
Handel in Bewegung
Die Retailbranche befindet sich erneut in einem tief greifenden strukturellen Wandel. Hintergrund sind veränderte Kaufgewohnheiten, starre Strukturen der Einzelhandelsbetreiber und der Boom des Onlinehandels. Doch mit geeigneten Konzepten lassen sich der stationäre Handel – und die Handelsimmobilien – zukunftssicher machen.
Das große Gebäude im Art-déco-Stil, auffällig rosafarben, direkt am Alexanderplatz gelegen, kennen nicht nur die meisten Berliner. Auch für viele Touristen ist das Alexa mit seinen 186 Geschäften, verteilt auf 43.000 Quadratmeter Verkaufsfläche, ein absolutes Muss. Mit rund 16 Millionen Besuchern jährlich zählt das Shopping- und Freizeitcenter, das zum Portfolio des Offenen Immobilienfonds UniImmo: Deutschland von Union Investment gehört, zu den am stärksten frequentierten Einkaufszentren in Deutschland. „Die Lage des Centers mitten in der Innenstadt und an einem Verkehrsknotenpunkt von Tram, U- und S-Bahn ist ein Garant für Besucherfrequenz“, stellt Ingmar Behrens fest, Sprecher des German Council of Shopping Centers.
Mieten sinken auf breiter Front
So gut wie das Alexa stehen indes längst nicht alle Retail-Immobilien da. „Ein verändertes Kundenverhalten sowie das weiterhin überproportional steigende Einkaufen im Internet – mit anschließender und bislang für den Besteller noch kostenfreier Direktlieferung nach Hause – hat Händler taumeln und auch straucheln lassen“, sagt Dieter Bullinger. Getroffen habe es insbesondere die Einzelhändler, die weiterhin an alten Strukturen festhalten und selbst auch keine Onlinepräsenz haben. „Hinzu kommen die stark wachsenden Rabattschlachten, die letztendlich nicht durch erhöhten Warenumschlag zu stabilen Umsätzen oder gar Steigerungen führen“, beschreibt der Geschäftsleiter des Schweizer Beratungsunternehmens Debecon die Lage. Die Konsumenten würden davon abgehalten, etwas zum Normalpreis zu erwerben – dies gehe deutlich zulasten der Marge. Betroffen seien vielfach familiengeführte Fachgeschäfte und damit besonders die Einkaufslagen kleinerer Städte und Gemeinden, so Bullinger. „Doch leidet auch die Modebranche mit ihren Bekleidungs- und Schuhgeschäften unter Umsatzeinbußen, und da diese Sparten bislang das Rückgrat vieler Haupteinkaufsstraßen und Einkaufszentren darstellen, steigt auch dort die Zahl der leer stehenden Geschäfte.“
Mietlaufzeiten von drei Jahren können durchaus akzeptabel sein; bei anziehendem Vermietungsgeschäft profitiert der Standort vom steigenden Mietzins.
Nach einer aktuellen Befragung von 90 global agierenden Fashionmarken durch die Strategieberatung Boston Consulting Group wuchs der Online-Absatz im Textilbereich zuletzt dreimal so rasant wie im stationären Handel. Das hat Konsequenzen für Vermieter. Vor allem internationale Modehändler wie H&M und Zara pochen, wie es in vielen Ländern schon seit längerer Zeit Gewohnheit ist, auf kürzere Festlaufzeiten beim Abschluss von Mietverträgen (siehe Grafik Seite 17). Davon können zwar auch die Eigentümer profitieren, wie Klaus Striebich, Inhaber der Beratungsgesellschaft Rare Advise – Retail and Real Estate, feststellt. „Mietlaufzeiten von drei Jahren können für Vermieter durchaus akzeptabel sein, weil sie die Chance bieten, einen Standort schneller an die Nachfrage anzupassen und bei anziehendem Vermietungsgeschäft vom steigenden Mietzins zu profitieren.“ Doch zunächst einmal signalisieren steigende Leerstände bei Betreibern wie Vermietern von Retailflächen Handlungsbedarf.
Eine Entwicklung mit Folgen: Nach Angaben der Beratungsgesellschaft Comfort sind 2018 die Einzelhandelsmieten in gut zwei Drittel der 132 erfassten deutschen Städte zurückgegangen. „Wir bewegen uns klar in einem Mietermarkt, auf dem Höchstmieten heute nur noch zu erreichen sind, wenn wirklich alles für den Mieter passt“, sagt Olaf Petersen, Geschäftsführer von Comfort Management Services und verantwortlich für den Bereich Research & Consulting. Die geänderten Rahmenbedingungen wirken sich inzwischen auch auf den Investmentmarkt aus: So ist der Anteil von Einzelhandelsobjekten am gesamten Transaktionsvolumen in Deutschland im Jahr 2018 im Vergleich zum Vorjahr von 18 auf 16 Prozent gesunken. Ein weiteres Alarmzeichen: Die Renditen von Shoppingcentern sind entgegen dem allgemeinen Markttrend zuletzt gestiegen.

Auf die soziale Komponente achten
Damit sind die Vermieter und Betreiber von Einzelhandelsimmobilien gefordert, den Erfolg ihrer Investitionen zu sichern. „Es ist erforderlich, deutlich analytischer vorzugehen, um in Erfahrung zu bringen, wer der Kunde ist, welche Bedürfnisse er hat und welche Freizeitaktivitäten gewünscht werden“, sagt Joachim Will, Geschäftsführer des Wiesbadener Analysehauses Ecostra. Ferner müsse man sich mit der Frage beschäftigen, wie die Stadtzentren und die Zentrallagen der Stadtteile weiterhin attraktiv bleiben und entsprechend frequentiert werden. „Denn nur dort, wo Menschen auf der Straße sind, lebt die Stadt“, sagt Will. „Man muss Destinationen schaffen, sprich Orte, von denen Menschen angezogen werden, wo sie gerne verweilen, sich mit Freunden verabreden, gerne Zeit verbringen, bummeln – und en passant eben auch einkaufen.“
Welch wesentliche Rolle die „menschliche Komponente“ bei der Umsatzentwicklung im Einzelhandelssektor spiele, belegt für den Ecostra-Chef der Erfolg der Factory Outlet Center (FOC) – einer Sparte, die sich bisher als völlig immun gegenüber der Onlinekonkurrenz erwies. Outletcenter zeichnen sich zum einen durch die im Vergleich zum normalen Ladenpreis günstigeren Preise für Markenware aus, zielen also auf der Preisebene auf ein ähnliches Kundensegment wie Teile des Onlinehandels. „Zum anderen aber – und das ist der springende Punkt – ist der Einkauf in einem FOC ein soziales Ereignis“, betont Will. „Im FOC auf dem Brenner zum Beispiel geht die Familie auf dem Rückweg vom Sommerurlaub gemeinsam einkaufen; zum Besuch in Metzingen organisieren Hausfrauen-, Sport- oder Kegelvereine Tagesfahren – keine Frage: FOCs sind Destinationen.“ Dass im Ruf einer „Destination“ zu stehen für volle Kassen sorgt, belegen auch die „großen Kaufhäuser“, etwa das Harrods in London, oder Galeries Lafayette in Paris, vor deren Shops von Louis Vuitton, Gucci und Prada zahlungskräftige Kunden Schlange stehen. Doch auch solche „Destinationen“ kommen nicht umhin, sich neuen Trends in der Handelswelt anzupassen – und greifen dabei unter anderem Konzepte wie Pop-up-Stores auf. So zog in den Galeries Lafayette zur zurückliegenden Weihnachtszeit eine ganz der Zauberwelt von Harry Potter gewidmete Pop-up-Boutique Kunden an.
Gleich drei Kaufhauslegenden – das KaDeWe in Berlin, das Alsterhaus in Hamburg und das Oberpollinger in München – lässt die La-Rinascente-Gruppe von Stararchitekten wie dem Niederländer Rem Koolhaas aufpolieren, damit sie auch weiterhin Kundenmagneten bleiben. Die Umbauten scheinen sich zu rechnen: Wie Alsterhaus-Chef Timo Weber kürzlich im Gespräch mit der Fachzeitschrift „Textilwirtschaft“ berichtete, haben sich die Umsätze im Hamburger Nobelhaus nach dem millionenschweren Umbau des Erdgeschosses um 50 Prozent erhöht.
Das A & O: aktives Management
Die Datengewinnung über das, was Kunden wollen, und die Umsetzung von Kundenbedürfnissen sind heute das A & O im Management von Handelsimmobilien.
Um zukunftsfähig zu bleiben, rüsten auch Shoppingcenter auf – denn die Zeiten, in denen die gute Lage allein ausschlaggebend für den Erfolg war, sind vorbei. „Die Datengewinnung über das, was Kunden heute wollen, sowie die konsequente Umsetzung von Kundenbedürfnissen sind heute das A & O im Management von Handelsimmobilien“, beschreibt Henrike Waldburg, Abteilungsleiterin Investment Management Retail bei der Union Investment Real Estate GmbH, die Lage. „Kunden wollen im Einkauf heute einen nahtlosen Übergang von Offline zu Online und umgekehrt. Angebote werden personalisierter und individueller. Dazu gehört auch die regelmäßige Präsentation von neuen Handels-, Gastronomie- und Erlebniskonzepten, die verhindern, dass sich Kunden langweilen.“ Im Herbst 2018 eröffnete deshalb das Alexa im Rahmen einer großen Modernisierungsaktion unter dem Motto „New Colours of Shopping“ vier bunte Einkaufswelten: Decoration & More, Fashion à la Carte, Food Court und Sports Zone; und der portugiesische Einzelhandelsspezialist Sonae Sierra, der das Berliner Alexa im Auftrag von Union Investment betreibt, sorgt mit einer Reihe von Attraktionen – unter anderem Autogrammstunden von Sängern und Präsentationen neuer Musikalben – für reichlich Publikum. „Bezogen auf das Gesamtportfolio weisen Shoppingcenter noch immer einen sehr hohen Vermietungsstand und eine überdurchschnittliche Rendite auf“, betont Henrike Waldburg und verweist darauf, dass Union Investment über ein starkes Retailportfolio verfüge, das nach wie vor stabile Erträge erwirtschaftet sowie Umsatz- und Frequenzwachstum aufweist. Doch eines sei angesichts der sich rapide wandelnden Einkaufsgewohnheiten und ebenso schnell verändernden Handelslandschaft klar, betont die Retail-Expertin: „Der Management- und Investitionsaufwand ist deutlich gestiegen.“

Das Quartier mit einbeziehen
Vermehrt wird bei der Planung von Refurbishments oder Neubauten von Kaufhäusern oder Shoppingcentern das direkte Umfeld mit einbezogen – ein Trend, der dazu diene, „das Kerngeschäft abzurunden und Destinationen zu kreieren“, berichtet Werner Studer, Executive Director der Intercontinental Group of Department Stores, der weltweit größten Vereinigung von Warenhäusern. Als Beispiele nennt er die bereits erwähnten Galeries Lafayette in Paris, deren Geschäftsleitung daran interessiert sei, sich in entsprechenden Lagen auch als Nachbarschafts- und Traveltourist-Retailer zu positionieren respektive dieses Geschäft aufzubauen.
Beispiele für den weltweit beobachtbaren Trend gibt es auch in Deutschland: In Stuttgart etwa investierte der Warenhauskonzern Breuninger gut 200 Millionen Euro, um das an sein Kaufhaus an der Marktstraße angrenzende Dorotheen Quartier zu beleben. Neben Büroräumen und Wohnungen wartet die 2017 fertiggestellte Anlage nun mit schicken Restaurants sowie bekannten Markenshops auf – und erfreut sich hoher Besucherzahlen. Beim Refurbishment der Riem Arcaden in München, Bayerns größtem Neubau-Stadtquartier, investierte Eigentümerin Union Investment rund 65 Millionen Euro in einen 18.500 Quadratmeter großen Erweiterungsbau. Das Quartier bietet nun insgesamt gut 122.000 Quadratmeter Mietflächen, wovon 61.000 der Einzelhandel belegt. Wie Ralf Schaffuss, Leiter Retail Deutschland bei der Union Investment Real Estate GmbH, berichtet, wurden im Zuge der bisher abgeschlossenen Umbaumaßnahmen unter anderem der Anteil der gastronomischen Flächen erweitert und zuvor bestehende Fehlsortimente mit neuen Mietern besetzt. Über der Shoppingmall finden sich Wohnungen mit Super-Aussicht, ein Ärztehaus ist im Stadtquartier integriert und zur Expo Real 2018 kam noch ein Motel One hinzu. Auch hier hat sich der Einsatz gelohnt. „Gut neun Millionen Besucher verzeichnen die Riem Arcaden pro Jahr, am Tag kommen durchschnittlich 26.000 Menschen ins Center“, so Schaffuss.

Auch Unibail-Rodamco-Westfield verfolgt mit Quartiersentwicklungen ambitionierte Pläne, etwa mit dem südlichen Überseequartier in Hamburg. Um den Einzelhandel attraktiver zu gestalten, wurde der Büroflächenanteil gegenüber der ursprünglichen Planung zugunsten von Wohnungen reduziert, das geplante Kreuzfahrtterminal städtebaulich besser integriert. Auf 419.000 Quadratmetern Gesamtfläche soll Raum zum Leben, Arbeiten, Shoppen und Genießen entstehen, ein markantes Ensemble aus Kreuzfahrtterminal, Waterfront Towers und einem neuen, gut 70 Meter hohen Gebäude von Architekt Christian de Portzamparc – ein Highlight an der neuen Waterfront und vermutlich künftig einer der stärksten Besuchermagnete der Hansestadt.
Von Susanne Osadnik und Birgitt Wüst