
Infolge der Covid-19-Pandemie sank das Transaktionsvolumen am europäischen Immobilieninvestmentmarkt 2020 gegenüber dem Vorjahr um 27 Prozent auf knapp unter 255 Milliarden Euro. Doch die Einbußen waren nicht überall gleich zu spüren. Von Steve Hays
Die Lockdowns und Kontaktbeschränkungen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie haben die europäischen Volkswirtschaften in die tiefste Krise seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre gestürzt. Gleichwohl blieben die Preise in allen Sektoren des Immobilienmarktes erstaunlich stabil, ganz anders als in der globalen Finanzkrise vor gut zwölf Jahren, als die Bewertungen marktweit einbrachen. „Die Liquidität am Markt ist auf das Niveau der Finanzkrise 2008 gesunken. Gleichzeitig klafft in den besonders stark betroffenen Sektoren sowie an Sekundärstandorten die Schere zwischen den Preiserwartungen von Käufern und Verkäufern weiter auseinander. Weniger stark betroffene Sektoren und Assets hingegen sind bislang weitgehend unbeschadet durch die Pandemie gekommen“, erklärt Tom Leahy, Senior Director EMEA Analytics bei Real Capital Analytics (RCA).
„Wir befinden uns in der merkwürdigen Lage, dass die Renditen zwar stabil bleiben, die Liquidität aber zurückgeht. Bei den zurzeit getätigten Transaktionen ist nach wie vor eine marktgerechte Preisbildung gegeben. Zugleich führt die nachlassende Marktdynamik zu einer rückläufigen Liquidität. Speziell bei Sekundär- und Tertiärlagen bewegen sich Käufer und Verkäufer aufgrund der höheren Risiken immer weiter auseinander. Hochpreisige Assets werden immer teurer, die günstigen immer günstiger. Aber die Situation ist nicht mit der Finanzkrise vergleichbar, als der gesamte Markt sich preislich in dieselbe Richtung entwickelte. Heute spielen andere Faktoren eine Rolle, die sich unterschiedlich auf die Preisentwicklung in den einzelnen Sektoren und Marktsegmenten auswirken“, so Leahy.

Wir befinden uns in der merkwürdigen Lage, dass die Renditen zwar stabil bleiben, die Liquidität aber zurückgeht.
So verzeichneten die größten europäischen Gewerbeimmobilienmärkte im vergangenen Jahr nach wie vor eine höhere Liquidität als die Märkte in Amerika und Asien-Pazifik. Laut RCA Global Liquidity Scores entfallen auf Europa 14 der 30 liquidesten Märkte der Welt. Das internationale Ranking wird seit Anfang 2020 von der Pariser Innenstadt angeführt, obwohl die Liquidität in der französischen Hauptstadt gegenüber dem Vorjahr um 3,1 Prozent zurückgegangen war. Berlin lag weltweit auf Platz zwei. Auch hier war die Liquidität im Vergleich zum vierten Quartal 2019 um 4,4 Prozent gesunken. In den USA fiel der Wert für Manhattan im vierten Quartal 2020 um 8,1 Prozent auf ein Zehn-Jahres-Tief. Laut Leahy konnten sich die europäischen Immobilienmärkte 2020 deutlich besser behaupten als in der Finanzkrise, nachdem die Zentralbanken und Regierungen mit massiven geld- und steuerpolitischen Maßnahmen gleich zu Anfang der Pandemie für eine Beruhigung der Finanzmärkte und eine Dämpfung der steigenden Renditen von Staats- und Unternehmensanleihen gesorgt hatten. „Außer in bestimmten Branchen wie etwa dem ohnehin weniger beliebten Einzelhandel ist der Druck bislang nicht sehr groß. So beliefen sich die Transaktionen am europäischen Immobilienmarkt im besonders schwachen dritten Quartal 2020 auf insgesamt 48 Milliarden Euro. Am Tiefpunkt der Finanzkrise im zweiten und dritten Quartal 2009 hatte das Transaktionsvolumen dagegen bei lediglich 17 beziehungsweise 19 Milliarden Euro gelegen. RCA hat die Entwicklung der Immobilienpreise in den USA seit den 1950er-Jahren analysiert und dabei festgestellt, dass Konjunktureinbrüche nicht zwangsläufig zu einem deutlichen Preisverfall führen. Im Regelfall muss noch ein weiterer Faktor hinzukommen, wie etwa eine größere Krise des Finanzsektors oder ein massives Überangebot wie in den 1980er-Jahren“, so Leahy weiter.

Zusammenhang zwischen Lockdown und Transaktionsvolumen
Im Frühjahr 2020 war in allen Immobilienmärkten Europas ein Zusammenhang zwischen Transaktionsvolumen und den ersten Lockdowns zu beobachten. So gingen meist etwa fünf bis sechs Wochen nach Einführung der Abstands- und Hygieneregeln die Aktivitäten zurück, wie die RCA-Daten belegen. Nur die Niederlande bildeten eine Ausnahme: Dort ging das Transaktionsvolumen erst acht bis neun Wochen nach Beginn des Lockdowns zurück. Dabei bestand eine starke Korrelation zwischen der Stringenz der Kontaktbeschränkungen und den Marktauswirkungen.
Während der ersten Infektionswelle in Spanien kam es zu besonders drastischen Einbrüchen, in Deutschland aber nur zu einem geringen Rückgang der Transaktionen (siehe die Grafiken links). Der Umfang der staatlichen Wirtschaftshilfen (Stichwort: Kurzarbeitergeld) war ebenfalls mit ausschlaggebend für die Stabilisierung der Immobilienmärkte: Als größte Volkswirtschaft Europas konnte Deutschland weitaus größere Hilfen bereitstellen als etwa die strauchelnden Volkswirtschaften Spaniens und Italiens.
Unter den 20 führenden Märkten konnten nur Norwegen und Dänemark 2020 einen Anstieg des jährlichen Transaktionsvolumens gegenüber dem Vorjahr verzeichnen. In beiden Fällen dürften die weniger strengen Lockdown-Maßnahmen eine Rolle gespielt haben. Angesichts der internationalen Reisebeschränkungen scheint der norwegische Markt auch von seinem starken Inlandsfokus profitiert zu haben. In Dänemark fällt auf, dass sich ein Großteil der Aktivitäten auf den gefragten Wohnungsmarkt konzentrierte. In den Niederlanden, wo der Wohnimmobilienmarkt ebenfalls von den Anlegern favorisiert wurde, brach das Gesamttransaktionsvolumen 2020 hingegen um etwa 30 Prozent ein, das heißt, am Marktfokus allein liegt es nicht.
Im Laufe der Pandemie wurde immer deutlicher, wie Covid-19 den europäischen Immobilieninvestmentmarkt aufmischt: Supermärkte und Lebensmittelgeschäfte, Wohnungen, Projektentwicklungen, Industrie-/Logistikimmobilien und Studentenwohnheime sind gefragt; bei Büroimmobilien in Innenstadtlage gingen die Transaktionen geringfügig zurück, bewegten sich aber noch im Mittelfeld.
Andere Bereiche des Einzelhandelsimmobilienmarkts brachen zusammen mit Hotels massiv ein. Dazu RCA-Experte Leahy: „Das Transaktionsvolumen bei Projektentwicklungen ging im Jahresvergleich um lediglich 11 Prozent zurück. Der Bereich Neubau bleibt mit Schwerpunkt auf die besonders positiv eingeschätzten Nutzungsarten Wohnen und Industrie gefragt. Es gibt aber auch Märkte und Sektoren, die geradezu stillgelegt sind, sodass sich aus den Daten eine klare Hierarchie ergibt.“
Wir haben uns 2020 in Europa 62 erstklassige Gewerbeimmobilien im Wert von 4,1 Milliarden Euro sichern können. Unter den erschwerten Bedingungen der Pandemie ist das ein sehr gutes, aber auch hart erkämpftes Ergebnis. Das Deal-Making in der Krise bleibt 2021 weiterhin extrem herausfordernd – vor allem in den Ländermärkten außerhalb Europas.
Großer Rückgang beim Transfer von Einzelhandelsimmobilien
In Einzelhandelsimmobilien wird nur noch vereinzelt investiert. So erwarb etwa Aviva ein High-Street-Objekt in Kopenhagen und Unibail-Rodamco-Westfield veräußerte Anfang 2020 fünf französische Einkaufszentren. Dennoch sank das Investitionsvolumen 2020 auf das niedrigste Niveau seit 2009. Immer häufiger ist von einer Umnutzung von Einzelhandelsimmobilien etwa in Wohnraum oder Logistikflächen zu hören. Doch das betrifft weniger als 2 Prozent des gesamten Verkaufsvolumens am Einzelhandelsimmobilienmarkt, denn derartige Projekte sind oft problematisch.
Im Vergleich dazu wurden hochkarätige Transaktionen am europäischen Büroimmobilienmarkt mit robusten Renditen von knapp unter 3 Prozent getätigt. Union Investment erwarb im Mai 2020 das Ericus-Contor in Bestlage von Hamburg. In diesem Marktsegment gibt es kaum Anzeichen für ein Überangebot, nicht einmal im Brexit-gebeutelten Londoner Stadtzentrum.
„Investoren setzen nach wie vor auf Immobilien, weil sich im Vergleich zu anderen Assetklassen in bestimmten Sektoren und an bestimmten Standorten nach wie vor attraktive Renditen erzielen lassen. Auch wenn es 2021 infolge der Pandemie zu einer Krisensituation kommen sollte, wird diese wahrscheinlich nicht lange anhalten. Schließlich ist genug Kapital vorhanden, das nur darauf wartet, investiert zu werden“, so Tom Leahy.
Von Steve Hays