
Wie wichtig Immobilienresearch ist, haben Investoren, aber auch Finanzmarktregulierer längst erkannt. Dennoch bleiben die Beschaffung und die Auswertung von Daten ein schwieriges Unterfangen.
Amerika, du hast es besser. Eine kurze Google-Suche und schon öffnet sich eine Liste aller Immobilienverkäufe in Manhattan zwischen Juli 2018 und Juni 2019. Auf 242 Seiten ist dort vermerkt, wann was wo zu welchem Preis den Eigentümer wechselte.
Beispiel gefällig? Am 10. Juni 2019 wurde das Bürogebäude 22 West 38th Street zum Preis von 60,5 Millionen US-Dollar verkauft. Und das ist noch nicht alles: Wir erfahren, dass das Gebäude über 60.000 Quadratfuß (etwa 5.600 Quadratmeter) Nutzfläche verfügt und auf einem 4.938 Quadratfuß (rund 460 Quadratmeter) großen Grundstück steht, 1912 erbaut wurde und 20 gewerbliche Mieteinheiten umfasst.
Die gleichen Infos gibt es für Wohnungsverkäufe: Am 11. März 2019 zahlte ein Käufer 5.203.258 Millionen US-Dollar für das 1.650 Quadratfuß (umgerechnet etwa 153 Quadratmeter) große Apartment 26A in der 16 West 40th Street, Baujahr 2015. Nach einem weiteren Klick ist klar: Es handelt sich um ein Domizil im The Bryant, dem ersten von Stararchitekt David Chipperfield entworfenen Wohnturm in New York.
Kaufpreisdaten und Datenschutz
Nicht nur für private oder professionelle Immobilienkäufer und -eigentümer, auch für Statistiker in Behörden, bei privaten Analysehäusern oder den großen Investmenthäusern sind solche Daten ein Traum. In Deutschland – wie auch den meisten anderen europäischen Ländern – wird er es vorerst bleiben. Zwar werden Kaufpreisdaten aus erster Hand auch hierzulande gesammelt, nur ist der Kreis derer, die sie zu sehen bekommen, ziemlich überschaubar. Zu den Eingeweihten gehören die über die ganze Republik verteilten Gutachterausschüsse für Grundstückswerte. Von den Notaren erhalten sie eine Kopie jedes Immobilienkaufvertrags in ihrem Zuständigkeitsbereich. Alle wertrelevanten Daten fassen sie in der sogenannten Kaufpreissammlung zusammen. Einziger Haken: Alle Angaben unterliegen dem Datenschutz.
Immerhin werden die Daten statistisch ausgewertet und die Ergebnisse in den Immobilienmarktberichten der lokalen Gutachterausschüsse veröffentlicht. Dies allerdings mit erheblicher zeitlicher Verzögerung: Häufig erscheinen die Marktberichte nur einmal jährlich.
Mehr denn je müssen Investitionsentscheidungen sorgfältig begründet sein. Gutes Research hilft, Ungewissheit und Risiken so klein wie möglich zu halten.
Das Wissen von Insidern ist gefragt
Um das tatsächliche Transaktionsgeschehen auf den lokalen oder – aggregiert – nationalen Immobilienmärkten aktuell zu verfolgen und abzubilden, sind also Insiderkenntnisse über eine ausreichende Anzahl von Immobilientransaktionen erforderlich. Auf den klassischen gewerblichen Immobilienmärkten für Büro- und Einzelhandelsobjekte leisten dies die großen internationalen Beraterhäuser. Ihre Marktanteile sind hoch, ihre Kenntnisse über Transaktionen entsprechend tief.
Tatsächlich, bestätigt Olaf Janßen, Leiter Immobilien Research bei Union Investment, „werden die meisten Daten heute von Maklern oder spezialisierten Instituten erhoben“. Die Qualität, so der Experte, habe sich im Lauf der Jahrzehnte deutlich verbessert. „Immobilienmarktresearch hat in Deutschland seit Anfang der 1990er-Jahre an Bedeutung gewonnen, parallel dazu hat sich die Markttransparenz in Deutschland spürbar erhöht“, lobt Janßen. Allerdings seien die von den verschiedenen Häusern publizierten Daten zu denselben Marktsegmenten und Zeiträumen nicht immer einheitlich.
Ein Problem, das die Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung (Gif) in Wiesbaden kennt und dem sie entgegenwirken will. Nicht nur hat sie in den vergangenen Jahren Definitionen für die wichtigsten Benchmarks wie Spitzenmiete, Spitzenrendite, Leerstand, aber auch der Berechnung von Flächen gesetzt, sie erstellt auch regelmäßig eine Konsensprognose zur künftigen Entwicklung auf den deutschen Büro- und Investmentmärkten. Dazu befragen die Kompetenzgruppe Immobilienmarkt-Research von Gif und dem Center for Real Estate Studies (CRES) an der Steinbeis-Hochschule in Berlin seit 2011 jedes halbe Jahr die Researcher deutscher und internationaler Immobilienunternehmen – darunter Dienstleister, Bestandshalter und Kreditinstitute – über ihre Einschätzungen zu Spitzenrendite und Leerstand an den deutschen Top-5-Bürostandorten.
Viele solcher Marktdaten sind öffentlich und kostenlos zugänglich – auch die Gif/CRES-Consensus-Büromarktprognosen. „Oftmals ist es aber auch notwendig, Geld in die Hand zu nehmen, um Marktdaten zu erwerben“, berichtet Union Investment-Researcher Janßen aus der Praxis. Das dürfte in Zukunft noch häufiger der Fall werden, meint er: „Bei den Maklern zeigt sich zunehmend die Tendenz, weniger Daten zu veröffentlichen und die erhobenen Daten stärker in Richtung Kundengewinnung und -bindung einzusetzen.“

Offizielle Statistiken haben Datenlücken
Wäre es da nicht eine Alternative, zumal für kostenbewusste Immobilientreuhänder wie Offene Immobilienfonds, auf offizielle Statistiken zurückzugreifen? Kaum, meint Olaf Janßen: „Nur wenige gewerbliche Immobilienmarktdaten stammen aus der offiziellen Statistik.“
Während etwa das Statistische Bundesamt wie auch die meisten seiner europäischen Pendants die Preisentwicklungen auf den nationalen – und zum Teil auch regionalen – Wohnungsmärkten sowie für Bauleistungen statistisch erfassen, fehlt ein ähnliches Instrument für die gewerblichen Bereiche noch weitgehend.
Ein Manko, das man international auf höchster politischer Ebene inzwischen erkannt hat – und für das man Abhilfe schaffen will. Katalysator ist die nach der Finanzmarktkrise der Jahre 2007 bis 2009 erzielte Einsicht, dass die Preisentwicklungen auf den gewerblichen Immobilienmärkten erhebliche Auswirkungen auf die Finanzstabilität haben – und daher die nationalen Entwicklungen genauer beobachtet werden müssen. 2013 einigten sich die Finanzminister der 20 wichtigsten Industriestaaten (G 20), deren Notenbanken, der Internationale Währungsfonds und das Financial Stability Board darauf, zusätzlich zu den bestehenden Indizes zur Preisentwicklung von Wohnimmobilien entsprechende Instrumente zur Beobachtung der Preise gewerblicher Immobilien zu entwickeln.

Benchmark auf EU-Ebene gilt als Mammutprojekt
In Europa arbeiten die europäische Statistikbehörde Eurostat, die Europäische Zentralbank und die jeweils nationalen Statistikbehörden und Notenbanken seither am sogenannten CPPI – dem Commercial Property Price Index. Ein Mammutprojekt – gilt es doch, die Daten aus den Mitgliedsländern so zu harmonisieren, dass sie auf EU-Ebene zu einer einzigen Benchmark zusammengeführt werden können. Immerhin: Seit 2017 liegt ein 200 Seiten starkes Arbeitspapier von Eurostat vor, in dem die Grundlagen zur Erhebung und Verarbeitung von Daten zu den gewerblichen Immobilienmärkten in den EU-Ländern festgehalten sind.
Jetzt sind die nationalen Statistikbehörden am Zug. Dort scheinen die Hürden noch hoch. So beklagen die Bundesbank-Statistiker Thomas A. Knetsch, Christine Schlitzer und Elena Triebskorn in einer Studie vom Januar 2019, dass die „offiziellen Statistiken nur teilweise in der Lage sind, die Forderung nach verlässlichen und verständlichen Informationen über Immobilienpreise zu liefern“. Zu groß sei immer noch die Datenlücke – und dies weit mehr für den Gewerbemarkt als für den Wohnungsmarkt. Noch immer sei kein Konsens über Datenquellen, Messgrößen oder die praktische Umsetzung erreicht, heißt es im Bundesbank-Papier.
Gutes Research reduziert Investmentrisiken
Dass verlässliche Immobilienmarktdaten ein Muss sowohl für die staatliche wie überstaatliche Finanzaufsichtsbehörden als auch für renditeorientierte Investoren sind, darüber gibt es indes keinen Dissens. „Ankaufsentscheidungen lassen sich mit von Researchern erhobenen Daten einfach besser treffen“, sagt Olaf Janßen. Nur auf dieser Basis ließen sich schließlich die Standortqualität, die Angemessenheit von Kaufpreis und Mietniveau, mögliche künftige Projektentwicklungen im Umfeld oder die Dauer bis zur Nachvermietung leer stehender Flächen beurteilen. Sein Credo lautet: „Mehr denn je müssen Investitionsentscheidungen sorgfältig begründet sein. Gutes Research hilft, Ungewissheit und Risiken so klein wie möglich zu halten.“
Von Anne Wiktorin