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Auf der Suche nach dringend benötigten Lagerflächen für die letzte Meile im urbanen Raum zeigt sich die Branche erfinderisch. Von Isobel Lee
Der stationäre Handel hat seit einigen Jahren mit dem wachsenden Onlinehandel sowie zuletzt auch der weltweiten Pandemie stark zu kämpfen. Doch so schnell wie der Stern der Einzelhandelsimmobilien verblasste, ging für Logistikimmobilien die Sonne auf: Lagerhallen rücken zunehmend in den Fokus von Fonds und Projektentwicklern. Diese setzen angesichts steigender Nachfrage und des knappen Angebots auf Mietsteigerungen. Doch es fällt nicht nur den Nutzern, sondern auch Investoren bei dem derzeit intensiven Wettbewerb und den hohen Preisen schwer, geeignete Objekte im gewünschten Volumen zu finden.
Einige Fonds ziehen den Radius weiter und wenden sich von den besonders begehrten Segmenten wie zum Beispiel zentral gelegenen Logistikstandorten für die letzte Meile ab. Diese Strategie verfolgt unter anderem die 2021 gegründete britische Tochter des US-Unternehmens Ardent. Dazu Geschäftsführer Richard Benson: „Spezialisten wie der Blackstone-Tochter Mileway und der Crossbay-Plattform von Mark überlassen wir im Wettbewerb um hochpreisige Objekte für die letzte Meile generell gern das Feld. Wir konzentrieren uns auf Nutzer, die kleinere Lagerflächen an gut erreichbaren Standorten, nicht aber zwangsläufig in Toplagen benötigen. Auch solche Lagerflächen sind für uns als Investor interessant.“
Was aber nicht bedeutet, dass Ardent das Thema urbane Logistik ganz meidet. Da sich auch Einzelhandelsimmobilien in seinem Portfolio befinden, setzt das Unternehmen auf innerstädtische Hybridstandorte, die gleichermaßen Platz für Einzelhandel und Logistik bieten. Der Kauf des Einkaufszentrums Touchwood in Solihull, West Midlands, im vergangenen Sommer habe nichts mit der schwierigen Lage des Einzelhandels zu tun, so Benson weiter. „Es handelt sich vielmehr um eine erfolgreiche Einzelhandelsimmobilie, deren Wert wir durch zusätzliche Gastronomie- und Freizeitangebote sowie durch ein Dark-Kitchen-Konzept oder andere urbane Logistikelemente weiter steigern wollen“, erklärt er.
Auch andere Investoren – und Stadtplaner – sind der Meinung, dass eine Mischnutzung mit Logistikanteil sinnvoller wäre als die Verdrängung von innerstädtischen Einzelhändlern zugunsten von Paketdiensten oder Warenlagern.
Dark Kitchen
Ohne Sitzplatz und Service produziert eine Dark Kitchen ausschließlich für Lieferdienste. Das bietet Vorteile: Die Produktionskapazitäten von Restaurants werden nicht blockiert, die Lieferung ist schnell und der Umsatz höher.
Herausforderungen der letzten Meile selektiv und innovativ lösen
In den USA hat Amazon bereits ganze Shoppingmalls in Logistikzentren umgewandelt. Möglich waren diese Projekte dadurch, dass es sich um verkehrsgünstig gelegene Standorte mit geringer Baudichte handelt. Und auch weil der dortige Einzelhandel in einer schweren Krise steckt. „In den europäischen Stadtzentren ist die Situation komplizierter“, meint Cristina García-Peri, Leiterin Geschäftsentwicklung & Strategie bei der europäischen Private-Equity-Immobiliengesellschaft Azora. Das Unternehmen verfolgt in Spanien und Portugal bereits erfolgreich eine Umnutzungsstrategie für die letzte Meile.
Azora sucht gezielt nach gut geeigneten Standorten in 10 bis 15 Kilometer Entfernung von der Innenstadt, die für Logistikdienstleister und Lieferdienste (Stichwort Dark Kitchen) noch praktikabel sind. Darüber hinaus interessiert sich das Unternehmen für Einkaufszentren mit günstigen Quadratmeterpreisen und einfacher Lagerinfrastruktur, die das Potenzial für Hybrid-Logistiklösungen haben.
Neue Logistik-Dimensionen: mehrstöckig, unterirdisch, hybrid, nachhaltig
Dabei sei ein selektives Vorgehen erfolgsentscheidend, meint García-Peri. „Manche Standorte wie etwa Parkhäuser oder Einkaufsmeilen mögen interessant erscheinen, aber erstens sind die entsprechenden Grundstücke baurechtlich nicht für Logistikbetriebe zugelassen und zweitens fehlt es zumeist an der notwendigen Infrastruktur“, so die Expertin. „Die Standorte müssen eine gute Verkehrsanbindung haben und auch von großen Lkw problemlos angefahren werden können. Ladetore werden benötigt, außerdem müssen die Anwohner vor Lärm, Verkehr und Umweltverschmutzung geschützt werden.“
Auch Industrieimmobilienspezialist Segro geht neue Wege im urbanen Raum: In Frankreich betreibt das Unternehmen mehrstöckige sowie unterirdische Lager. So wurde vor den Toren von Paris das zweistöckige Lager Air2 Logistique für Ikea und Leroy Merlin errichtet. Die neueste unterirdische Lösung liegt dagegen in Bestlage mitten in der Metropole: Gemeinsam mit dem französischen Büroimmobilienspezialisten Icade nimmt Segro eine Umgestaltung des ehemaligen Güterbahnhofs Les Gobelins vor. Entstehen sollen moderne Büros und ein unterirdisches Logistikzentrum für die letzte Meile. Laurence Giard, Geschäftsführerin bei Segro France, gibt zu bedenken, dass der Bau eines völlig neuen unterirdischen Lagers wegen der umfangreichen Ausschachtungsarbeiten extrem kostspielig sei. Für das Projekt im 13. Arrondissement konnten vorhandene Strukturen unter dem früheren Bahnhof genutzt werden.
Das in die Jahre gekommene Einkaufszentrum Les Olympiades wird gleichzeitig durch zwei Bürogebäude in Holzständerbauweise sowie Gärten, Gewächshäuser und Sportplätze ersetzt. Das Logistikzentrum für die letzte Meile wird das urbane Umfeld mittels umweltfreundlicher Mobilitätslösungen wie etwa Elektrofahrzeugen und Lastendreirädern versorgen. Recyclingzentren und Reparaturwerkstätten sollen den Standort zusätzlich aufwerten.
Experten gehen teilweise sogar davon aus, dass Lagerzentren aufgrund der Bodenknappheit künftig unter Wasser oder in der Luft entstehen werden.
Auch große Logistikunternehmen suchen nach passenden Lösungen. So hat im vergangenen Jahr Amazon seine europäischen Pläne für die letzte Meile vorgestellt, die in Zusammenarbeit mit örtlichen Projektentwicklern umgesetzt werden. Betreiber der Immobilien ist Amazon Logistics (AMZL).
Mit AMZL will Amazon von Zustelldiensten und deren Preispolitik unabhängig werden. Neue Standorte sind bereits in Großbritannien, Deutschland, den Niederlanden und Italien entstanden. So hat im November 2021 der Immobilienkonzern Goodman das neue Logistikzentrum Pioltello bei Mailand fertiggestellt, von dem aus Amazon 2,5 Millionen Kunden binnen 30 Minuten erreichen will. Mit Fotovoltaikdächern und Elektrofahrzeugen von Mercedes-Benz und Rivian besticht der Standort durch seine Umweltbilanz.
Warenverfolgung und Standortauslastung mit digitaler Technik optimieren
Vor dem Hintergrund anhaltender Lieferkettenprobleme, des Arbeitskräftemangels und der Flächenknappheit können innovative Technologien einen wertvollen Beitrag leisten. Bei einer überzeichneten Seed-Funding-Runde der amerikanischen Lagerverwaltungsplattform Fulfilld, die von Pi Labs und dem ehemaligen Amazon- CEO Jeff Wilke angeführt wurde, kamen im vergangenen Jahr 2,5 Millionen US-Dollar zusammen. Das allein zeigt schon, welche Dynamik zurzeit in diesem Segment steckt. Die Fulfilld-Software unterstützt Betreiber bei der Optimierung der Warenverfolgung und der Auslastung von Standorten und ermöglicht unter anderem auch die Einbindung von Mitarbeiter-Wearables.
Zain Jaffer, Partner und Investmentmanager bei Blue Field Capital, erklärt: „Logistikzentren setzen heute smarte
Technologien für die Analyse des Verbraucherverhaltens ein, um so die Bestandsverwaltung optimieren zu können. KI-basierte Steuerungssysteme optimieren die Abläufe im Wareneingang und -ausgang auch bei steigenden Umschlagmengen.“
Schon heute bekommen einige Verbraucher ihre Lebensmittel mittels Drohnen geliefert. Und damit sind die technischen Möglichkeiten noch längst nicht ausgereizt. „Experten gehen teilweise sogar davon aus, dass Lagerzentren aufgrund der Bodenknappheit künftig unter Wasser oder in der Luft entstehen werden“, so Jaffer. Man darf gespannt sein.
Von Isobel Lee