
Mischnutzungskonzepte wollen gut durchdacht sein. Voraussetzung ist ein tiefgreifendes Wissen über die aktuellen Trends der Stadtentwicklung, wobei Eigentümer das erforderliche Handwerkszeug zum Teil bereits besitzen. Von Isobel Lee
Auch wenn die Single-Use-Immobilie nach wie vor einen festen Platz in der Gewerbeimmobilienlandschaft hat, erhält sie immer stärker Konkurrenz durch Mischnutzungskonzepte. Derartige Angebote befriedigen mehr Kundenbedürfnisse und schaffen im urbanen Raum oftmals interessante Synergien. Dabei kommt es nicht nur auf das richtige Mischungsverhältnis an. Vielmehr gilt es, ganze Ökosysteme zu schaffen und neue Konzepte für Arbeiten, Wohnen und Freizeit am selben Ort umzusetzen. „Unterschiedliche Nutzer einfach wahllos in einem Objekt unterzubringen, ist nicht zielführend“, erklärt Thierry Cahierre, Head of Global Asset & Development Management bei Redevco. „Interessenten wollen heute wissen, wer die anderen Mieter sind und welche Möglichkeiten im Objekt vorhanden sind. Die Zeiten reiner Büro-, Einzelhandels- oder Wohnprojekte sind vorbei.“
Henrie W. Kötter, Managing Director Work & Live bei ECE, teilt diese Einschätzung. „Es gibt keine Universallösung. Jede Situation muss eigens intensiv geprüft und das Umfeld nach Versorgungslücken analysiert werden“, stellt er fest. Dazu Martin Schellein, Leiter Investment Management Europa bei Union Investment: „Ein gelungenes Mischnutzungskonzept ist mehr als die Summe seiner Teile. Es gilt, Synergien zwischen den Nutzungsarten auszuschöpfen und die Immobilie zu einer 24/7-Destination zu machen.“ Ende 2019 erwarb Union Investment die gemischt genutzte Immobilie Mercury Helsinki, die im Zentrum der finnischen Hauptstadt Büronutzung und Einzelhandelsflächen unter einem Dach vereint. Ankermieter ist die Modekette Zara, die wichtigsten Büromieter sind die bonitätsstarken Firmen EQ und OP Financial Group. Der Hamburger Immobilienmanager investiert auch in das spannende Four-Projekt in Frankfurt am Main. Dort entsteht unter anderem ein 100 Meter hoher Büroturm mit attraktivem Einzelhandelsangebot im Erdgeschoss.
Ein gelungenes Mischnutzungskonzept ist mehr als die Summe seiner Teile. Es gilt, Synergien zwischen den Nutzungsarten auszuschöpfen und die Immobilie zu einer 24/7-Destination zu machen.
Konzepte für gemischte Nutzungen überzeugen Städte und Investoren
Laut Shoppingcenter-Verband ICSC ist der Handel oft die Schlüsselkomponente bei städtischen Konzepten, da er die meisten Synergien mit anderen Assetklassen bietet. Inzwischen kommen auch neue Kombinationen vor. So hat die in Lissabon ansässige Immobiliengesellschaft Sonae Sierra erfolgreich auf die Wellness-Welle gesetzt und mehrere Krankenhäuser und Gesundheitskliniken in ihre Einkaufszentren integriert. Aber erst das Wohnen sorgt für eine Belebung von Mischnutzungskonzepten und Quartieren. Planungsvorgaben zur Bekämpfung der Wohnraumknappheit spielen hier eine Rolle. Mit den spektakulären Y-Towers entwickelt Union Investment in Amsterdam einen 101 Meter hohen Wohnturm mit 174 Wohnungen. Im Hotelturm daneben entsteht ein Kongresshotel der Marke Maritim mit 579 Zimmern.
Die Nutzerbedürfnisse lassen sich nur anhand einer individuellen Standortanalyse klären. Darüber hinaus sind jedoch auch Megatrends im Spiel. Die Städte ziehen immer mehr Menschen an: Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge wird die Zahl der Millionenstädte weltweit bis 2030 auf 662 steigen, gegenüber 467 im Jahr 2015. Diese Entwicklung verstärkt den Druck auf Wohnungsmarkt und Verkehrswesen. Immer weniger Menschen besitzen ein eigenes Auto. Stattdessen stehen urbane Wohnorte mit guter Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr hoch im Kurs. Noch besser: Es steht ein breit gefächertes Angebot gleich vor der Haustür zur Verfügung. „Eine Mischnutzung, die Arbeiten und Wohnen vereint, bietet einen höheren sozialen Nutzen. Sie trägt zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts bei“, meint Antonio López, Senior Architect TTDesign / Multi Corporation. Multi Corporation baut seit mehr als 40 Jahren gemischt genutzte Immobilien und hat erst kürzlich das Forum Rotterdam fertiggestellt. Das große Stadtentwicklungsprojekt im Herzen der Hafenstadt umfasst Einzelhandel, Gastronomie, Fitnessstudios, Büros und Wohnungen auf einer Fläche von insgesamt 64.000 Quadratmetern. In Lille wird zurzeit unter Federführung von Redevco ein Einzelhandelsobjekt in die Mischnutzung überführt. Im Rahmen des Projekts „Le 31“ sind 2.400 Quadratmeter für den Einzelhandel, 1.700 für die Gastronomie, 5.200 für Freizeitangebote und 8.000 Quadratmeter für Büroflächen sowie einen Unofi-Coworking-Space vorgesehen. Darüber hinaus entstehen ein Okko-Hotel mit 120 Zimmern sowie 600 Stellplätze. Das Fazit von Thierry Cahierre: „Die Gastronomie- und Freizeitangebote, die die Mieter in ihrer unmittelbaren Umgebung vorfinden, machen daraus ein schlüssiges Gesamtkonzept.“
Die Zeiten reiner Büro-, Einzelhandels- oder Wohnprojekte sind vorbei.
Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und weitere Angebote bieten viele Synergien
Die finanziellen Vorteile dieser Konzepte liegen auf der Hand. „Investoren können mit Mischnutzungskonzepten die Risiken senken, indem sie auf mehrere Assetklassen und Mieteinnahmequellen setzen“, so Antonio López von Multi Corporation. Abgesehen von der immanenten Absicherung durch Diversifizierung besteht bei gemischt genutzten Objekten ein Trend zur zunehmend vertikalen und innovativen Ausnutzung von Grundstücken. Der Investor Mark, ehemals Meyer Bergman, setzt seine urbane Mischnutzungsstrategie in zahlreichen innerstädtischen Konversionsprojekten in Deutschland, in den Niederlanden und in Frankreich um. CEO Marcus Meijer sieht in einem derartigen Plattformkonzept die Zukunft der institutionellen Immobilienanlage: „Anleger wollen ein strategisch klar formuliertes Narrativ über die Chancen, die sich durch den Strukturwandel in den Bereichen Wohnen, Arbeiten und Einkaufen ergeben.“
Die weltweite Pandemie hat deutlich gemacht, was Nutzern wichtig ist. „Eine der wichtigsten Lehren des Jahres 2020 lautet: Die Digitaltechnik hat das Leben von Millionen Verbrauchern radikal verändert. Wir halten ständig nach neuen Lösungen Ausschau, die unsere Standorte weiterhin attraktiv, sicher und faszinierend machen“, so Antonio López. „Neue Arbeitsmodelle mit flexiblen Arbeitszeiten und Homeoffice haben durch Corona einen deutlichen Auftrieb bekommen.“ Die aktuelle Mischnutzungswelle ruft auch neue Markteinsteiger auf den Plan. So prüft das Unternehmen Atrium European Real Estate, das sich bislang auf Einkaufszentren in der CEE-Region (Central and Eastern Europe) mit Schwerpunkt Warschau und Prag spezialisiert hat, die teilweise Umstellung seiner Einzelhandelsimmobilien auf Mischnutzung.
Dazu CEO Liad Barzilai: „Es besteht großes Interesse an einer attraktiveren Gestaltung der Innenstädte, und die kommunalen Behörden sind gerne bereit, mit Projektentwicklern eng zusammenzuarbeiten. Mit der Mischnutzung verkauft man eigentlich einen Traum. Und man verkauft einen Standort, einen Ort, den die Kunden gerne aufsuchen. Dabei kommt es entscheidend auf die richtige Mischung an.“ Das gelte nicht nur für diesen neuen Trend, so Barzilai: „Auch bei anderen Immobilien, wie zum Beispiel bei reinen Einkaufszentren, war der richtige Mix schon immer ein entscheidender Faktor. Es gehört deshalb längst zu unseren Stärken, die richtigen Synergien auszuschöpfen.“
Handel sucht Symbiosen
Gewachsene Quartiere setzen sich aus unterschiedlichen Nutzungen zusammen. Doch ist der Business Case der Transformation zu Multi-Use-Objekten auch für Handelsimmobilien darstellbar? Unter dem Druck drohender Leerstände sind Eigentümer und Kommunen verstärkt gezwungen, sich mit der Umwandlung von Handelsflächen speziell in innerstädtischen Lage auseinanderzusetzen.
Die Möglichkeiten der Konversion sind vielfältig, wie erfolgreiche Beispiele aus den USA wie die Umnutzung des Macy’s Building in Seattle in Büroflächen für Amazon beweisen. „Die Lösungsansätze sind sehr unterschiedlich, sind abhängig von der Lage (peripher oder zentral), der physischen Fläche (Stichwort Tageslicht) und finanziellen Betrachtungen“, berichtete Kseniya Merritt von Union Investment auf einer gemeinsamen Veranstaltung mit Bulwiengesa. Am häufigsten inkludieren die Nachnutzungen in den USA gegenwärtig Hospitality, Büro und Multifamily Apartments, zudem Logistik und Distribution Center. Triebfeder, sich stärker mit den Möglichkeiten von Multi Use zu befassen, ist die zunehmende Flächenkonkurrenz in den urbanen Bereichen. Für Light Industrial, das heißt Micro-Hubs oder Micro-Fullfilment-Center, so Francisco Bähr, Geschäftsführender Gesellschafter von Four Parx, seien ehemalige Handelsflächen gut zu verwerten. Für schwere Logistik setzten jedoch die beschränkte Tragfähigkeit, Deckenhöhen und überlastete Wareneingänge enge Grenzen. Nicht zuletzt wegen der Lärmbestätigung auch das benachbarte Umfeld. Für die Neubelebung der Innenstädte könnte der begonnene Transformationsprozess, den auch Kongresshotels parallel durchlaufen, eine große Chance sein. Das aus den Innenstädten verdrängte Wohnen könnte in Form von Apartments oder Pflegewohnen zurückkehren und die Stadt wieder zum Treffpunkt, nicht nur für Einkaufsgelegenheiten, machen.
Perspektivisch, so der Tenor der Veranstaltung, kommen Städte um Mischnutzungen nicht herum, um zukunftsfähig, effizient und nachhaltig zu sein. Je flexibler die Flächen, desto besser – denn die Nachfragetrends bleiben weiterhin hoch dynamisch.
Von Isobel Lee