
Trotz wirtschaftlicher Eintrübung und Trend zum mobilen Arbeiten bleiben Büroflächen in Europa gefragt – allerdings nicht überall: Während ältere, peripher gelegene Objekte zu den Verlierern zählen, werden ESG-konforme Büroimmobilien in zentralen Lagen immer begehrter. Von Christian Hunziker
Auf den ersten Blick scheinen die Aussichten für Vermieter von Büroflächen trübe zu sein. Die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, die hohe Inflation und die innerhalb kurzer Zeit massiv gestiegenen Zinsen haben den wirtschaftlichen Aufschwung im Jahr 2022 ausgebremst und dafür gesorgt, dass Ökonomen für das laufende Jahr eine Rezession erwarten. Zahlreiche Unternehmen bleiben deshalb bei der Anmietung von Büroflächen zurückhaltend. Hinzu kommt, dass das Arbeiten außerhalb des eigentlichen Büros – sei es im Homeoffice, sei es an anderen Orten – in der Pandemie an Akzeptanz gewonnen hat.
Die logische Folge, so könnte man denken: Die Nachfrage nach Büroflächen bricht ein, und die Mieten sinken. Doch das ist keineswegs der Fall. „Trotz der zunehmenden wirtschaftlichen, finanziellen und geopolitischen Unsicherheiten weisen die Mietmärkte weiterhin eine sehr gute Dynamik auf“, stellt Laurent Boucher fest, Präsident von BNP Paribas Real Estate Advisory. Vorläufigen Zahlen seines Hauses zufolge hat sich der Vermietungsumsatz über alle europäischen Büromärkte hinweg im Jahr 2022 um fast 10 Prozent erhöht.

Die Renditespreizung zwischen Core und Non-Core wird zunehmen.
Das Büro bleibt für Austausch und Inspiration unverzichtbar
Auch die Mieten zeigen weiterhin Aufwärtstendenz: Nach Angaben von JLL stieg der europäische Büromietindex, der die Spitzenmiete abbildet, im dritten Quartal 2022 im Vergleich zum Vorquartal um 2,2 Prozent. 18 von 23 untersuchten europäischen Großstädten verzeichneten demnach eine Mietsteigerung.
Wie sind diese Zahlen zu erklären? Zum einen deutet vieles darauf hin, dass der zwischenzeitlich befürchtete Wirtschaftseinbruch ausbleiben wird. Für 2023 werde lediglich eine „sanfte“ Rezession erwartet, sagt Laurent Boucher und verweist auf Prognosen, wonach das Bruttoinlandsprodukt in der Eurozone im laufenden Jahr um 0,1 Prozent sinken wird.
Zum anderen scheint sich das zu Beginn der Pandemie entwickelte Szenario nicht zu bewahrheiten, dass der Wandel der Arbeitswelt klassische Büroflächen weitgehend überflüssig machen könnte. „Das Büro bleibt für soziale Interaktion, Kreativität, gegenseitige Inspiration und den persönlichen Austausch unverzichtbar“, betont Laurent Boucher. Zwar gebe es bei Banken, Versicherungen und anderen Großunternehmen tatsächlich die Tendenz, Büroflächen einzusparen; insgesamt werde aber der Abbau von Einzelarbeitsplätzen durch die Schaffung von größeren Meetingräumen und Gemeinschaftsflächen zumindest teilweise kompensiert. „In der Kombination von überwiegend ein bis zwei Tagen Homeoffice und gemeinsamer Vor-Ort-Präsenz“, ist der Researcher überzeugt, „wird das Büro auch weiterhin eine zentrale Funktion sowohl für die Unternehmen als auch für die Beschäftigten behalten.“
Trotz der zunehmenden wirtschaftlichen, finanziellen und geopolitischen Unsicherheiten weisen die Mietmärkte weiterhin eine sehr gute Dynamik auf.
Dass das Homeoffice an Bedeutung gewonnen hat, zeigt eine Befragung von Arbeitnehmern durch JLL. Demnach verbringen europäische Bürobeschäftigte im Durchschnitt derzeit drei Arbeitstage pro Woche im vom Unternehmen zur Verfügung gestellten Büro, während es vor der Pandemie 4,4 Tage waren. Die restliche Zeit sitzen die Mitarbeiter aber nicht zwingend im Homeoffice. Vielmehr werden auch sogenannte dritte Orte wie Coworking Spaces wichtiger. Die Immobilienberatungsgesellschaft Savills jedenfalls rechnet damit, dass sogenannte Flexible Workspaces in Europa perspektivisch einen Anteil von 20 Prozent aller Büroflächen haben könnten. Im ersten Halbjahr 2022 entfielen laut Savills immerhin etwa 5 Prozent des europäischen Büroflächenumsatzes auf diese Form der Büroarbeitsplätze, die zu flexiblen Konditionen und mit einer komplett ausgestatteten Büroinfrastruktur genutzt werden können.
Mietpreisdifferenzierung je nach Lage und ESG-Standard nimmt zu
Das ist nicht die einzige Änderung, die sich in der Bürowelt zeigt. Auch bei den bevorzugten Standorten treten erhebliche Verschiebungen zutage. „Gerade in den Innenstadtlagen sehen wir nach wie vor ein Interesse an hochwertigen Büroflächen“, sagt Marcus Lemli, Head of Investment Europe bei Savills. Das bestätigt Laurent Boucher von BNP Paribas Real Estate: Unternehmen suchten nach möglichst kompakten, modernen, flexiblen und mit zahlreichen Services ausgestatteten Büros, die sehr gut gelegen und an den ÖPNV angebunden sind. Die gleiche Beobachtung macht auch Sven Lintl, Leiter Asset Management Deutschland bei Union Investment: „Viele Mieter wollen sich diese hochwertigen, gut erreichbaren Büroflächen sichern, teilweise sogar erweitern“, sagt er. „Denn die nicht mehr wegzudenkende hybride Arbeitswelt drängt die Unternehmen, ihren Mitarbeitenden ein besonders attraktives Pendant zum Homeoffice zu bieten.“

Zahlen von BNP Paribas Real Estate belegen diesen Trend. Demnach erhöhten sich die Mieten für Prime-Büros im Lauf des Jahres 2022 in London um 6 Prozent und in Paris um 3 Prozent. Gleichzeitig weisen die meisten Central Business Districts sehr niedrige Leerstandsquoten auf – in München beispielsweise 1,2 Prozent, in Paris 2,5 Prozent und in Mailand 4,2 Prozent.
Umgekehrt haben es Büroflächen in dezentralen Lagen ohne Anbindung an Bus und Bahn zunehmend schwer. Das gilt umso mehr, wenn sie in die Jahre gekommen sind und nicht den Anforderungen an einen hohen Nachhaltigkeitsstandard genügen. Das Thema ESG sei nicht mehr wegzudenken, betont Alexander Fieback, Teamleiter Büroimmobilien beim deutschen Analysehaus bulwiengesa – und zwar nicht nur auf dem Investmentmarkt, sondern zunehmend auch bei Bürovermietungen. Dass Nutzer bereit sind, für gut gelegene, nachhaltige Büros mit hohem Ausstattungsniveau tiefer in die Tasche zu greifen, bestätigt Hela Hinrichs, Senior Director EMEA Research & Strategy bei JLL, wenn sie sagt: „Nachhaltigkeit und Energieeffizienz spielen inzwischen eine dominante Rolle bei der Flächenauswahl.“

Auswirkungen zeigen sich in Green Premium und Brown Discount
Hinrichs erwartet deshalb im laufenden Jahr in diesem Segment einen weiteren Mietanstieg, während in peripheren Teilräumen tendenziell mit wachsendem Leerstand und sinkenden Mieten zu rechnen ist. Die Folge benennt Laurent Boucher, wenn er von einer „stärkeren Segmentierung der Märkte in Gewinner und Verlierer“ spricht. Diese Spreizung ist auch für Investoren relevant. Laut dem „Real Estate ESG-Snapshot“ der Beratungsgesellschaft EY erwarten 93 Prozent der befragten Immobilienmarktteilnehmer zukünftig ein Green Premium, also einen Preisaufschlag für taxonomiekonforme Immobilien. Umgekehrt gehen 89 Prozent von einem Brown Discount aus, also einer Preisreduktion für Objekte, die unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten mangelhaft sind. „Die Renditespreizung zwischen Core und Non-Core“, folgert bulwiengesa-Experte Fieback, „wird zunehmen.“
Verstärkt wird diese Entwicklung, weil Projektentwickler als Folge der Zinswende und gestiegener Baukosten die Neubauaktivitäten deutlich zurückfahren. „Aufgrund absehbar gedämpfter Bauaktivität könnte sich die Knappheit im Spitzensegment noch verschärfen“, vermutet deshalb Savills-Investmentchef Marcus Lemli. Das dürfte die Mieten weiter nach oben treiben – und damit auch die Rendite für Investoren, die hochwertige Immobilien zu angemessenen Preisen eingekauft haben.
Von Christian Hunziker