
Innovatives Mobilitätskonzept, hochwertige Architektur, sparsamer Energieverbrauch: Wenn Kommunen Grundstücke vergeben, achten sie nicht mehr nur auf den höchsten Preis. Das stellt Projektentwickler vor Herausforderungen – und ermöglicht Investoren Chancen.
14 Gebäude, eine Gesamtfläche von 419.000 Quadratmetern, eine Mischung aus Wohnungen, Büroflächen, Restaurants, Läden, Hotels und sogar einem Kreuzfahrtterminal: Das Überseequartier in Hamburgs Hafencity ist ein Ausnahmeprojekt auf dem boomenden deutschen Immobilienmarkt. Von „einem der bedeutendsten und innovativsten Mixed-Use-Quartiere Europas“ spricht jedenfalls der Bauherr Unibail-Rodamco-Westfield. Dabei geht es dem Immobilienkonzern allerdings nicht nur um Quantität, sondern auch um Qualität. „Unser Ziel ist es, ein lebendiges, urbanes Quartier zu entwickeln und mit den neuesten Trends, Konzepten und Innovationen auszustatten“, sagt Andreas Hohlmann, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Unibail-Rodamco-Westfield in Deutschland.
Ähnliche Ziele setzen sich immer mehr Projektentwickler – zum Teil freiwillig, zum Teil aber auch unter dem Druck der öffentlichen Hand. Denn bei der Vergabe städtischer Grundstücke an Projektentwickler entscheiden immer mehr Kommunen nicht mehr nach dem höchsten gebotenen Preis, sondern nach dem besten Konzept. Und auch bei der Aufstellung eines Bebauungsplans machen die Städte klare Vorgaben. So fordern sie von den Projektentwicklern beispielsweise eine bestimmte Nutzungsmischung, den Bau von Sozialwohnungen, die Übernahme von Infrastrukturleistungen (etwa Schulen und Kindergärten), die Schaffung von besonders hochwertigen Grünflächen oder eine über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehende Energieeffizienz.
Last oder Chance?
Die Ansprüche der Kommunen seien gestiegen, bestätigt Klaus Küppers, Leiter Projektentwicklung bei der Projektentwicklungsgesellschaft Pandion. Dadurch würden „die Entwicklungen planerisch sowie wirtschaftlich komplexer und risikoreicher“. Verständnis für das Vorgehen der öffentlichen Hand äußert Bent Mühlena, Leiter Immobilienprojektmanagement bei Union Investment. „Den verantwortungsvollen Umgang mit knapper werdenden Flächen kann ich sehr gut nachvollziehen“, sagt er. „Wir stellen uns solchen Aufgaben gern. Denn wir haben seit jeher einen hohen Qualitätsanspruch an unsere Gebäude.“ Union Investment beteiligt sich deshalb zusammen mit Projektentwicklern an Ausschreibungen für öffentliche Grundstücke – zum Beispiel bei einem Teilgebiet des Kenniskwartier (Wissensquartier) in Amsterdam, wo Edge Technologies als Projektentwickler fungiert.
Die Ansprüche der Kommunen sind gestiegen. Dadurch werden Entwicklungen planerisch sowie wirtschaftlich komplexer und risikoreicher.
Hohe Anforderungen
Das Kenniskwartier im Geschäftsviertel Zuidas soll nach dem Willen der Verantwortlichen zu einem gemischt genutzten Stadtteil mit Wissenschaftseinrichtungen, Büros und Wohnungen entwickelt werden. Entsprechend hoch sind die Anforderungen der Kommune. „Die Ausschreibung ist wegen ihrer hohen Komplexität einmalig“, sagt Sandra Thesing, Deputy Director beim Amsterdam Zuidas Development Office. „Die örtlichen Behörden haben die Latte in Bezug auf Nachhaltigkeit und räumliche Qualität enorm hoch gelegt.“ Das Gleiche gilt für andere Stadtentwicklungsprojekte in Europa – etwa für die große Stadterweiterung im Nordosten Wiens, die als Aspern Seestadt bekannt ist. „Hier werden Grundstücke grundsätzlich nur an Investoren verkauft, welche sich verpflichten, gewisse Qualitätskriterien einzuhalten“, sagt Heinrich Kugler, Vorstandsmitglied der Wien 3420 AG, die den Stadtteil im Auftrag des Wiener Magistrats entwickelt. Projektentwickler müssen das Mobilitätskonzept der Seestadt umsetzen und die energetischen Kriterien des von der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen entwickelten Zertifizierungssystems TQB (Total Quality Building) einhalten.
„Echte Urbanität“
Damit kristallisiert sich die Nutzungsmischung als eine zentrale Forderung heraus, mit der sich Projektentwickler und Investoren auseinandersetzen müssen. Für Fachleute aus Architektur und Stadtplanung ist diese Forderung überfällig. „Grundlegende Voraussetzung für einen gelungenen integrativen Städtebau ist die Ermöglichung funktionaler und sozialer Vielfalt“, heißt es in der 2019 verabschiedeten und von führenden Stadtentwicklungsexperten unterzeichneten Düsseldorfer Erklärung zum Städtebaurecht.
Doch auch Vertreter der Immobilienbranche können diesem Ansatz viel abgewinnen. „Eine gesunde Nutzungsmischung ist immer ein Vorteil für ein Quartier“, sagt Andreas Steyer, CEO von Consus Real Estate, unter dessen Dach mit der SSN Group und der CG Gruppe zwei der größten deutschen Projektentwickler agieren. „Wir bauen stets eine City in der City, in der Wohnungen beispielsweise durch Büros, Nahversorger oder ein Hotel ergänzt werden. Auf diese Weise entsteht echte Urbanität und keine Trabantenstadt.“
Ganz ähnlich sieht das Bent Mühlena von Union Investment. „Insbesondere bei innerstädtischen Grundstücken ab einer gewissen Größe macht der Quartiersgedanke Sinn, spielt eine gemischte Nutzung doch hier eine zunehmend wichtige Rolle“, argumentiert er. Und er weist darauf hin, dass Union Investment diesen Trend schon in den 90er-Jahren erkannt hat: Damals baute der Hamburger Investmentmanager mehrere sogenannte CityQuartiere, darunter das DomAquarée in Berlin-Mitte. Dieses umfasst nicht nur ein Hotel, Wohnungen, Büros und Einzelhandelsflächen, sondern auch ein spektakuläres Großaquarium. Das Property Management sei in solchen Fällen zwar komplizierter als bei monofunktionalen Objekten, räumt Mühlena ein. Moderne, digitalisierungsgetriebene Tools zahlten sich aber in einer hohen Mieterbindung aus.
„Wohnen und Arbeiten nähern sich immer mehr an“, sagt auch Jürgen Schorn, geschäftsführender Gesellschafter von Bauwerk Capital. „Reine Wohngebiete ohne gewerbliche Nutzungen schaffen keine urbane Qualität.“ Bauwerk Capital setzt diesen Ansatz derzeit beim Kupa-Quartier in München-Pasing um: Dort plant das Unternehmen ein Viertel mit 175 Wohnungen und 5.500 Quadratmetern Bürofläche. Letztere entstehen in einer ehemaligen Kuvertfabrik, die unter Denkmalschutz steht.
Eine herausragende Rolle spielen solche Kriterien auch in der Hafencity Hamburg, in der Unibail-Rodamco-Westfield sein Überseequartier realisiert. „Bei den Auswahlverfahren spielt in jedem Fall eine differenzierte Konzeption die entscheidende Rolle“, sagt André Stark, Pressesprecher der Hafencity Hamburg GmbH.
Investoren müssen deshalb nachweisen, dass ihr Projekt die Kriterien des von der Hafencity entwickelten Umweltzeichens erfüllt und sich am Hafencity-Mobilitätskonzept orientiert. Dieses schreibt bei Nicht-Wohngebäuden Carsharing und eine Lade-Infrastruktur für Elektroautos vor. Außerdem verpflichten sich die Projektentwickler, einen Architekturwettbewerb mit internationaler Beteiligung durchzuführen. Und schließlich sind dem Sprecher zufolge „differenzierte Nutzungskonzepte“ gefragt, wozu eine Mischung unterschiedlicher Bewohner und verschiedener Nutzungen gehört.

Innovative Mobilitäts- und Energiekonzepte
Derweil steigen auch die Anforderungen an die Nachhaltigkeit von Projekten. Gemeint ist damit nicht nur die Energieeffizienz der Gebäude, sondern immer mehr auch ein innovatives Mobilitätskonzept. Hintergrund dieser Entwicklung ist, dass der Besitz eines eigenen Autos zumindest in den Großstädten an Bedeutung verloren hat. „Dass Entwickler von Wohn- und Gewerbebauprojekten Mobility-Angebote in ihre Konzepte integrieren, ist die logische Konsequenz daraus“, sagt Jürgen Schorn von Bauwerk Capital. Für das Kupa-Quartier in München-Pasing hat sein Unternehmen deshalb ein umfassendes Mobilitätskonzept entwickelt, das einen Mix aus Autos, E-Bikes, Elektro-Lastenfahrrädern und E-Scootern vorsieht. Schorn sieht sich dabei allerdings nicht als Getriebener der Politik, sondern im Gegenteil als Trendsetter, welcher der Politik nahezubringen versucht, dass der klassische Stellplatzschlüssel (ein Autostellplatz pro Wohnung) nicht mehr der gesellschaftlichen Realität entspricht.
Bürgerbeteiligung gewünscht
Neben der lokalen Politik und den kommunalen Behörden müssen Projektentwickler und Investoren heute noch einen weiteren Akteur mit ins Boot nehmen: die Öffentlichkeit. Beteiligungsverfahren, die über das gesetzlich Vorgeschriebene hinausgehen, finden sich immer öfter in den von den Städten formulierten Anforderungskatalogen. So mussten beispielsweise die Entwickler der Ulmer Höh’ in Düsseldorf Kolloquien durchführen, in deren Rahmen Bürger die städtebauliche Planung mitgestalten durften.
Und wenn es nicht gelingt, die Bürger mitzunehmen? Dann kann das ehrgeizigste Projekt scheitern. Das musste in diesem Jahr die Ten-Brinke-Gruppe erfahren, die 2018 von der bayerischen Stadt Memmingen den Zuschlag für die Entwicklung des Bahnhofsareals erhalten hatte. Eine Mischung aus Büros, einem Hotel, Einzelhandelsflächen und Wohnungen sah der Entwickler vor. Doch das überzeugte offenbar nicht: In einem Bürgerentscheid sprachen sich gut 60 Prozent der Memminger gegen das Projekt aus – mit der Folge, dass die Kommune die Planung stoppte.
Von Christian Hunziker