
Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie dürften den Trend zur „Smart City“ beschleunigen. Für Immobilieninvestoren entstehen dadurch neue Chancen, aber auch eine größere Unsicherheit. Als zukunftssicher gelten dabei Investitionen in Energie- und Datennetze sowie in digitale Innovationsplattformen. Von Karel Beckman
An digitalen Innovationen zur Bewältigung der Corona-Krise herrscht wahrlich kein Mangel. So haben die beiden Technologieunternehmen Cradlepoint und Rigado ihre Safe Workplace Solution präsentiert. Immobilienmakler Cushman & Wakefield hat ein Konzept für das 6 Feet Office vorgestellt. Und US-Start-up Globe hat eine App he- rausgebracht, die allen, die mal ungestört von der Familie arbeiten wollen oder einfach einen Tapetenwechsel benötigen, einen ruhigen Platz auf Zeit in einer leer stehenden Wohnung vermittelt.
Digitale und onlinebasierte Innovationen werden wohl als Gewinner aus der Covid-19-Krise hervorgehen, denn Videokonferenzen gehören inzwischen für viele zum Alltag und der Onlinehandel erzielt Rekordumsätze. Zu den Verlierern zählt möglicherweise die Sharing Economy. So weist die Wirtschaftsberatung Deloitte in einer Studie zu den Folgen der Pandemie für die Mobilität darauf hin, dass weniger Menschen bereit sind, Fahrzeuge zu teilen. Gefragt ist wieder das eigene Fahrzeug. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie sich die Covid-19-Pandemie generell auf die Entwicklung des urbanen Raums auswirken wird.
„Praktisch über Nacht haben sich viele Vorzüge der Großstadt ins Gegenteil verkehrt“, schreibt der Politikwissenschaftler Mark Kleinman vom King’s College London. „Was bis vor Kurzem noch hoch begehrt war – Menschenmassen, Nähe, Anbindung, Offenheit –, löst jetzt Ängste aus. Die Stadt der Zukunft wird möglicherweise ganz anders aussehen. Denkbar sind zum Beispiel Wissensarbeiter, die zu gleichen Teilen zu Hause und im Büro tätig sind, Lieferfahrzeuge mit Elektroantrieb und eine Dynamisierung des Strukturwandels im Einzelhandel“, so Kleinman.
Was bis vor Kurzem noch hoch begehrt war – Menschenmassen, Nähe, Anbindung, Offenheit –, löst jetzt Ängste aus.
Noch viele Ungewissheiten kennzeichnen die Zukunft der Smart City
Angesichts der vielen Ungewissheiten rät Paul Blakeman, Innovationsleiter der britischen Beratungsgesellschaft Urban Foresight, Investoren und Entwicklern, den Fokus auf den Ausbau der Netzinfrastruktur der Smart City zu richten. „Es lässt sich nur schwer vorhersagen, welche innovativen Technologien und Anwendungsfälle sich letztendlich durchsetzen werden. Wenn aber die grundlegende Infrastruktur gegeben ist, kann man jederzeit flexibel auf unvorhergesehene Entwicklungen reagieren“, meint er. Nach Ansicht des Experten werden Bauherren und Projektentwickler unter anderem künftig stark auf das Vorhandensein der Ladeinfrastruktur angewiesen sein und entsprechend agieren müssen. Denn: „Viele öffentliche Verkehrsbetriebe dürften mit ihrem aktuellen Angebot existenzgefährdet sein. Dazu kommt, dass Pendler, die selten ins Büro fahren, in Zukunft möglicherweise gern auch weitere Wege in Kauf nehmen.“
Die Idee der Smart City beruhte ursprünglich auf einer anderen Art von Rückgrat: der digitalen Plattform. Sie sollte die Basis für smarte Anwendungen zur Transformation des urbanen Raums bilden. Nach Blakemans Beobachtung hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt: „Die Städte haben massiv investiert, aber mit nur mageren Ergebnissen. Die Anbieter haben sich zu sehr auf die Etablierung der eigenen Plattform konzentriert, die tatsächlichen Bedürfnisse kamen zu kurz.“ Helsinkis treibende Innovationskraft, das Planungsbüro Forum Virium, will diese Fallstricke umgehen. Pekka Koponen, der bei Forum Virium den Bereich Smart City verantwortet, hält es für unabdingbar, dass digitale Plattformen auf Open-Access-Standards basieren.
Die Anbieter haben sich zu sehr auf die Etablierung der eigenen Plattform konzentriert, die tatsächlichen Bedürfnisse kamen zu kurz.
Ein offener Standard und der digitale Zwilling treiben die Smart City voran
Zu den Vorzeigeprojekten der finnischen Hauptstadt gehört das „smarte Stadtviertel“ Kalasatama, in dem diverse Lösungen für smarte Gebäude- und Energietechnik umgesetzt wurden. Unter anderem werden hier selbstleerende Mülltonnen erprobt sowie Stromnetze, die zugleich als Kommunikationsnetze dienen. Die meisten der in Kalasatama eingesetzten Services für Heizung, Beleuchtung und Sicherheit basieren nach Angaben von Koponen auf offenen Standards. Somit können kleine und mittelständische Unternehmen den Haushalten in Eigenregie neue Services anbieten.
In der niederländischen Metropole Rotterdam werden die Konzepte Open Access und Bürgerbeteiligung noch konsequenter umgesetzt. Dort arbeitet man an der Entwicklung eines interaktiven „digitalen Zwillings“ der gesamten Stadt. „Die meisten Plattformen sind heute auf den reinen Datenaustausch ausgerichtet. Der von uns entwickelte digitale Zwilling hingegen wird alle Objekte der Stadt, von Laternenpfählen und Gebäuden bis hin zu Straßen und Parkbänken, dreidimensional abbilden. Gleichzeitig liefern Sensoren und Kameras Echtzeitinformationen zur Nutzung dieser Objekte“, erklärt Roland van der Heijden, Projektleiter bei Digital City Rotterdam. Der digitale Zwilling wird den Nutzern ganz neue Möglichkeiten bieten. „Man denke nur an die Frage, wie sich Neubauten in die bestehende Umgebung einfügen. Entwickler können den digitalen Zwilling unter anderem dazu nutzen, die Auswirkungen der geplanten Projekte auf das unmittelbare Umfeld zu veranschaulichen. Das macht die Kommunikation mit den Anwohnern transparenter. Darüber hinaus lassen sich mithilfe des digitalen Zwillings neue Chancen für die Stadtentwicklung identifizieren“, so der Projektleiter.
Wie Helsinki setzt auch Rotterdam auf gängige Schnittstellen und offene Datenstandards. „Vertrauen ist in diesem Projekt von entscheidender Bedeutung. Jeder von uns wird die Daten nutzen können und zugleich auch Daten bereitstellen. Daher muss absolute Klarheit darüber herrschen, wie damit umgegangen wird“, erklärt van der Heijden.
Größte Herausforderung ist es, das Vertrauen der Nutzer zu gewinnen
Marcel van Oosterhout, stellvertretender Direktor des Erasmus Centre for Data Analytics in Rotterdam, sieht es genauso. Sein Team hat eine Studie zum Thema „Urbane Datenplattformen in Europa“ durchgeführt, die Anfang des Jahres veröffentlicht wurde: „Im Rahmen des von der EU finanzierten Projekts Ruggedised haben wir die Smart-City-Aktivitäten in 100 europäischen Städten untersucht und dabei festgestellt, dass die größte Herausforderung jeweils darin besteht, das Vertrauen der Nutzer zu gewinnen.“ Nach Ansicht von Marcel van Oosterhout sollten Immobiliengesellschaften in der Stadt der Zukunft eine neue Funktion übernehmen, indem sie dazu beitragen, die Stadt lebenswert, nachhaltig und sicher zu gestalten. „Aber hierzu müssen ihnen Daten zur Verfügung gestellt werden, was voraussetzt, dass das entsprechende Vertrauen gegeben ist.
Die steile Karriere des Laternenpfahls
Der auf Smart Citys spezialisierte Investor Primevest Capital Partners aus Utrecht hat ein smartes, nachhaltiges Konzept für den Infrastrukturausbau vorgelegt, das auf eines der ältesten Elemente der städtischen Infrastruktur setzt: die Straßenlaterne.
„Eine Stadt muss vielfältige Aufgaben und Anforderungen erfüllen. So benötigen zum Beispiel die Telekommunikationsanbieter Raum für ihre 5G-Antennen. Außerdem müssen Feinstaub- und andere Schadstoffemissionen gemessen werden. Der städtische Verkehrsfluss muss überwacht und gesteuert werden. Zudem gilt es, den Energieverbrauch zu senken und die Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge bereitzustellen. Darüber hinaus ist die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Wir können den Städten eine Lösung bieten, mit der sie diese Aufgaben alle gleichzeitig meistern können, nämlich den smarten Laternenpfahl“, sagt Bart Pierik, Managing Partner bei Primevest CP.

Auf der Suche nach dem idealen Standort für 5G-Antennen hat Primevest CP den Laternenpfahl als Universallösung entdeckt. „Beim Ausbau des 5G-Netzes müssen flächendeckend alle 500 bis 800 Meter Antennen aufgestellt werden“, erklärt Heimen Visser, Fund Manager Communication Infrastructure bei Primevest CP. „Laternenpfähle sind aufgrund ihrer Höhe, ihrer Anbindung an das Stromnetz sowie ihrer Verbreitung dafür perfekt geeignet. Dann kamen wir auf die Idee, dass sie sich auch bestens für die Anbringung von Kameras, Sensoren und Ladestationen für Elektrofahrzeuge eignen. Eine Mehrzwecklösung dieser Art ist für die Städte besonders interessant“, so der Fund Manager.
Entsprechend rief Primevest CP in Kooperation mit der staatlichen BNG Bank die Initiative „Smart City Nederland“ ins Leben. Die Bank stellt den niederländischen Städten und Gemeinden einen konkreten Fahrplan für die nachhaltige, smarte Entwicklung zur Verfügung, der auf eine altbewährte Komponente kommunaler Infrastruktur setzt: den Laternenpfahl.
Von Karel Beckman