Der vernetzte Umbruch

„Denken Sie radikal!“ – so lautet die drastische Aufforderung an etablierte Geschäftsmodelle. Die Digitalisierung macht vor keiner Branche halt und zwingt auch die Hotelbetreiber zum Umdenken, genau wie deren Immobilienpartner. Doch wie passt das zur DNA der Hotellerie?

Querdenken heißt die Strategie der Stunde – oder krasser gefasst in Slogans wie „Disrupt your own company!“.  Der Mann mit dem radikalen Statement ist Klaus Dederichs, Associate Partner bei dem internationalen Projektsteuerer Drees & Sommer. Er selbst sitzt mit seinem Büro an der RWTH Aachen inmitten von 40 Technologie-Unternehmen, die nichts anderes als Forschung betreiben, quer durch alle Branchen. Disruption zu denken ist sein Alltag.


Das eigene Unternehmen radikal auf den Kopf zu stellen fällt Führungskräften, die sich jahrzehntelang (erfolgreich) in festen Strukturen bewegt haben, schwer. Der Weckruf aber ist da. Täglich rütteln bereits Millionen „Disruptoren“ an der Hotelpforte: die Gäste. Vor allem die Jungen sind aufmüpfig geworden, sie wollen nicht mehr allein ein Zimmer, sondern ein Zimmer mit „Experience“. Und das bitte sofort, transparent und in Echtzeit. Sie selektieren alles online, und wer ihnen die verlangte „Experience“ nicht bietet, ist mit einem Wisch auf dem Smartphone aus den Augen und aus dem Sinn. Das ist ein großes Drama.


Die Hotelbetreiber stehen diesen fordernden Gästen allein gegenüber, ohne Unterstützung ihrer Immobilienpartner. Erik Florvaag, Head of Hotel Acquisitions bei Art-Invest in Köln, bekennt freimütig: „Wir hatten als Endinvestor und Entwickler mit unserem Betreiber noch nie ein Gespräch über das Property Management System.“ PMS wickeln seit Jahrzehnten alle Buchungen für ein Hotel ab und managen die Gästedaten. Sie sorgen letztlich für das permanent volle Haus und damit auch für die Wertsteigerung der Immobilie. Doch diese alten, starren Systeme können nun die vielen neuen Gästeforderungen nach Antworten in Echtzeit und nach personalisierten Angeboten nicht erfüllen – eine zusätzliche Last für digital aufgeschlossene Hoteliers. Denn die Betreiber treffen immer schneller auf umtriebige und progressiv denkende Unternehmen. Dazu gehört auch Art-Invest. Die Tochter der Bremer Zech Group hat vor allem den Mehrwert von Mixed-Use-Quartieren entdeckt – und ist bei ihrer Recherche auf viele Widersprüche und zugleich Chancen gestoßen, welche sich ohne Teamwork zwischen Immobilien- und Betreiberseite gar nicht mehr lösen beziehungsweise nutzen lassen.


Aus dem Hotel heraus muss alles buchbar sein! Sie verkaufen künftig ein Zimmer mit Dienstleistung.
Klaus Dederichs, Associate Partner bei Drees & Sommer

Monetarisierung vollkommen neu denken

Know-how- und Konzept-Sharing sind die Gebote der Stunde. Denn die Digitalisierung erzwingt und ermöglicht neue Monetarisierungsmodelle. Das andere Denken beginnt bei Mauern und Flächen – und das, was man mit ihnen macht, wenn der Gast schläft oder außer Haus ist. „Es gilt, schon die Immobilien aus der Nutzersicht, also unter ‚Usability‘-Gesichtspunkten zu entwickeln“, sagt Klaus Dederichs von Drees & Sommer und ermuntert die Hoteleigentümer und -investoren: „Wer künftig Geld verdienen will, sollte über seine Immobilienplattform nachdenken.“ Das neue Geschäftsmodell heißt Real-Estate-as-a-Service.


Ein einfaches Beispiel: Das Parkhaus neben dem Hotel ist in der Regel nur von 7 bis 19 Uhr voll besetzt. Jeder Platz kostet aber Geld, will also refinanziert sein. Also wird er auch nachts vermietet. Das übernimmt ein Profi – und der Parkhausbesitzer verdient über eine Kommission mit. Das Wissen, wann eventuell wie viele leere Parkplätze zur Verfügung stehen, saugt künstliche Intelligenz heute aus den Hoteldaten, vorausgesetzt, alle Partner sind miteinander verknüpft. Ein komplexeres Beispiel: das Mixed-Use-Quartier mit Wohnen, Büros/Coworking, Supermarkt, Gastronomie, Hotel, Serviced Apartments oder Co-Living. Der Investor hat die Hoheit über die Logistik in seinem Quartier, baut schlauerweise Parkhäuser mit E-Ladestationen und direkt dazu einen Mobility Hub – vom E-Bike über Carsharing bis hin zu Shuttles zum Bahnhof oder in die Shoppingmall. Für jeden Service zahlen die Quartierbewohner, und weil’s so bequem und eventuell exklusiv ist, gern auch mehr.


E-Mobilität bietet Gästen ein anderes Lebensgefühl. Es ist der neue Buchungstrigger der Marke Arborea Hotels und Resorts.
Christoph Schöch/Arborea Hotels und Resorts

Der Investor verdient zudem an den diversen Mieten oder Pachten. Je lebendiger der Mix im Quartier, umso mehr Interaktion wird es im Areal geben, desto stärker wird die Nachfrage, umso mehr ziehen die Preise an. Hotels können hier zum Magneten werden. Ob Wohnungsmieter oder Hotelgast, das vernetzte Quartier erlaubt maßgeschneiderte Services für alle: Jeder kann über eine App eine Pizza oder Sushi bestellen, einen Tisch in der Osteria reservieren, Supermarktbestellungen online aufgeben und an die Tür liefern lassen, online bei der Reinigung nachfassen, ob die Hemden fertig sind, die Massage im Day Spa gegenüber oder von unterwegs noch den Meetingraum im Coworking Space nebenan buchen.


In der digitalen Welt entstehen so neue kleine, autarke Lebenswelten, regelrechte Kleinstädte.  In solchen Quartieren geben sich Investor und Betreiber sehr schnell die digitale Klinke in die Hand, die Grenze zwischen Immobilie und Betreiber verschwindet ebenso wie die zwischen Assetklassen. Klaus Dederichs an die Hotelbetreiber: „Aus dem Hotel heraus muss alles buchbar sein! Sie verkaufen künftig ein Zimmer mit Dienstleistung.“ Also ein Zimmer mit „Experience“. 


Größtmögliche Synergien

So sieht also Zukunft aus. Dafür kann sich Tobias Köhler, bei Ruby Hotels verantwortlich für Systems & Commerce, begeistern. Berührungsängste oder gar Abgrenzungsängste hat er dabei nicht: „Uns als Lean-Luxury-Hotelgruppe käme es sehr gelegen, wenn ein Investor zum Beispiel ein Restaurant betreiben oder anbieten würde. Wir wollen kein Restaurant.“ Genauso gern sähe er einen E-Scooter-Verleih neben einem Ruby Hotel oder könnte sich eine Kooperation mit einer Tesla-Vermietung im Gebäudekomplex vorstellen.


Die Betreiber besinnen sich also wieder auf ihre Kernkompetenz, suchen aber gleichzeitig nach passender Technologie, um auch größtmögliche Synergien aus der Partnerschaft mit den Investoren oder Eigentümern zu erzeugen. Martin Schaller, Leiter Asset Management Hospitality bei Union Investment, sieht schon einige positive Beispiele in der Branche: „Viele operative Systeme sind heute schon derart mit der Gebäudeleittechnik verbunden, dass beispielsweise vor Anreise die Raumtemperatur im Zimmer exakt auf die Bedürfnisse des Gastes eingestellt und so Energie eingespart werden kann.“


Hotels müssen ‚digital ready‘ werden. Wir arbeiten an einer Standard-Baubeschreibung für innovative Gebäude.
Erik Florvaag, Head of Hotel Acquisitions bei Art-Invest in Köln

Die Entwicklungen gehen aber rasant weiter. Als Investor und Entwickler hat zum Beispiel Art-Invest inzwischen selbst ein Test-Lab installiert, berichtet Erik Florvaag. Über alle Assetklassen hinweg probiert man dort selbst aus, was im Gebäude Sinn macht. So hat der Kölner Investor einen Beleuchter gefunden, der Strom durch LAN-Kabel fließen lässt und Präsenzmelder in seine Leuchten integriert. Mit einer digitalen „Heat Map“ erhält der Investor beziehungsweise Betreiber so auch Informationen zur Belegung von Räumen sowie Daten für das Housekeeping und die Haustechnik. Die soll schließlich schon Wochen im Voraus melden, wenn eine Leuchte kaputtzugehen droht. „Am Ende soll eine kaputte Pumpe sich ihre eigene Rechnung schreiben“, nennt Klaus Dederichs ein digitales Fernziel. 


Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. „Dafür müssen die Hotels ‚digital ready‘ werden“, merkt Florvaag an. „Wir arbeiten derzeit an einer Standard-Baubeschreibung für innovative Gebäude“, sagt er; sie soll bis Ende 2019 fertig sein. Seine Liste der Digitalisierungsbausteine enthält überwiegend Funktionen, die mit Zutrittskontrolle, Gebäudesicherheit und dem Monitoring des Energieverbrauchs zu tun haben, aber auch ein paar Buchungsmodule für Meetingräume und Coworking Spaces. Was für Art-Invest innovativ ist, stößt in den Verhandlungen mit Hotelbetreibern unterdessen schnell auf Widerspruch: Vor allem US-Ketten möchten ihre eigenen Vorgaben umgesetzt sehen. Will Art-Invest zum Beispiel mehr Raum-Automation, sagt der Bettengigant Nein. Umgekehrt will eine Kette weltweit den Online-Check-in per App einführen, Art-Invest hingegen will weg von Apps: „Gäste sind nicht mehr markenloyal, weshalb sollen sie sich für jeden Aufenthalt in einer anderen Gruppe eine neue App herunterladen?“, fragt sich der Vielreisende Florvaag aus eigener Erfahrung. Martin Schaller von Union Investment betont: „Große Hotelkonzerne wie Marriott haben mit teilweise mehr als 100 Millionen Teilnehmern in ihren Kundenbindungsprogrammen ein enormes Potenzial, nutzerspezifische Daten zu sammeln und für personalisierte Services zu verwenden. Um im Wettbewerb zu bestehen und nicht weitere Anteile im Direktvertrieb zu verlieren, ist die Branche darauf angewiesen, diese Daten wie Gold zu behandeln.“ 


Ruby Hotels setzen auf Lean-Luxury-Konzepte und sind offen für den Service von Kooperationspartnern.
Gregor Hofbauer/Ruby Coco Hotel & Bar Düsseldorf

Mehrkosten und Mehrwert

„In Mixed Use stecken viele Hotel-(Service-)Gedanken“, merkt Erik Florvaag an. Hotels seien gedanklich und real oft schon viel weiter als Büros. Die Entwicklung von Gebäuden auf Basis von BIM (Building Information Modeling) bis hin zur Vernetzung mit dem passenden Hotel und dessen Gästen vollziehe sich in der Praxis allerdings sehr langsam, „aber es wird einen Schneeball-Effekt auslösen!“. Klaus Dederichs von Drees & Sommer beziffert die Mehrkosten für ein digitales Gebäude auf „3 bis 6 Prozent der Kosten des Gebäudes nach den üblichen (Hotel-)Standards“.


Digitales Engagement im Jahr 2019 wird kurzfristig vermutlich noch nicht in einen ROI umschlagen, mittelfristig aber hat es sicherlich eine Chance. Wer Innovatives anbietet, und das noch „on demand“, wird den Immobilienwert steigern und die kaufkräftigere Klientel gewinnen. Darin sind sich nicht nur die erwähnten Experten heute einig. „Aktuell kann man diesen Mehrwert noch nicht richtig verkaufen“, stimmt Florvaag aus eigener Erfahrung zu. Ein Grund: Alle kämpfen in Deutschland derzeit mit den hohen Baukosten, Mehrkosten durch Innovation akzeptieren die meisten Investoren da nicht mehr. Zudem geht es vielen wirtschaftlich noch (sehr) gut, weil sie ihre Projekte schon vom Reißbrett weiterverkaufen können. Weshalb sollte man da alte, erfolgreiche Arbeits-, Denk- und Profitmuster infrage stellen? 


Fortschrittliche Hotellerie

Die Entwickler und Bauherren des QO-Hotels in Amsterdam (es gehört zur Intercontinental Hotels Group) haben alles infrage gestellt. Das neue, smarte Hotel vernetzt Material, Ressourcen und die Hotelgäste mit der Nachbarschaft. Auch Nachhaltigkeit ist ein Teil des vernetzten Spiels: In seiner Tiefgarage befinden sich zehn Ladestationen für E-Autos und im EG gibt es ein Café mit lokalen Produkten sowie aus dem Gewächshaus auf dem Hoteldach. Insgesamt strebt das Haus 65 Prozent Energie-Ersparnis an.


Clevere Betreiber wie Ruby Hotels wissen: „Am Ende interessieren die Investoren nur die Effizienz unserer Prozesse und die damit verbundenen Kostenvorteile!“ Also konzipieren sie weiter und bleiben allem und jedem gegenüber offen. Die jungen „Disruptoren“ spornen die Betreiber an, die allein in ihrem operativen Terrain noch genug Monetarisierungsmöglichkeiten haben, zum Beispiel im Verkauf von mehr Tageszimmern, in einer Zweitnutzung des Frühstücksraums, der Bespielung von Lobbyflächen durch mehr Retail und in vielem mehr. Sollten sich die Partner auf der Investorenseite nicht bewegen, kann der flexible, „Schnittstellen-offene“ Betreiber künftig vielleicht nochmals punkten – indem er sich die Investoren aussucht, passend zu den eigenen innovativen Konzepten. 


Großes Lob erntet die Hotellerie vom Zentralen Immobilien Ausschuss ZIA. Geschäftsführer Klaus-Peter Hesse beurteilt die Branche auf dem Weg zur Digitalisierung als „wesentlich fortschrittlicher“ als andere Assetklassen, vor allem im Vergleich zum „gefühlt langsamen Wohnungsmarkt“. Hotels kümmern sich schon lange um zentrale und vernetzte Steuerungen im Back of the House, und sie sind schon sehr lange dem internationalen elektronischen Vertrieb (OTAs) ausgesetzt. „Sie wissen, wie hart umkämpft ihr Markt ist“, sagt er – und ist froh darüber, dass Handel und Logistik durch den Onlinedruck ebenfalls über Flächenoptimierung, Onlineverkauf und modifizierte Konzepte on- und offline sprechen.


Von Maria Pütz-Willems


Titelbild: Art-Invest Real Estate/ACCUMULATA Real Estate

Mehr zu diesen Themen: