Städte als Rohstofflager

„Urban Mining“ kann die CO2-Bilanz von Immobilien enorm verbessern und Ressourcen schonen. Vorausgesetzt, die in Gebäuden verbauten Stoffe sind dokumentiert und sortenrein recycelbar. Von Birgitt Wüst

Jahr für Jahr zieht es mehr Menschen in die urbanen Ballungsräume. Der Trend zur Verstädterung ist ungebrochen, führt zu einem rasanten Bauboom und bringt große Herausforderungen mit sich – insbesondere mit Blick auf den Klimawandel und den Umgang mit den immer knapper werdenden natürlichen Ressourcen. Immobilien spielen dabei eine zentrale Rolle: Das Bauwesen ist nicht nur verantwortlich für ein Viertel aller CO2-Emissionen, es zählt auch zu den ressourcenintensivsten Wirtschaftssektoren. Es müssen somit rasch Möglichkeiten gefunden werden, den Ressourcenverbrauch stark zu drosseln. 


Der Weg von der einfachen „Mine“ zum dokumentierten Lagerplatz

Ein vielversprechender Lösungsansatz ist das sogenannte Urban Mining. In Immobilien, respektive ihrer Bausubstanz, sind riesige Mengen an Rohstoffen gespeichert, deren Wert stetig steigt. Um im Bild zu bleiben: Gebäude sind „Minen“, aus ihrem Rückbau können Sekundärrohstoffe „geschürft“ werden. Um welche Größenordnungen es dabei geht, hat Matthias Heinrich, Teamleiter des Unternehmens EPEA, für den Münchner Stadtteil Freiham berechnet: In rund 2.400 Gebäuden sind dort circa 2,2 Millionen Tonnen Rohstoffe gespeichert, ein Großteil davon mineralische Baustoffe wie Zement; hinzu kommen 110.000 Tonnen Metalle im Wert von 20,4 Millionen Euro.


Materialausweis

Ein Material-Ausweis für Gebäude oder ein Kataster für die in Immobilien verbauten Materialen sollen dafür sorgen, das nachfolgende Generationen die Rohstoffe besser wiederverwerten können.

Allerdings hält sich das „Schürfen“ bisher noch in engen Grenzen und ebenso der Gewinn aus den „Minen“. Denn viele der verbauten Stoffe können nach Ende des Lebenszyklus eines Gebäudes in der Regel nur in minderwertiger Funktion erneut zum Einsatz kommen – etwa als Bauschutt, der beim Straßenbau zum Stabilisieren verfüllt wird. „Nach einem Abriss nach einer durchschnittlichen Lebensdauer von 80 Jahren können die Baustoffe nicht mehr sortenrein zurückgewonnen werden“, sagt Dierk Mutschler, Vorstand von Drees & Sommer. Der Grund: „Architekten und Bauherren entwerfen Gebäude vor allem mit Blick auf den Nutzen oder ästhetische Vorstellungen, ohne zu planen, wie sie nach einer Nutzung in vielleicht 100 Jahren einmal recycelt werden können.“ In der Praxis werde „Urban Mining“ daher bislang noch selten genutzt, berichtet Beate Lichner (MRICS), Geschäftsführerin von Lichner Projects, aus ihrer Erfahrung mit großen Projektentwicklungen in Deutschland und der Schweiz. „Mit Blick auf die Vergangenheit kann Urban Mining keine sehr große Rolle spielen – dafür aber umso mehr in der Zukunft.“ Die verbauten Rohstoffe zu erfassen, höherwertiger zu recyceln und möglichst ohne weiten Transport wieder zu nutzen, könnte ein Weg sein, das Volumen von CO2-Emissionen zu senken und Ressourcen zu schonen, ist Dierk Mutschler überzeugt. Drees & Sommer setzt deswegen auf einen Material-Ausweis für Immobilien, mit dem Ziel, für die nächsten Generationen zu dokumentieren, was wo verbaut ist. 


Wenn Materialien eine Identität haben, können sie niemals mehr als Abfall in der Anonymität verschwinden.
Marloes Fischer Geschäftsführerin, Madaster Services Schweiz

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Madaster, eine Schweizer Onlineplattform für zirkuläres Wirtschaften in der Bau-, Immobilien- und Abfallwirtschaft, die aktuell auch in Deutschland etabliert wird. Im Prinzip handelt es sich – daher auch der Name – um ein Kataster für die in Immobilien verbauten Materialien. „Unsere Aufgabe ist es, Materialien für immer verfügbar zu machen, indem wir ihnen eine Identität geben“, erklärt Marloes Fischer, Geschäftsführerin von Madaster Services Schweiz, das ursprünglich in den Niederlanden entwickelte Grundprinzip.„Wenn Materialien eine Identität haben, können sie niemals mehr als Abfall in der Anonymität verschwinden. Jedes Gebäude wird zu einem Depot von Materialien mit einem bestimmten Wert.“ Alle ressourcenrelevanten Daten von Bauwerken werden in einer Art Onlinegrundbuch erfasst, strukturiert und in sogenannten Materialpässen auch als PDF übersichtlich bereitgestellt.


„Damit erhalten Bauherren oder auch die späteren Hauseigentümer vollständige Transparenz über den finanziellen und kreislaufwirtschaftlichen Wert sowie die Qualität der im Gebäude verbauten Materialien und Produkte“, sagt Fischer. „So lassen sich Rückbau, Neubau und Facility Management besser zirkulär organisieren und aufeinander abstimmen. Das Gebäude wird zu einem dokumentierten Lagerplatz für Materialien.“ Nicht nur in der Schweizer Bau- und Immobilienwirtschaft, wo namhafte Branchenteilnehmer wie unter anderem Raiffeisen, Swiss Re und Swiss Prime Site zu den Protagonisten zählen, kommt das Projekt gut an. Inzwischen gibt es auch in Deutschland, im UK, in Kanada, Taiwan und Australien Pilotprojekte zum Aufbau der Madaster-Plattform und zur Gestaltung eines Materialpasses, der Marktstandard werden soll.


Urban Mining in Zahlen:

Allein im Münchner Stadtteil Freiham sind in rund 2.400 Gebäuden circa 2,2 Millionen Tonnen Rohstoffe gespeichert.

Die Weichen für eine echte Kreislaufwirtschaft müssen gestellt werden

Die Voraussetzungen für den durchschlagenden Erfolg, so Jan von Mallinckrodt, Head of Sustainability bei der Union Investment Real Estate GmbH, müssten jedoch noch geschaffen werden. „Konkret bedeutet dies, dass neben fehlenden Prozessen und technischen Möglichkeiten das Recycling finanziell attraktiv werden müsste. Zudem sollte bereits im Bau die Verpflichtung bestehen, auf Trennbarkeit und Recycelbarkeit der Materialien zu achten“, so von Mallinckrodt. Für den Bestand sei zudem die Entwicklung neuer Technologien hinsichtlich Trennung und Wiederverwendung von Baustoffen notwendig. „Neben allen am Bau Beteiligten ist somit auch der Regulator gefordert, die Weichen für echte Kreislaufwirtschaft zu stellen.“


Von Birgitt Wüst


Titelbild: Zooey Braun

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