
Der Run auf europäische Immobilien hält auch 2020 weiter an. Damit steigen die Anforderungen an Investoren. Für Martin Schellein kommt es mehr denn je auf verlässliche Partnerschaften an. Von Birgitt Wüst
Herr Schellein, im vergangenen Jahr hat die EZB entschieden, die Niedrigzinspolitik weiter fortzusetzen – was bedeutet das für die europäischen Immobilieninvestmentmärkte?
Nun, die EZB-Entscheidung kam nicht unerwartet – und so wird sich auch 2020 im Vergleich zu den Vorjahren nichts Grundlegendes ändern. Die Devise „lower for longer“ gilt weiterhin, möglicherweise für die nächsten Jahrzehnte. Die Bank of Japan hält eine vergleichbare Geldmarktpolitik bereits seit rund 20 Jahren aufrecht und es ist kein Ende in Sicht.
Eine Entspannung ist in Europa demnach vorerst nicht zu erwarten?
Nein, im Gegenteil. Die Immobilienpreise legen tendenziell weiter zu, gleichzeitig hält sich die Fantasie für weitere Mietpreissteigerungen vielerorts in Grenzen. Wir befinden uns am Ende eines langen Konjunkturzyklus. Mit dem nachlassenden Wirtschaftswachstum entwickeln sich die Mietpreise nicht mehr ganz so dynamisch und die Total Returns aus Immobilieninvestments gehen zurück.
Wie reagiert Union Investment darauf?
Unsere Anlagepolitik setzt weiterhin auf nachhaltiges Wachstum – sprich: Wir schauen bei jedem Investment auf die langfristige Ertragsstärke der zu erwerbenden Objekte. In Städten, die in den letzten Jahren ein dynamisches Wachstum der Büromieten verzeichnet haben, sind zudem viele Bestandsobjekte deutlich unter dem heutigen Marktniveau vermietet, zum Beispiel in Stockholm, Amsterdam, Berlin oder München. Solche Objekte bieten bei Auslauf der bestehenden Verträge gute Chancen, die Erträge nachhaltig zu steigern und entsprechende Wertpotenziale zu heben.
Nach welchen Kriterien wählen Sie neue Immobilienzukäufe aus?
Über die Zukunftsfähigkeit einer Immobilie entscheidet nicht zuletzt der Standort. So investieren wir bevorzugt in Ländern, die sich durch stabile politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen auszeichnen, also in den ökonomisch starken Regionen West- und Nordeuropas und dort schwerpunktmäßig in den sogenannten Gateway Cities. Darüber hinaus versuchen wir, Märkte und Lagen zu identifizieren, in denen weiteres Mietpreiswachstum wahrscheinlich ist. Zudem investieren wir vermehrt und immer frühzeitiger in Projektentwicklungen und auch in Bestandsobjekte, die wir durch Um- und/oder Ausbau repositionieren können. So betreiben wir aktive Wertschöpfung von Value-Add zu Core mit dem Ziel, die stabilisierten Objekte langfristig im Bestand zu halten.
Im vergangenen Jahr haben Sie zwei Immobilien im Großraum Paris veräußert …
… und ein Objekt im CBD zugekauft. Die verkauften Objekte im Teilmarkt Bois-Colombes befinden sich an der Peripherie der Île-de-France, wo die Märkte deutlich volatiler sind als im CBD, der sich durch nachhaltiges Mietpreiswachstum und kontinuierlich steigende Kapitalwerte auszeichnet. Wir konzentrieren uns lieber auf die Toplagen der französischen Hauptstadt, wo wir mit Investments sehr gute Erfahrungen gemacht haben.
Verteuern in Toplagen die sehr hohen Bodenwerte die Ankäufe?
Das schon, aber andererseits sichern sie auch auf lange Sicht eine hohe Nachfrage und damit stabile Cashflows und Kapitalwerte. Außerdem amortisieren sich Nachinvestitionen in solche Immobilien deutlich schneller, und selbst die komplette Repositionierung eines älteren Bestandsobjekts kann lukrativ sein, bis hin zum kompletten Abriss und Neubau. Angesichts der hohen Mieten wird das investierte Geld schneller wieder „eingespielt“.
Wie sichert sich Union Investment den Zugriff auf gute Objekte?
Die Konkurrenz wächst überall, doch haben wir einen großen Vorteil: Wir sind in vielen europäischen Märkten seit Jahrzehnten präsent – teils mit lokalen Immobilienteams und schon über zwei bis drei Immobilienzyklen hinweg – und kennen die Verhältnisse dort sehr gut. Außerdem sind wir in Europa als verlässlicher Partner bekannt und akzeptiert. Der Markt weiß, dass wir die Bereitschaft mitbringen, früh in Projektentwicklungen einzusteigen, und in der Lage sind, auch längere Bauphasen mit niedrigen Renditen zu überbrücken.
Machen Ihnen die politischen Entwicklungen in Frankreich Sorgen?
Meine Kollegen in Paris kommen seit Wochen zu Fuß zur Arbeit wegen der Streiks im öffentlichen Verkehr. Es ist eine interessante Erfahrung, dass Nutzer wie Investoren solche Turbulenzen weitgehend ignorieren, und das ist längst nicht nur in Frankreich so. Europa gilt grundsätzlich als „sicherer Hafen“, gegenüber politischen Unruhen herrscht daher eine relativ hohe Toleranz. Das war auch in Barcelona zu bemerken, denn die Unabhängigkeitsbewegung hatte kaum Auswirkungen auf den Immobilienmarkt der katalanischen Metropole oder generell auf ausländische Investitionen.
Und wie beurteilen Sie den Einfluss durch den Brexit?
Auch der Brexit hatte nur vorübergehend einen Impact auf den Investmentmarkt in UK, wo die Aktivität vor den Neuwahlen im Dezember fast vollständig zum Erliegen gekommen ist. Die Vermietungsmärkte haben sich davon kaum beeindrucken lassen und die Nachfrage nach Büroflächen ist unverändert hoch.
Dann haben Sie UK also nach wie vor auf dem Radar?
Ja, London ist die einzige wirkliche „Global City“ in Europa. Auch wenn die Finanzinstitute keine ganz so wichtige Rolle mehr spielen wie früher, sind doch inzwischen andere Nutzer an ihre Stelle getreten, die für eine gute Nachfrage nach Büros sorgen – etwa die großen Tech-Companies Google, Amazon, Facebook und Apple. Wenn die politischen Unsicherheiten aufgelöst und neue Handelsabkommen mit der EU und anderen Ländern unterzeichnet sind, ergeben sich sehr gute Perspektiven für weiteres Wachstum. Wir bereiten uns daher aktiv auf den Wiedereinstieg in UK vor.
Ein Ausblick: Wo sehen Sie die größten Risiken?
Im zunehmenden Kapitaldruck, denn damit steigt am Markt die Bereitschaft von Investoren, Risiken zu ignorieren oder temporär auszublenden, zumal die letzte Krise schon sehr lange her ist. Das kann Nachlässigkeit zur Folge haben: Sorgfältige Analysen werden nicht mehr als so wichtig angesehen, gerade bei größeren Investmentvolumina und komplexen Transaktionsstrukturen. Damit steigt auch die Gefahr, dass es am Markt zu Verwerfungen kommt.
Und wie gehen Sie mit dieser Situation um?
Unsere Guideline im aktuellen Marktumfeld sind und bleiben verlässliche Renditeprognosen. Unsere Anlagepolitik, die auf nachhaltiges Wachstum setzt, bringt dies in besonderem Maß zum Ausdruck. Wir haben unser Ankaufsvolumen von rund 2,8 Milliarden Euro im vergangenen Jahr vor allem auf Basis von Einzeldeals realisiert. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns nicht auch intensiv mit Portfoliokäufen beschäftigen. Wir schauen uns die Ertragsstärke der einzelnen Assets aber auch im Rahmen von Portfoliotransaktionen genau an. Spätere Überraschungen wollen wir uns einfach nicht leisten.
Von Birgitt Wüst