
Nachhaltigkeit ist für Immobilienunternehmen Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg – erst recht unter dem Eindruck der Corona-Pandemie. Von Christian Hunziker
Für die Gründung ihres eigenen Unternehmens haben sich Robert-Christian Gierth und Alexander Happ nicht den einfachsten Zeitpunkt ausgesucht. Fast gleichzeitig mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Europa brachten die beiden langjährigen Topmanager der Immobilienbranche (der eine war zuvor bei Colliers International tätig, der andere bei Buwog) Assiduus Development an den Start: ein Unternehmen, das sich auf die Entwicklung nachhaltiger Mixed-Use-Projekte mit Büroschwerpunkt fokussiert. „Auch die Immobilienwirtschaft muss sich ihrer ökologischen Verantwortung stellen“, begründet Co-Gründer Gierth diese Schwerpunktsetzung.
Doch gilt diese Überzeugung vor dem Hintergrund der Herausforderungen durch die Corona-Pandemie auch für andere Branchenteilnehmer? In wirtschaftlichen Krisenzeiten, das zeigt die Erfahrung, drohen vermeintliche Luxusthemen wie ökologische und soziale Verantwortung nicht selten vernachlässigt zu werden. In der medialen Öffentlichkeit war denn auch zuletzt die Bewegung Fridays for Future kaum mehr ein Thema, während das Coronavirus die Schlagzeilen beherrschte. Trotzdem scheint die Bedeutung der ESG-Themen – Environmental (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (gute Unternehmensführung) – in der Immobilienwirtschaft nach wie vor groß zu sein. Das legt das Mitte 2020 veröffentlichte Trendbarometer des Immobilienfinanzierers Berlin Hyp nahe. Lediglich 18 Prozent der befragten Immobilienunternehmen vertreten demnach die These, dass das Thema Nachhaltigkeit angesichts der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise in den Hintergrund trete. Ähnlich ist das Bild der von EY Real Estate vorgelegten Asset-Management-Studie, die auf einer im ersten Quartal 2020 durchgeführten Befragung beruht: Demnach erwarten 85 Prozent der auf dem deutschen Markt aktiven Assetmanager, dass sich der Anteil von Investitionen in nachhaltige Immobilien signifikant erhöhen wird.
Trotz der Corona-Restriktionen dürfen wir die klimapolitischen Ziele nicht aus den Augen verlieren.
ESG ist im Mainstream der Immobilienwirtschaft angekommen
„Das Thema Nachhaltigkeit steht bei vielen Immobilienunternehmen auf der Agenda“, bewertet Natalie Wehrmann, Associate Partner bei EY Real Estate, die Ergebnisse der Befragung. „Aber nur beim geringeren Teil befindet es sich wirklich schon vollumfänglich in der Umsetzung.“ Dabei ist nach Einschätzung von Experten genau jetzt der richtige Zeitpunkt, um mit ESG-Themen ernst zu machen. „Trotz der Corona-Restriktionen dürfen wir die klimapolitischen Ziele nicht aus den Augen verlieren“, betont Maria Hill, Vorsitzende des Ausschusses Energie und Gebäudetechnik beim Zentralen Immobilien Ausschuss. „Die entsprechenden Maßnahmen könnten zu einem wirtschaftlichen Aufschwung in zahlreichen Bereichen unserer Wirtschaft führen.“ Auch Sophie Chick, Director World Research bei der Immobilienberatungsgesellschaft Savills, appelliert an die Branche: „Die innovativen Ansätze der Immobilienwirtschaft mit der Pandemie müssen nun adaptiert werden, um Immobilien in jeder Phase ihres Lebenszyklus klimaverträglicher zu machen.“ Und Susanne Eickermann-Riepe, Vorstandsvorsitzende des deutschen Zweigs der Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS), ist überzeugt, dass „die Corona-Pandemie wie ein Katalysator gewirkt und dazu geführt hat, dass Nachhaltigkeit wieder an Bedeutung gewonnen hat“. Denn gerade in schwierigen Zeiten werde die Widerstandsfähigkeit von Immobilien gegen Krisen wichtiger. Dass ESG kein Nischenthema mehr ist, hat die spektakuläre Ankündigung des Chefs des Vermögensverwalters Blackrock, Larry Fink, bewiesen, verstärkt auf nachhaltige Investitionen zu setzen. Ein anderer Gigant der internationalen Finanzwelt, nämlich KKR, hat Anfang 2020 einen Global Impact Fund mit einem Volumen von 1,3 Milliarden US-Dollar platziert, der einen positiven Beitrag für Umwelt und Gesellschaft leisten soll.
Regulatorik erzeugt Druck und spielt eine große Rolle bei der Umsetzung
Ganz freiwillig erfolgt diese Hinwendung zu ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit allerdings nicht. Vielmehr nimmt der Druck durch die Politik zu. „Der Green Deal der EU gibt der Nachhaltigkeit einen weiteren Schub“, sagt Susanne Eickermann-Riepe. Damit verweist sie auf den Aktionsplan Sustainable Finance, mit dem die EU-Kommission die Finanzinstitute zu nachhaltigem Wirtschaften verpflichten will. Teil des Plans ist die sogenannte Taxonomie, ein Kriterienkatalog für klimaverträgliche Investitionen. Die Folgen sind bereits spürbar: „Institutionelle Investoren und börsennotierte Unternehmen müssen und wollen vermehrt ihre Nachhaltigkeit unter Beweis stellen“, sagt Simon Szpyrka, Geschäftsführer des auf Betriebskostenoptimierung spezialisierten Beratungsunternehmens Argentus. Neben den politischen Vorgaben spielen betriebswirtschaftliche Erwägungen eine nicht unwesentliche Rolle. „Auch wenn Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema ist, stehen Wirtschaftlichkeit und Rendite nach wie vor im Vordergrund“, sagt Natalie Wehrmann von EY Real Estate.
Nach ihren Worten ist bei nachhaltigen Produkten von einer tendenziell höheren Rendite auszugehen, „da Investitionen noch effizienter gesteuert und die Kosten im laufenden Betrieb gesenkt werden können und weil auch ein höherer Verkaufspreis aufgrund geringerer Risiko- abschläge erzielbar ist“. Umgekehrt müssten sich Eigentümer, die sich nicht um Nachhaltigkeit kümmern, auf Wertabschläge ihrer Immobilien einstellen, argumentiert Susanne Eickermann-Riepe von der RICS. Dabei gehe es nicht nur um einen bilanziellen Wertverlust. „Vielmehr werden für nicht nachhaltige Gebäude auch die Finanzierungs- und Versicherungskosten steigen.“ Deshalb, ergänzt Alexander Happ, Co-Gründer des Projektentwicklers Assiduus, rechne sich Nachhaltigkeit für Investoren auf lange Sicht. „Denn nicht nachhaltige Immobilen unterliegen wachsenden Risiken und verlieren deshalb an Wert.“
85 %
der deutschen Assetmanager glauben, dass Investments in nachhaltige Immobilien signifikant zunehmen.

18 %
glauben, dass das Thema Nachhaltigkeit wegen der Corona-Krise in den Hintergrund tritt.
Noch fehlen belastbare Zahlen, die den Renditevorteil belegen können
Dabei gibt es allerdings ein Problem: Auch wenn vieles für die genannten Argumente spricht, so fehlt es doch an belastbaren Zahlen, die diesen Renditevorteil langfristig belegen würden. Das gilt besonders für die sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit, die erst in letzter Zeit verstärkt in den Fokus gerückt sind. Mehr noch: Es fehlt auch an einer verlässlichen Datengrundlage. „Die sozialen Themen und die Aspekte der Good Governance sind schwerer messbar als die ökologischen Seiten der Nachhaltigkeit“, räumt Happ ein. Doch selbst bei der Energieeffizienz stellt die Messbarkeit eine der ganz großen Herausforderungen dar, wie EY-Expertin Natalie Wehrmann sagt. „Kaum ein Assetmanager hat den Überblick, wie hoch der CO2-Ausstoß seiner einzelnen Objekte und seines Portfolios ist“, stellt sie fest. Sie fordert deshalb, mithilfe der Digitalisierung eine Strategie zu entwickeln, „welche Maßnahmen mit welchem Effekt umgesetzt werden. Nur so lässt sich die Nachhaltigkeit des Portfolios auf Dauer effizient vorantreiben“.
Dieser Aufgabe stellen sich Vorreiter der Branche. Union Investment hat 2019 das Nachhaltigkeitslabel atmosphere eingeführt, das bereits die Taxonomie des „Action Plan on Sustainable Finance“ der EU berücksichtigt. Darauf aufbauend initiierte der Immobilien-Investmentmanager 2020 zusammen mit Bell Management Consultants den „ESG Circle of Real Estate“ mit dem Ziel, einen Branchenstandard zur Messung der Nachhaltigkeitsperformance von Immobilien und Portfolios zu entwickeln. „Da die Taxonomie zwar Kriterien für Immobilien festlegt, aber keine konkreten Zielwerte vorgibt, schließt die Initiative hier eine Lücke“, sagt Jan von Mallinckrodt, Head of Sustainability bei der Union Investment Real Estate GmbH.
Impulse kommen auch von PropTechs. Truvalue Labs aus den USA beispielsweise nimmt für sich in Anspruch, durch künstliche Intelligenz relevante ESG-Daten zur Verfügung zu stellen. Und in Europa arbeiten zahlreiche Start-ups mit etablierten Immobilienunternehmen zusammen, um die Nachhaltigkeit zu erhöhen.
Solche Kooperationen seien gerade in Corona-Zeiten wichtig, sagt Benjamin Rohé, Gründer der Beratungsgesellschaft GERMANTECH, die zusammen mit Union Investment 2020 den PropTech Innova- tion Summit durchgeführt hat: „Wenn die Immobilienbranche flexibler wird und offen für die Zusammenarbeit mit PropTechs ist, kann aus dieser Krise eine große Chance werden.“
Von Christian Hunziker