die Teilnahme jüngerer Menschen. Über die von Plentific bereitgestellte App wiederum können Mieter kleine Schäden an die Hausverwaltung beziehungsweise an Handwerker zur Reparatur melden. Tools dieser Art, die die digitale Verfolgung von Abläufen ermöglichen, haben in der aktuellen Krise Aufwind.
Wenn alle ins Büro zurückkehren, möchten die Mitarbeiter transparent über die Belegung von Räumen, die Luftqualität, Aufzüge und so weiter informiert werden. Schon jetzt sind vielfältige IoT-Sensoren in den Büros installiert, aber es sind vermutlich neue Apps erforderlich, mit denen sich diese Daten unter Gesundheitsaspekten auswerten lassen, sowie kontaktlose Zugangskontrollsysteme. Ein weiteres Portfolio-Unternehmen, Office App aus Amsterdam, arbeitet zurzeit an einem solchen Konzept.
Die Technologie für virtuelle Immobilienbesichtigungen macht gerade einen großen Sprung nach vorn. Wir haben in das Unternehmen Decology investiert, das mittels Videospieltechnik Entwickler beim internationalen Vertrieb von Wohnobjekten unterstützt. Bright Spaces bietet in ähnlicher Form Visualisierungstechnik für den Gewerbeimmobilienmarkt an.
Von Isobel Lee